Sonntag, 14. Mai 2017
Sylvester in Seoul - Tag 7
Es war an der Zeit meinen koreanischen Ausflug ein bisschen internationaler zu gestalten, weshalb ich mich zu einer Reise nach Itaewon, also dem amerikanisch inspirierten Teil Seouls, hinreißen ließ. Bei unserem letzten Aufenthalt hatten wir diese Gegend bewusst gemieden, doch nun war ich neugierig.

Als ich aus der Metrohaltestelle emportauchte und die ersten Eindrücke dieses Stadtteils in mir aufnahm, wollte sich keine echte Begeisterung einstellen. Irgendetwas schien fade und schal. Es sah eindeutig nicht nach Seoul aus, auch wenn ich Schwierigkeiten hatte, dieses Gefühl an etwas Konkretem festzumachen oder zu definieren. Davon ließ ich mich keinesfalls abhalten. Eine Tour stand auf dem Programm und ich gedachte, sie durchzuziehen. Also spazierte ich erst einmal gemütlich die Hauptstraße entlang und betrachtete die zahlreichen Geschäfte. Was mir sofort auffiel, war, dass Itaewon dreckiger als der Rest Seouls war. Es waren nicht nur die vereinzelt rumliegenden Abfälle, die ein unachtsamer Bürger gerne mal in die Ecke warf, sondern ganze Müllberge, die auf der Straße auf die Müllabfuhr warteten. Vielleicht streikte diese gerade – ich werde es nie erfahren. Vielleicht verstärkte das triste Wetter meinen ersten Eindruck – wer weiß?

Bezeichnend war jedenfalls, dass an einem Ende von Itaewon ein großer Torbogen schrieb: „Welcome to Korea“ („Willkommen in Korea“), und zwar wenn man Itaewon verließ, was für mich eindeutig unterstrich, dass selbst die Seouliten diesen Stadtteil nicht als voll zugehörig zu Seoul empfanden.

Tor am Ende von Itaewon

Während ich die Straßen entlangspazierte, fielen mir Plaketten auf, die in den Boden eingelassen waren, und Besucher in zahlreichen Sprachen begrüßten. Darauf fanden sich zudem die Umrisse der Nationalflaggen, der Landesgrenzen sowie Name des Landes und der Hauptstadt.

Guten Tag auf Französisch in Itaewon, Seoul

Es gab allerdings nicht alle Länder, ebenso wenig alle Sprachen (was wirklich zu aufwändig geworden wäre) und darüber hinaus war die Lautschrift falsch. Trotzdem war es eine ziemlich coole Idee.

Ich suchte die sogenannte Eatery Street auf, also eine Nebenstraße, in der verschiedene Restaurants und Lokale Tür an Tür miteinander koexistierten. Da gab es einen Mexikaner neben einem Tschechen oder einen Ägypter neben einem Italiener, der wiederum neben einem Chinesen ansässig war. Es war ein lustiges, internationales Durcheinander.

Beispiel für kulinarisches Durcheinander in Itaewon

Selbstverständlich waren auch die Preise ob der exotischen Natur ihrer Produkte ziemlich hoch – und ich vergleiche hier nicht einmal zum koreanischen Durchschnitt, sondern allgemein. Ein Gericht für 25.000 Won (ca. 21 Euro) war keine Seltenheit.

Natürlich gab es daneben auch kleine Snackbuden für den Hunger zwischendurch, wie französische Bäckereien und türkische Eisdielen. Es gab auch Döner
Döner in Seoul (und türkisches Eis)
und ich war kurz versucht, diesen zu probieren, entschied mich aber dagegen, weil ich keinen Hunger hatte.

