Sonntag, 21. Mai 2017
Sylvester in Seoul - Tag 8
Wie bei meinem letzten Aufenthalt in Seoul war auch dieses Mal der letzte Tag vollgepackt, und genauso wie eineinhalb Jahre zuvor ging es darum, die Zeit mit meinen Freunden zu verbringen. Allerdings hatte ich dieses Mal keinen Masterplan, sondern nur eine grobe Richtlinie. Das kommt davon, wenn ich alleine reise. Um 12 Uhr Treffen mit Anneena, ihrer Mutter und Jacob in einem Café in Hongdae; um 18:30 Uhr mit Hulk und Seol Hee in Sillim. Beides Haltestellen, die nicht gerade um die Ecke waren und ebenso wenig in der Nähe von einander.

So aß ich mein rudimentäres Frühstück so spät wie möglich, da es bis zum Treffen mit Anneena reichen musste. Aber ein Café versprach ein leckeres zweites Frühstück, so dass ich mir keine allzu großen Gedanken machte. Dieses Mal ging ich extra entschieden früher aus dem Haus, nahm einen Zug früher, schaffte meinen Anschluss problemlos und war zwanzig Minuten vor dem verabredeten Zeitpunkt vor Ort. Da meine Leute noch nicht anwesend waren, spazierte ich durch die Läden in der Haltestelle Hongdae, bis die Zeit des Treffens gekommen war.

Kaum waren wir zusammen, suchten wir uns ein Café. Es durfte nicht irgendein Café sein, nein, es musste ein Twosome Place sein, weil Anneenas Mum auch dafür eine Rabattkarte hatte. Glücklicherweise fand sich eins in unmittelbarere Nähe zur Haltestelle. Dort holte ich mir einen leckeren Tee und ein schokoladiges Stück Schokokuchen. Es war köstlich und sehr mächtig. Das Tiramisu von Anneena war auch nicht zu verachten, allerdings war es nicht das beste meines Lebens.

Tiramisu und Schokokuchen im Twosome Place Café

Nachdem wir einige Zeit im Café verbracht hatten, Anneena ihr Getränk über sich und ihren Sitz verteilt hatte, wir den Kuchen und die anderen Getränke verzehrt hatten und ich einen riesigen Sack voller Kim, also Algen, (ein Abschiedsgeschenk von Anneenas Mum, weil ich das Zeug so lecker fand) bekommen hatte, zogen wir weiter. Unser nächstes Ziel war Myeongdong. Mit zwanzig Minuten Fahrtzeit lag es schließlich um die Ecke.

Myeongdong hatte noch einige Touristenattraktionen zu bieten, von denen ich bisher nicht wusste. Als erstes führe uns Anneenas Mum zielsicher zum Seoul Global Cultural Center, in dem sie anscheinend schon vorher angerufen hatte, um einen Termin auszumachen. Oder um zu fragen, ob noch Kapazitäten offen wären. Mit Sicherheit kann ich das nicht sagen, denn sie sagt es mir nicht. Jedenfalls ging es hier darum, sich traditionell koreanische Kleidung auszuleihen, anzuziehen und damit Fotos vor traditionellem Hintergrund zu machen. Man durfte aus Kostümen für Männer und Frauen und dann verschiedene Farben wählen. Nachdem man diese angezogen hatte, hatte man zehn Minuten, in denen man Fotos vor vorbereiteten Kulissen machen durfte. Das ganze kostete keinen einzigen Cent.

Nachdem wir uns dort ausgetobt hatten, ging es weiter durch die Straßen Myeongdongs. Die meisten Straßenverkäufer hatten ihre Läden noch nicht aufgebaut, doch das hinderte uns nicht am Schaufensterbummel. Ich zeigte Anneena und Co. die Eisdiele, die Roseneis herstellt, und sie führten mich in einen Make-Up-Laden, um mir Lipgloss zu verpassen. Es war viel zu klebrig, zu viel und zu unangenehm, weshalb ich es schnell wieder entfernte.

Wir kamen an einem Kosmetikladen vorbei, dessen Fassade mit Pflanzen besetzt war. Man hatte wirklich einen Nährboden an der Wand befestigt, aus dem nun zarte, echte Pflänzchen wuchsen.