Auf meinen Streifzügen durch das Viertel entfernte ich mich von der Hauptstraße mit ihren internationalen Hauptattraktionen, um ein wenig im alltäglichen Leben der Ansässigen zu stöbern. Die kleinen Gassen waren bürgersteiglos, eng, bergig (langsam glaubte ich, dass die Hauptstraßen Seouls absichtlich im Tal lagen, um die Stadt für Touristen zu Fuß attraktiver zu gestalten, während der koreanische Otto Normalverbraucher sich allein durch den Heimweg zu Fuß fit hielt.) und alle gefühlten hundert Meter stand ein kleiner Supermarkt. Dank dieser Vorgehensweise fand ich das muslimische Zentrum oder die zentrale Moschee Seouls – ich bin mir nicht so ganz sicher – jedenfalls war ich damit wieder im ausländischen Trott. Die Fassade passte hervorragend zu dem internationalen Flair dieses Viertels. Alles in allem war blau die vorherrschende Farbe. Hellblau, dunkelblau, himmelblau, türkisblau. Eine glänzende Fliesenoberfläche in verschiedenen Blautönen zeigte symmetrische Muster. Das Tor bestand aus mehreren Rahmen, die mal eckig, mal spitz zulaufende Rundbögen waren, und erweckte den Anschein, als wollte ein Torbogen über den anderen hinauswachsen. Es wirkte schlicht und pompös zugleich. Für alle Alphabetisierten stand auch noch etwas über dem Eingang – ich zählte nicht zu den Leuten, die es entschlüsseln konnten.

Muslimisches Zentrum in Itaewon

Als ich mich dann nach einem gemütlichen Café in meiner Preisklasse für ein leckeres zweites Frühstück umsah, wurde es auf einmal schwierig. Lokale und Restaurants verschiedener Herkunftsländer gab es mit Sicherheit en masse, allerdings erwähnte ich eingangs das Preisniveau. Darüber hinaus versprach meine Broschüre, dass es eine Straße voller Cafés in Itaewon gab. Das war mein Ziel. Nach einigem hin und her und planlosem Umherlaufen fand ich diese ominöse Straße, die sich als süße, kleine Fußgängerzone entpuppte,

Café Straße in Itaewon

und stellte fest, dass die meisten Cafés entweder montags geschlossen (heute war Montag) oder völlig überteuert (8.000 Won ≈ 6,60 Euro für einen Tee) waren. Im besten Fall traf sogar beides zu. Nein, auf diese Tour würden Itaewon und ich nie eine gute Beziehung zueinander aufbauen. Vielleicht habe ich aber auch das perfekte Café übersehen. Ich suchte weiter. Tatsächlich fand ich letzten Endes ein Paris Baguette Café, das mit seinen fünf Sitzgelegenheiten eher einem deutschen Stehcafé als einem koreanischen Zentrum für soziale Interaktion gerecht wurde. Dennoch, es gab leckere Snacks, es gab Tee und es gab Sitzgelegenheiten, die mich nicht der Witterung aussetzten. Damit waren alle Kriterien erfüllt. Oh, natürlich waren die Preise auch in einem angemessenen Rahmen. Es gab ein herzhaft belegtes, jedoch süßes und weiches Baguette sowie einen Streuselmuffin und Tee.

Snack im Paris Baguette Café in Itaewon

Gestärkt machte ich mich auf den Weg zu anderen Ecken dieser riesigen Stadt und war froh Itaewon hinter mir zu lassen. Ich suchte die nächstbeste Metro-Station, Noksapyeong (Yongsan-gu Office), auf – und war baff! Mittlerweile war ich so einiges gewohnt, was die Kreativität in den Haltestellen dieser Millionenmetropole betraf, aber so eine Konstruktion hatte ich bis dato noch nicht gesehen.

Gekrönt wurde diese unterirdische Einstiegsmöglichkeit zum ÖPNV von einer gläsernen Kuppel. Diesen Glasbau hatte ich schon im Vorbeigehen bemerkt, mir aber keine Gedanken über seinen Zweck gemacht. Drinnen hatte man die Wahl, ob man Treppen oder Rolltreppen benutzte (selbstverständlich gab es auch Fahrstühle), um die zwei oder mehr Etagen in die Tiefe zu gelangen. Auch die Anordnung der Treppen war ein bisschen aufgelockert, wodurch ein wenig Abwechslung in eine alltägliche Strecke gebracht werden konnte. Das Loch, in das man absteigen musste, hatte eine runde Form, schließlich war es direkt unter einer Kuppel. Das ließ den Innengestaltern ein wenig Spielraum bei der Gestaltung, denn manchmal waren die Treppen am inneren Rand des Kreises, manchmal durchschnitten sie ihn, während sie nach unten führten.

Noksapyeong (Yongsan-gu Office)- Metrohaltestelle

Darüber hinaus gab es Kunstwerke in Form von beleuchtetem Buntglas an den Wänden und Treppen sowie verschiedene Schriftzüge auf den Stufen. Alles in allem war es sehr hell und freundlich.

Kunst in Metrohaltestellen

Es war erstaunlich, was man aus einer Haltestelle machen konnte. Ebenso verwunderlich war, wie wenige Geschäfte es hier gab. Als ich an meinem Ziel, der Yeouinaru-Haltestelle, ankam, begrüßte mich erneut ein Kunstwerk statt einer Treppe.

Kunst in Metrohaltestellen

Nachdem ich genug von Itaewon gesehen hatte, zog es mich weiter durch die Straßen Seouls. Um das Gebäude der Nationalversammlung herum gab es noch einige Sehenswürdigkeiten, die ich mir für diesen Tag herausgesucht hatte. Ich fing an im Yeouido Hangang Park, der natürlich kunstvoll hergerichtet war.

Heckenfiguren im Yeouido Hangang Park

Diesjähriges Motto

Stillgelegter Bach im Park

Es gab schöne Figuren, die ins Buschwerk geschnitten worden waren, man konnte die Skyline des gegenüberliegenden Ufers bestaunen, Skulpturen standen in der Gegend, Grünflächen wechselten sich mit Gehwegen ab, es gab einen schön angelegten, künstlichen Bach (der gerade nicht floss, weil es zu kalt war) und ein Zirkuszelt stand tatenlos herum.

Als ich weiter am Ufer entlangspazierte, fand ich die kleine Meerjungfrau, die offensichtlich aus Kopenhagen entführt worden war! Nein, das stimmte nicht: Es handelte sich um ein Geschenk der dänischen Hauptstadt an das südkoreanische Pendant.

Kleine Meerjungfrau in Seoul

Außerdem gab es eine Bühne, die auf dem Wasser schwamm. Sie war kuppelförmig, eine Hälfte durchsichtig, die andere schimmerte in bunten Schuppen wie ein exotischer Fisch.

Schwimmende Bühne

Als ich den Park nach einiger Zeit verließ, fand ich ein Boot der etwas anderen Art vor. Es stand auf einer Kreuzung, war weiß und aus Stein.

Bootskulptur neben dem Yeouido Hangang Park

Normalerweise konnte man dieses Kunstwerk begehen, doch aufgrund der Witterung war es zurzeit für Besucher gesperrt.

Dann überquerte ich die Straße, um in den Yeouido-Park zu gelangen, und blickte der imposantesten Ansicht ever entgegen. Eine zwölfspurige Straße trennte hier deutlich den Park von angrenzenden Gebäuden, während diese sich in einer Reihe aus Glas und Stahl in den Himmel reckten. Dieser Kontrast zwischen einer riesig hohen Häuserfront und dem Park verlieh dem Anblick etwas Klippenartiges. Leider war ein Foto nicht möglich, da man dafür mitten auf der Kreuzung hätte stehen müssen. Außerdem wäre meine Kamera nicht in der Lage gewesen, dieses Bild einzufangen. Ich überquerte die Straße mehrere Male, nur um dieses Bild immer wieder aus einem sich wechselnden Blickwinkel zu betrachten.

Den Spaziergang durch den Park genoss ich danach umso mehr. Im Yeouido Park gab es Trampelpfade für Fußgänger, daneben auch Fußgängerwege, eine Straße für Autos und eine designierte Fahrradspur. Darüber hinaus fand man immer wieder behindertengerechte Begehungsmöglichkeiten. Ich stapfte einfach querfeldein über holprige Steine, die einen vagen Weg erkennen ließen, und kam prompt an einem auf Säulen stehenden Pavillon an.