Wand aus echten Pflanzen

Zu diesem Zeitpunkt erkannten meine Begleiter, dass Hunger sich langsam bei ihnen breitmachte. Also beschlossen sie kurzerhand einen Snack zu holen. Dieser bestand aus Mini-Kimbap, Ddeokbogi und Fishcake am Spieß. Ddeokbogi war mir zu scharf, aber Kimbap ist immer eine gute Idee und am Spieß schmeckt alles besser. Es war ein sehr guter Snack.

Fishcake am Spieß

Mini-Kimbap am Spieß

Ddeokbogi zum Mitnehmen

Wir schlenderten weiter durch Myeongdong und entdeckten einen Line-Friends-Shop. Er war aufgebaut wie der Kakao-Friends-Shop, stellte allerdings die Line-Freunde vor. Um das hier klar zu stellen: Während KakaoTalk sich in Korea riesiger Beliebtheit erfreut, ist Line der Messenger, der in Japan weit verbreitet ist. Wir wagten einen Blick hinein. Es gab eine Schlange, um ein Foto mit einem riesigen Bären machen zu können. Anscheinend war das der Hauptstar der Line-Freunde. (Da Franziska und ich diese Ehre schon in Japan gehabt hatten, war ich nicht sonderlich erpicht darauf.) Wir entschieden uns dafür, diese Schlange zu ignorieren und direkt ins Geschäft zu gehen. Dort gab es alles Mögliche mit den Charakteren: Tassen, Teller, Kleidung, Notizblöcke, Anhänger, etc. Allerdings waren all diese Sachen entschieden teurer als bei Kakao-Friends und nichts davon überzeugte mich endgültig. Es könnte damit zusammenhängen, dass ich Line nicht benutze und die Charaktere sowie deren Emots nicht kenne.

Im Line-Friends-Shop

Wie dem auch sei. Hiermit endete unsere Tour durch Myeongdong, woraufhin wir weiterzogen, um Sillim unsicher zu machen. Da die kleine Familie in der Nähe wohnte, war es für sie sehr praktisch mich dorthin zu begleiten. Obwohl Anneenas Mutter schon entschieden länger in Seoul lebt, hat sie bis heute Probleme mit dem Schienennetz, was ich überhaupt nicht nachvollziehen kann. Sie wäre mehrfach beinahe in die falsche Bahn gestiegen oder an falschen Haltestellen umgestiegen, hätte man sie nicht darauf aufmerksam gemacht. Erstaunlich.

In Sillim angekommen übernahm Anneenas Mum wieder zielsicher die Zügel und führte uns zu einer Fahrradausleihstation. Zuerst verstand ich nicht so ganz, was vor sich ging, denn ich wurde die meiste Zeit über durch die Gegend geführt, ohne eine klare Ansage bezüglich unseres Ziels zu erlangen. Ich bin mir nicht sicher, ob es zum guten Ton gehört oder ob meine Begleitung sich nicht auf Englisch ausdrücken konnte. So langsam dämmerte mir dann doch, dass wir, also Anneena, Jacob und ich, uns Fahrräder nehmen sollten, während Anneenas Mutter uns in eine Liste eintrug.

Fahrradstation in Sillim

Ich suchte mir ein passendes Vehikel, und schon brachen wir auf. Einige Schritte von der Station entfernt war ein kleiner Flusslauf, der wiedermal kunstvoll angelegt worden war.

Promenade in Sillim

Neben Fontänen, Pavillons und schönen Sitzbänken gab es dieses Mal auch einige Bilder an den Wänden, in die man einspringen konnte. Es war wie das Trick Eye Museum.

Interaktives Bild in Sillim

Dies war unser Ziel – sozusagen. Denn der einzige Grund für die Fahrradausleihe war eine Spazierfahrt am spielerischen Ufer dieses Baches. So fuhren wir hin und her, hielten an Outdoor-Trainingseinheiten und interaktiven Hintergründen für Fotos, fuhren über Brücken und in die andere Richtung, hin und her. Mir fiel auf, dass diese Fahrräder niemals für den deutschen Straßenverkehr zugelassen worden wären, weil sie keine Lichter hatten. Auch fehlten Schutzbleche, was mir persönlich die Lust genommen hätte, bei regnerischen Verhältnissen dieses Verkehrsmittel zu wählen.

Ein Ausflug durch Sillim

Nach einiger Zeit machte sich der Winter bemerkbar, so dass ich mich gezwungen sah, Handschuhe anzuziehen. Es dauerte nicht wesentlich länger, bis wir uns dazu entschlossen, dass es genug für einen Tag war. Wir brachten die Räder zurück und verabschiedeten uns freundlich. Als ich Anneenas Mutter auf den Preis ansprach, meinte sie, dass es – wieder einmal – ein kostenloser Service der Stadt Seoul gewesen sei. Ich fragte mich langsam, woher die Stadt so viel Geld hatte und malte mir aus, in wie vielen anderen Ländern, die ich besucht hatte, dieses Prinzip nicht funktionieren würde. Wenn ich richtig gesehen habe, war noch nicht einmal die Vorlage eines Ausweisdokuments notwendig gewesen. Man trug nur den eigenen Namen und einige Angaben zur Person in eine Liste ein, ergänzte die Nummern der Fahrräder und fuhr los. Dieses Land schaffte mich auf so viele einfache Weisen.

So langsam gewann ich den Eindruck, dass ich an einer privaten Stadtführung teilnahm, ohne diese gebucht zu haben.

Ein Blick auf die Uhr verriet mir auch, dass es schon kurz vor meinem Rendezvous mit Hulk und Seol Hee war. Die kleine Familie begleitete mich noch zielsicher zur Haltestelle Sillim und zum richtigen Ausgang, damit ich bloß nicht verlorenging. Leider war der Ausgang, den ich in Erinnerung hatte, gerade wegen Umbaumaßnahmen gesperrt, so dass ich vor einer Holzwand zum Stehen kam. Dies führte zu allgemeinen Zweifeln und paniknahmen Zuständen, da man mich doch nicht alleine in der Wildnis von Seoul stehen lassen konnte, während ich nicht wusste, ob ich am richtigen Ausgang war. Nun sollte ich an dieser Stelle erwähnen, dass es tatsächlich einige Haltestellen in Seoul gibt, bei denen es entscheidungsrelevant war, an welchem Ausgang man sich verabredet hatte, weil man sonst womöglich mehrere Bruchteile einer Stunde damit aufbringen musste, einander zu finden. Sillim zählte aber bei weitem nicht dazu. Obwohl es tatsächlich acht Ausgänge gab, lange diese an nur einer Kreuzung, so dass man problemlos den Ausgang acht von Ausgang eins aus sehen konnte, wenn man sich nur einige Meter bewegte. Da ich mich mit Hulk allerdings telefonisch verabredet hatte, konnte ich nicht mal eben nachschlagen.

Also warteten Anneena und Co mit mir am Ausgang. Anneenas Mutter ging sogar so weit, dass sie mir ihr Telefon lieh, damit ich Hulk anrufen konnte. Leider ging er nicht dran. Irgendwann kam doch ihr Bus und schweren Herzens verließen sie mich – immer noch in Sorge, dass ich an dieser Haltestelle verlorengehen würde. Da mir noch ein bisschen Zeit blieb, entschloss ich mich zu einer kleinen Tour um den Block, sah mir jeden Ausgang genau an, und beschloss, dass es Ausgang vier gewesen sein musste. Auf meinem Rückweg von der Tour wurde ich in meiner Vermutung bestätigt, nämlich als ich meinen Namen von irgendwoher hörte. Es war Hulk, der mich rief. Wir begrüßten uns kurz, ich stellte fest, dass er bei den eisigen Temperaturen ein ebenso eisiges Getränk in Händen hielt, und fand eine Erklärung dafür, warum so viele Koreaner in meinem Bekanntenkreis sich derart über die Kälte beschwerten. Wir brachen auf Richtung phantastischem Restaurant, welches ihm von irgendjemandem empfohlen worden war, hielten aber auf halbem Weg inne, weil sein Telefon klingelte und Seol Hee verkündete, dass sie soeben aufgehört hatte zu arbeiten. Feierabend. Hervorragendes Timing, denn so konnten wir zusammen gehen. Wir drehten wieder um, gingen zurück zur Kreuzung und sahen Hulks Frau, wie sie gerade die Straße überquerte.