Pavillon im Yeouido-Park





Er war sehr koreanisch, hatte einen Steinboden und durfte selbstverständlich begangen werden. Um ihn herum fanden sich Picknickplätze, Sitzgelegenheiten sowie eine schöne Aussicht auf das Grün drum herum. Wie so oft in diesen kalten Tagen fand ich auch hier ein trockenes Flussbett vor, das im Sommer mit Sicherheit plätscherndes Nass enthielt. Zierliche Laternen säumten die Pfade im Yeouido-Park, wodurch man auch abends und bei Nacht sicher seinen Weg finden konnte.





Ich bahnte mir meinen ziellosen Weg zum Teich, der im Herzen des Parks ruhte, und stellte fest, dass er stellenweise noch zugefroren war. Anscheinend war es die Nächte zuvor recht kühl gewesen. Auch hier gab es Sitzgelegenheiten in und außerhalb von Pavillons. Nicht weit vom Teich entfernt gab es einen unebenen Weg, dessen Beschaffenheit ständigen Wechseln unterworfen war. Er war um einen Hügel mit Büschen herum angelegt. Tatsächlich handelte es sich um einen Akupressur-Pfad, den man vermutlich barfuß hätte ablaufen sollen.

Akupressurpfad im Park

Aufgrund der Temperaturen entschied ich mich allerdings dafür meine Schuhe anzulassen, während ich darüber trampelte. Dennoch spürte ich deutlich die Unterschiede.

Neben einem Spielplatz fand ich zudem sehr viele Grünflächen, die sich hervorragend für Picknicks und Ballspiele eigneten. Zu dieser Tages- und Jahreszeit waren aber nur wenige Leute unterwegs. Außerdem gab es neben Toiletten auch Mikrowellen, in denen man sein Essen erwärmen konnte.

Öffentliche Mikrowellen für Besucher

Am Südende des Parks bog ich rechts ab und nahm Kurs auf die Nationalversammlung Seouls. Eine Allee mit kleinen Bäumen und hohen Laternen führte zielstrebig drauf zu. Für die fleißigen Arbeiter der Gegend hatte man einige kunstvolle Sitzgelegenheiten am Straßenrand bauen lassen.

Auf dem Weg zur Nationalversammlung Seoul

Dann stand ich vor den Toren dieses kolossalen Bauwerks, das von einer enormen, grünen Kuppel gekrönt wurde.

Das Gebäude der Nationalversammlung von außen

Ich wollte mir das Gelände ansehen, einen Rundgang auf eigene Faust unternehmen, doch war das leider nicht möglich. Kaum war ich durch das Tor gegangen, hielt mich ein Soldat auf und fragte mich freundlich, ob er mir helfen könne. Die jungen Männer standen zu dritt um mich herum, weil nur einer von ihnen sich traute Englisch zu sprechen, während die anderen ein bisschen hilflos dreinblickten. Ich nutzte die Gelegenheit und fragte nach Informationen zu dem Gebäude, weil dort ein großes Schild mit dem Wort „Information“ hing. Also händigte man mir eine Broschüre aus und bat mich wieder zu gehen.

Um sich die Versammlungshalle und das Gelände anzusehen, musste man eine Tour mindestens drei Tage im Voraus buchen, und selbst dann war nicht gewährleistet, dass man sich das Gebäude tatsächlich ansehen durfte, weil solche Veranstaltungen kurzfristig abgesagt werden könnten, wenn spontan wichtige Tagungen anstanden. Für das nächste Mal weiß ich Bescheid. Wie dem auch sei, der Anblick von weitem war schon beeindruckend.

Es war Zeit also meines Weges zu ziehen und andere Sehenswürdigkeiten aufzusuchen.

Mein nächstes Ziel war das Express Bus Terminal, ganz einfach nur, weil es in meinem Reiseführer stand. Ich nahm an, dass es einen guten Grund dafür gab, dass es explizit aufgeführt wurde. Also nahm ich die Metro, stieg an der Haltestelle Express Bus Terminal aus und entdeckte die nächste bemerkenswerte Haltestelle: Hier hatte man die Stufen neben der Rolltreppe mit Hintergrundbeleuchtung und Musik verssehen. Jedes Mal, wenn eine Person drauftrat, leuchtete die Stufe auf und ein Ton wurde gespielt. Im oberen Teil der Treppe erkannte man sogar eine Melodie, da die Töne ineinander übergingen. Ich war begeistert. Natürlich verzichtete ich auf die Rolltreppe und ging die wenigen Stufen zu Fuß hoch.

Musikalische Treppe am Express Bus Terminal

Dann stand ich vor dem Bus Terminal. Es hatte eine eigenwillige Bauweise, die ich wirklich als sehenswert empfand. Schräge Pfeiler stützen einen sechsstöckigen Bau, so dass er wie ein riesiger Tausendfüßler aussah.

Express Bus Terminal von außen

Das Gebäude war einer älteren Machart, zweifelsohne, doch innen war es schön erneuert und erhellt worden. Selbstverständlich fanden sich zahllose Restaurants und Geschäfte darin. An einem Ende gab es den Ticketschalter für Bustickets, und wenn man einmal quer hindurchging, kam man an einem großen Parkplatz für Mehrpersonenvehikel an. Damit hatte man aber auch schon alles Sehenswerte gesehen, wenn man nicht gerade diese Möglichkeit zum Shoppen nutzen wollte.

Ich wollte nicht. Stattdessen brach ich zum Französischen Dorf aus, das hier irgendwo in der Nähe sein musste. Nicht weit vom Express Bus Terminal (na gut, ich brauchte zwanzig Minuten zu Fuß dorthin) nahm meine internationale, wenn nicht gar interkontinentale Besichtigung an diesem Tag ihre Fortsetzung. Ich wollte mir Seorae Village ansehen, also einen kleinen Teil in Seoul, der den Großteil der frankophonen Bevölkerung beherbergte. Ich versprach mir französischen Charme: rissige Gebäude, Kreisverkehre, enge, aufgerissene Straßen. Doch ich fand so ziemlich das Gegenteil davon.

Zuerst einmal gelt es den Beginn dieser Siedlung zu finden. Im Gegensatz zu Itaewon gab es nämlich keine große Metro-Haltestelle, die einen direkt ans Ziel brachte (sonst hätte ich nicht laufen müssen). Wenn man als aufmerksamer Tourist die Straße entlangspazierte, fiel einem früher oder später bestimmt die eine oder andere Flagge auf, die zwar farblich gewisse Ähnlichkeit mit der koreanischen aufwies, jedoch ein ganz anderes Muster hatte. Damit man diese beiden aber nicht verwechselte, hing genau gegenüber das koreanische Pendant.

Frazösische und koreanisch Flagge geben sich die Hand

In dem Fall konnte man sich sicher sein, dass man eine Straße des französischen Dorfes, Seorae Village, passierte – oder unwissentlich mitten hineingetappt war. Ich war also da. Frankreich in Korea.

Die Straßen waren gerade und gepflegt, es gab schöne, ordentliche Bürgersteige; selbst abseits der Hauptstraße dieses Dorfes waren Poller aufgestellt, um den niedrigen Gehweg von der Fahrbahn zu trennen. Das war mehr Luxus als im Rest von Seoul. Junge Bäumchen wuchsen in Vor- und Hinterhöfen. Im Vergleich zu den Hochhaussiedlungen drum herum standen hier nur geduckte, aber äußerst moderne und gepflegte Bauwerke; für die Bewohner gab es Reihenhäuschen. Niemand hupte. Überhaupt gab es viel zu viele Ampeln und einen zu gesitteten Verkehr. Mit viel zu viel meine ich zwei, aber das reicht, weil die Franzosen stattdessen bestimmt Kreisverkehre gebaut hätten.