Und so brachen wir vollzählig zu dem Restaurant auf. Unterwegs ließ Seol Hee mir über Hulk ausrichten, dass sie nur deshalb so wenig mit mir sprach, weil ihr Englisch so schlecht war und sie sich schämte. Ich fand diese Aussage süß, denn ihre Englischkenntnisse übertrafen jene vieler anderer Leute in der Tourismusbranche Seouls. Es dauerte nur kurze Zeit, bis Seol Hee auftaute und wieder wie gewohnt mit mir plapperte. Sie konnte sich nicht wie Shakespeare ausdrücken, aber wir verstanden uns trotzdem hervorragend.

An diesem Tag hatte ich noch nichts Vernünftiges gegessen, wenn man von diesem wirklich mächtigen Schokoladenkuchenstück absah, so dass ich ausgehungert wie ein Wolf in ein Lokal geführt wurde, in dem man sein Essen am eigenen Tisch grillen durfte. Es stellte sich schnell heraus, dass der Tisch für unsere Bestellung zu klein war, was hauptsächlich daran lag, dass ein Großteil des Platzes vom eingebauten Grill eingenommen wurde. Hulk bestellte Samgyeopsal als Vorspeise, gefolgt von vier Sorten Fleisch als Hauptgang.

Ein bescheidenes Abendessen

Zweiter Gang eines bescheidenen Abendessens

Selbstverständlich gab es nach koreanische Manier genügend Beilagen, Salate, Pilze und Kimchi. Ebenso selbstverständlich schnitt Hulk das Fleisch mit der Schere klein.

Fachgerechte Zubereitung

Aber das war nicht genug. Es musste Tofusuppe dazukommen. Alkohol durfte auch nicht fehlen (es machte ihnen nichts aus, dass ich dankend verzichtete, aber ich hatte schon den Eindruck, dass sie in diesem Moment Franziska vermissten). Als die beiden sich von mir wegdrehten, um ihren Shot Soju zu trinken, fragte ich, weshalb sie das machten. Hulks Antwort war einfach: „It’s Korean culutre.“ (Es gehört zur koreanischen Kultur) Dann fiel den beiden noch ein, dass kalte Nudelsuppe perfekt zu dem Fleisch passte. Ich machte mir so langsam Sorgen, ob sie mich mästen wollten. Das Erstaunen in meinem Gesicht ob der Menge an Essen wurde mit einem Lachen abgetan. Da die beiden ebenso herzhaft zugriffen wie ich, vertrieb ich die Theorie des Mästens wieder und konzentrierte mich auf das Essen. Als die Nudelsuppe ankam, erklärte Hulk mir natürlich, wie man sie stilgerecht aß: Man musste ein glühend heißes Stückchen Fleisch vom Grill nehmen, es in die Suppe tunken, Nudeln drum herum wickeln und dann zusammen essen.

Kalte Nudelsuppe zum Fleisch

Die beiden hatten recht. Es passte perfekt zusammen. Es war so lecker, dass ich fast eingegangen wäre. Ich wollte einfach nicht mehr aufhören zu essen.

Irgendwann waren die Teller, Tassen und Schüsseln dann doch leer – oder annähernd leer –, so dass wir die Zeit zum Aufbruch gekommen sahen. Das hieß aber noch lange nicht, dass der Abend vorbei war, nein, so durfte man mich nicht gehen lassen. Und ich wollte auch noch gar nicht weg, denn ich hatte die beiden so lange nicht mehr gesehen und wollte so viel Zeit wie irgend möglich mit ihnen verbringen. Also zogen wir weiter in eine Spielhalle mit verschiedenen Automaten. Seol Hees bevorzugtes Spiel war „Unterschiede finden“. Wie in unseren Zeitungen gab es zwei Bilder, die sich sehr ähnlich sahen, aber jeweils fünf Unterschiede hatten. Allerdings war es im Vergleich zur deutschen Zeitschriftversion entschieden schwieriger. Die Bilder waren bunt, meistens Fotos, gefüllt mit allen möglichen Details, von denen nur fünf Kleinigkeiten abwichen. Mal fehlte ein Schatten hier oder der Kühlergrill vom Auto dort. Ich kam mir mitunter blind vor. Was die beiden in Windeseile fanden, hätte ich nach Stunden aufmerksamen Betrachtens nicht entdeckt.