Frankreich in Korea - angeblich

Immerhin gab es zahlreiche Zebrastreifen statt Fußgängerampeln. Doch die Autofahrer nahmen Rücksicht auf die Fußgänger. Das einzig wirklich französische waren die Namen der Cafés (Paris Baguette, O’Fête, Paris Croissant) sowie die Tatsache, dass es hier viel mehr Wein zu geben schien – oder dieser wesentlich plakativer vermarktet wurde. Die Tatsache, dass alle Werbung für Wein aber auf Englisch war, gab dem Ganzen einen absurden Touch.

Wine Terrace

Verwirrt zog ich wieder von dannen. Es ging zurück zum Busterminal, weil ich mich dort an koreanischer Küche sattessen wollte. Einige Gerichte auf meiner Liste hatte ich noch nicht wieder zu mir nehmen dürfen, was ich heute zu ändern gedachte. Immerhin hatte ich nicht mehr viel Zeit. Ich entschied mich für Omurice mit einer Rolle Kimbap dazu.

Omurice mit Kimbap und Beilagen

Es war vorzüglich. Tatsächlich war das Kimbap das beste, das ich seit langem gegessen hatte. Anfangs wusste ich nichts mit der Suppe anzufangen, weil sie einfach mit dem anderen Essen serviert wurde, aber da andere Gäste sie ebenfalls bekamen, machte ich mir keine weiteren Gedanken darüber. Nach dem leckeren Mahl ging es ans Bezahlen und an dieser Stelle wurde es interessant. Es war nicht das erste Mal, dass ich in einem urigen Lokal in Korea aß, ebenso wenig war es das erste Mal, dass die Angestellten kein Wort Englisch sprachen. Was jedoch zum ersten Mal in dieser Reise vorkam, war die Tatsache, dass sie sich trotzdem mit mir unterhalten wollten. Die nette Dame an der Kasse fragte mich mit einfachen koreanischen Worten (, die ich sogar verstand), ob ich ein Auslandssemester machen würde. Leider fiel mir das Wort für Sightseeing nicht ein, weshalb wir uns nur rudimentär darauf einigten, dass sie Russisch konnte, ich allerdings Englisch und wir so auf keinen gemeinsamen Nenner kommen würden. Dennoch war es sehr angenehm.

Zum Abschluss dieses Tages wollte ich noch den Regenbogenwasserfall im Banpo Hangnang Park sehen, obwohl ich davon ausging, dass das Wasser um diese Jahreszeit stillgelegt sein würde. Ich war davon überzeugt, die Brücke, an der dieser Wasserfall war, schon einige Male von weitem gesehen zu haben, nämlich als ich mit der Metro über andere Brücken in Seoul fuhr. Doch ich hatte es mir in den Kopf gesetzt, einen näheren Blick zu riskieren. Was ich immer wieder von weitem sah, waren bunte Lichter, die entlang einer Brücke für ein bisschen Abwechslung im städtischen Nachtdunkel sorgten. Mit ein bisschen Wasser konnte ich mir gut vorstellen, dass es wie ein Regenbogenwasserfall aussah.

Also brach ich nach meinem Mahl im Express Bus Terminal Richtung Flussufer auf. Am Fluss lag der Banpo Hangang Park und ich versprach mir davon, dass er mich zur Banpodaegyo Bridge Moonlight Rainbow Fountain bringen würde – also zur Banpodaegyo Mondschein-Regenbogen-Springbrunnen-Brücke. Immerhin war es in meiner Broschüre so eingezeichnet. Als ich auf dem Boden verschiedene Tafeln fand, die den Weg zum Park bestätigten, wurde meine Gangart nur noch zügiger.

Auf dem Weg zur Banpodaegyo Bridge Moonlight Rainbow Fountain

Mittlerweile war es dunkel geworden, doch das war der Plan gewesen, denn anderenfalls hätte man die Lichter wohl kaum bemerkt. Ich stolperte an großen Hauptverkehrsstraßen entlang, durch unterirdische Fußgängerüberwege mit Einkaufspassagen, über Brücken und schmale Gehwege, durch Unterführungen und enge Gänge, bis ich vor dem Fluss stand – und erst einmal stockte. Das hatte ich so nicht geplant.

Da stand ich unter einer Brücke, vor mir eine zweite Brücke, und sah links vor mir farbenfroh erleuchtete Glasbauten. Das war zwar jetzt nicht der Regenbogen, den ich gesucht hatte, aber es war trotzdem schön bunt, hell und hatte mit Wasser zu tun. Spontan entschied ich mich zu einer näheren Betrachtung.

Die Schwebenden Inseln

Wie sich herausstellte, war ich über die Sebitseom Inselchen gestolpert. Das waren drei künstlich aufgeschüttete, schwimmende Inselchen, die am Rand des Hangang Flusses vor sich hinschaukelten. Miteinander und mit dem Festland waren sie über schwimmende und schwankende Brücken verbunden. Der Jahreszeit entsprechend war alles in schöne Lichter gehüllt und hier und dort erkannte man winterliche oder weihnachtliche Motive. Doch damit noch lange nicht genug! Wozu sollte man Inselchen aufschütten und diese nicht nutzen? Nein, das würde nicht passieren. Auf den schwebenden Inseln standen Gebäude, große Glasbauten, die von innen her bunt beleuchtet wurden. Sie änderten ihre Farben im Minutentakt. Blau, rot, grün, gelb, lila, orange, alles der Reihe nach. In diesen Gebäuden gab es verschiedene Entertainmentmöglichkeiten: von Event-Halls über 3D-Erlebnisrestaurants zu ganz gewöhnlichem Shopping. Darüber hinaus hatten die drei Inseln mit ihren Gebäuden auch noch eine symbolische Funktion, die auf koreanischen Touristenhompage erklärt wird:



Das Thema bei der Schaffung der Inselchen war „Blumen des Hangang Flusses“. Sie repräsentieren die Aussicht, das Leben und die Erde, aber gleichzeitig auch verschiedene Phasen im Leben einer Blume. Die größte schwebende Insel steht für die Aussicht und repräsentiert eine Blume in voller Blüte. Die mittlere Insel steht für das Leben und repräsentiert eine Blumenknospe. Das kleinste Inselchen steht für ein Samenkorn und repräsentiert damit logischerweise die Erde. Um die ganze Symbolik noch deutlicher zu machen, schwammen riesige Blümchen auf dem Wasser zwischen den Inseln. Selbstverständlich hatten diese auch unterschiedliche Größen.

Drei Blumen im Wasser repräsentieren die Inseln und ihre Konzepte

Es war ein hübsches, stimmiges Bild. Die sanft wogenden Wellen, die immer wieder gegen die Ufer schwappten und die Brücken zwischen den Inseln in Schwingung versetzten, taten ihr übriges zur zauberhaften Atmosphäre bei. Nach einiger Zeit und genauer Besichtigung ging ich weiter. Immerhin galt es einen Regenbogenwasserfallursprung zu finden.

Doch zuvor wurde ich noch von der komischen Brückenkonstruktion aufgehalten. Hier verliefen wirklich zwei Brücken parallel untereinander – oder übereinander, je nach Blickwinkel. Die untere Brücke hing knapp über dem Wasser und war älter als die obere. Ihr Name war Jamsu Brücke. Bei starkem Regen und steigendem Wasserpegel wird die Brücke gesperrt und den steigenden Fluten überlassen. Einige Meter darüber, sicher vor dem Hangang Fluss, verbindet die Banpo Brücke Nord- und Südufer miteinander.

Wie ich später erfuhr, war es eben diese Banpo-Brücke, an der das Wasserschauspiel hätte stattfinden sollen, doch weder Lichter noch Wassermassen waren an. Ich fragte mich also, welche Brücke noch so bunt beleuchtet war. An diesem Tag sollte ich es nicht herausfinden. Ich wagte noch einen kurzen Spaziergang durch den Park um die Brücke herum, stellte aber schnell fest, dass es bei den Lichtverhältnissen nicht den geringsten Sinn hatte, irgendein besonderes Ziel anzustreben. Also machte ich mich bald auf dem Weg zurück in die Herberge.

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