Immerhin war ich ziemlich gut mit den Zwischenleveln, in denen man weitere Leben sammeln konnte. Somit fühlte ich mich nicht ganz so nutzlos. Irgendwann tauschten dann komische Raupen auf dem Bildschirm auf, um die Sicht zu blockieren. Dann fassen sie sich durch das Bild und guckten einen provozierend an. Es lenkte mich ungemein ab. Am Ende war ich gestresst – amüsiert, aber gestresst.

Es folgten einige Versuche am Greifautomaten, doch sie waren (oh Wunder, oh Staunen) nicht von Erfolg gekrönt. Trotzdem war Hulk recht nah dran, das ein oder andere Tierchen abzuräumen.

Danach ging es zu einer Maschine, die ich noch nicht kannte. Sie sah aus wie ein Schaukasten für Luxusgüter. Auf Etagen aus Plexiglas standen kleine, glitzernde Souvenirs in sorgfältig arrangierten Reihen. Allerdings war es ein Spielautomat. Man hatte einen Joystick und einen Knopf zur Bedienung. Mit dem Stick bewegte man die „Hand“ zuerst horizontal nach rechts. Dann hielt man den Knopf gedrückt, um die „Hand“ vertikal nach oben zu bewegen. Wenn man sicher war, dass man die richtige Position gefunden hatte, ließ man den Knopf los, eine Stange fuhr aus der „Hand“ aus und schob den gewünschten Gegenstand nach hinten, bis er über die Kante in die Ausgabe kippte. Man hatte nur ein Versuch. Wenn man den Stick oder den Knopf losließ, konnte man nichts mehr korrigieren. Dann fuhr Stange heraus, egal wo die „Hand“ gerade stand.

Seol Hee warf einige Won ein, konzentrierte sich und bewegte einen Glücksbringer, den sie erringen wollte, in die Nähe des Abgrunds. Leider nicht weit genug. Ein zweiter Versuch musste her. Kein Problem, dafür hatte sie ja das Kleingeld eingeworfen. Beim nächsten Versuch drehte sich das quaderförmige Päckchen ein wenig, wodurch sie einen dritten Anlauf brauchte. Dann gelang es ihr. Sie jubelte, freute sich, Hulk stieg mit ein, auch mir war der Angstschweiß ausgebrochen. Leider gab es eine begrenzte Zeitspanne, in der man die „Hand“ bewegen durfte. Lief die Zeit ab, bevor man fertig war, hatte man einen Zug verschenkt. Durch den Freudentaumel war Seol Hees Zeit des vierten Zuges verschenkt. Es knickte sie zwar ein bisschen, ließ sie in ihrer Entschlossenheit aber keineswegs wanken. Sie wollte noch ein zweites Souvenir, also ging es an den nächsten Zug und einen weiteren. Auf diese Weise bekam ich zwei gold-glänzende Geldscheinimitate, die als Glücksbringer an Franziska und mich gerichtet waren. Es war so süß.

Damit schlossen wir unseren Besuch in der Spielhalle ab und zogen weiter Richtung Bowlingbahn. Hulk hatte mir erzählt, dass es in der Nähe eine Bowlingbahn gab, die Rock spielte und alles in bunte Lichter tauchte. Natürlich wollte ich mir das nicht entgehen lassen – noch weniger wollte ich schon ins Hostel zurückkehren, weil das bedeuten würde, dass ich gleich nach Deutschland zurückflog. Auf zum Bowling!

Die Bowlingbahn war phänomenal. Es gab eine große Auswahl an Getränken. Wenn keine Bahn frei war, konnte man sich in einem Bereich dafür gemütlich einrichten und warten. Für den Zeitvertreib gab es Gesellschaftsspiele. Bunte Lichter flackerten über die acht Bahnen, die sonst in Dämmerung gehüllt waren. Laute Musik dröhnte aus Lautsprechern. Ohne Hulk zu nahe treten zu wollen, er kannte sich mit Musik nicht aus. Was auch immer dort gespielt wurde, es war kein Rock. Wie dem auch sei.

Bunte Bowlingbahn in Seoul

Wir mussten nicht lange warten, bis Schuhe und Bahn fertig waren. Natürlich musst die Reihenfolge der Spieler in einem stilechten Schnick-Schnack-Schnuck-Spiel entschieden werden. Somit stand fest, dass Hulk anfing und ich das Schlusslicht bildete. Und so ging es los. Während Hulk sich auf das Spiel vorbereitete, erzählte Seol Hee mir, dass er ein semiprofessioneller Bowler war. Das hörte ich zum ersten Mal und staunte nicht schlecht. Doch schnell wurde mir bewusst, was sie damit meinte. Hulk bewegte sich wirklich recht sicher auf dem Terrain, seine Form war bowling-mäßig, sein Fuß schwang weit nach hinten, als die Kugel rollte, und er blieb sicher stehen. Er hatte sogar ein kleines Ritual vor dem Wurf:

Zuerst stellte er sich in die Mitte der Bahn und hielt dabei die Kugel vor die Nase. Meistens korrigierte er sich noch einen viertel Schritt nach links oder rechts. Dann tippelte er mit den Füßen auf der Stelle, rollte die Schultern und holte aus.

Seol Hee, wie es sich einer guten, emanzipierten Ehefrau gebührt, machte sich gehörig lustig darüber.

Wenn er nicht richtig traf, ärgerte Hulk sich leider auch. Trotzdem räumte er weit besser ab als wir anderen beiden.

Als ich dann an der Reihe war, ließ ich meiner ballerinahaften Eleganz freien Lauf: Beim ersten Wurf fiel ich beinahe vorne über. Dummerweise nahm Seol Hee das sogar auf Video auf und zeigte es mir laut lachend, nachdem ich fertig war. Wir amüsierten uns prächtig. Zwischendurch erfuhr ich, dass man ein kostenloses alkoholisches Getränk erhalten konnte, wenn ein roter Pin an der Spitze stand und man einen Strike schaffte. Leider gelang es uns nicht einmal. Obwohl ich nicht nur in der Spielreihenfolge, sondern auch in der Punktzahl das Schlusslicht bildete, hatte ich eine fantastische Zeit. Wir entschieden uns kurzerhand für eine zweite Partie.

Endstand erste Runde

Auch diese endete irgendwann einmal mit ähnlichen Ergebnissen. Als wir fertig waren und die Schuhe wieder abgaben, wurde mir auch hier ein striktes Zahlverbot auferlegt, obwohl ich mich schon in den Vordergrund drängelte. Plötzlich präsentierte Seol Hee ihre Karte und sagte, sie hätte schon gezahlt. Es wäre so viel einfacher, wenn man Koreanisch könnte.

So langsam dämmerte mir, dass der Abend doch noch zu Ende gehen würde. Aber dann fragten die beiden mich, ob ich nicht noch etwas essen wolle. Die letzte Mahlzeit lag erst weniger Stunden zurück, allerdings fiel mir ein, dass wir noch keinen Nachtisch gehabt hatten. Darauf machte ich aufmerksam und fragte, ob es nicht irgendwo in der Nähe diese mit roter Bohnenpaste gefüllten Waffeln in Fischform gab. Sie wussten sofort eine Antwort. An der Haltestelle Sillim würden wir bestimmt fündig werden.

Meine Begleiter hatten Recht. Wie an so vielen Orten in Seoul standen um diese Uhrzeit an der Haltestelle Sillim viele kleine Buden mit Snacks herum. Darunter auch fischförmige Teigspezialitäten mit roter Bohnenpaste.

Fischförmige Waffel mit roter Bohnenpaste

Es gab auch süße, wallnussförmige Teigspezialitäten mit Nusspaste.

Wallnussförmiges Gebäck

Wir aßen in Ruhe zu Ende. Und dann war es so weit. Ich musste mich verabschieden. Es war schon spät, die Fahrt ins Hostel würde noch eine Stunde dauern, und ich musste packen. Ich wollte aber nicht gehen.

Seol Hee und Hulk begleiteten mich bis zum Eingang der Metro-Station. Der Abschied dauerte ewig, aber dann doch nicht lange genug. Wir machten noch Abschiedsfotos. Dann ging ich durch das Tor. Ich drehte mich noch zehnmal um, winkte und verabschiedete mich. Der Aufenthalt in Seoul war nun für mich zu Ende. Hulk rang mir noch einige standardisierte Floskeln ab, die mich an den vorhergehenden Besuch erinnerten. (Hulk: „How are you?“, ich „I am fine, thank you.“ Hulk „I like that, keep going“)

Zurück im Hostel nahm ich eine schnelle Dusche, packte meine Siebensachen, zog mich um und ging ins Bett.

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