Sonntag, 23. April 2017
Sylvester in Seoul - Tag 4
An meinem vierten Tag in Seoul war ich mit Anneena verabredet. Sie wollte mich ihren Freunden vorstellen, weil ich einen seltsamen, eher britischen Akzent hatte, während in Korea hauptsächlich amerikanisches Englisch Anklang fand. Meine viel zu junge Koreanerin machte sich gerne darüber lustig, wie ich einige Wörter aussprach. Wie dem auch sei.

Wir waren in Hongdae verabredet. Als ich dann endlich am richtigen Ausgang der richtigen Haltestelle angekommen war, scharrte sich auf einmal eine Meute kleiner Koreanerinnen um mich. Sie waren alle zwischen zwölf und dreizehn Jahren alt (es fällt mir immer wieder schwer mit Sicherheit zu sagen, wie alt sie in Europa wären), alles Mädels, alle sehr auf den Mund gefallen, wenn es darum ging, Englisch zu reden. Außer Anneena. Sobald sie Koreanisch sprachen, sah die Sache schon wieder anders aus.

Besonders lustig war folgende Unterhaltung mit einer von Anneenas Freundinnen:
Ich: „Do you even understand what I am saying?“ (Verstehst du überhaupt, was ich sage?)
Sie: „No!“
Ich: „I might as well say ‚I don’t speak Korean‘ in Korean.“ (Genauso gut könnte ich auf Koreanisch sagen, dass ich kein Koreanisch spreche.)

Zu ihrer Verteidigung: Den zweiten Satz verstand sie erst, nachdem ich ihn wiederholt hatte. Dann lachte sie trotzdem.

Die Mädels hatten auch schon ein Ziel ausgesucht. Sie wollten mir den Kakao-Friends-Shop in Hongdae zeigen. Praktischerweise befand er sich genau vor dem Metro-Ausgang, an dem wir uns trafen. Gute Planung. Weniger gut war, dass wir immer noch zwanzig Minuten warten mussten, weil der Laden noch nicht geöffnet war.

Kakao Friends Shop in Hongdae

Für all jene, die nicht im Bild sind: In Korea gibt es einen eigenen Sofortnachrichtendienst, der wesentlich populärer als Whatsapp ist. Er nennt sich KakaoTalk. Bei KakaoTalk gibt es verschiedene Emots, die ganze Figuren sind. Diese Figuren haben eigene Charaktere, Namen, Macken und Verhaltensweisen. Es gibt ein Standardpaket, das bei der Installation von KakaoTalk dabei ist, zusätzlich kann man aber auch Sondereditionen käuflich erwerben. Darüber hinaus ist es wesentlich einfacher, solch putzige Figürchen und ihre gesamten Merchandise-Artikel in Korea zu vertreiben als in Deutschland. Koreaner, ob groß oder klein, jung oder alt, männlich oder weiblich, haben entschieden weniger Berührungsängste, wenn es um süße, knuffige Sachen geht. Da wird auch mal Geld für völlig unnützes Zeug ausgegeben, bloß weil es einem gefällt und sooooooooo süß ist.

Je länger wir warteten, umso größer wurde die Menschentraube vor dem Eingang. Offensichtlich war der Laden sehr beliebt. Kaum dass die Türen sich öffneten, strömten wir mit den anderen Interessenten hinein. Es gab so gut wie alles mit einem Kakao-Friend-Motiv: angefangen mit Butterbrotdosen und Trinkflaschen, über übergroße Plüschtiere (offensichtlich) und Notizblöcke hin zu Bett- und Unterwäsche. Natürlich gab es auch Babysachen mit dem Lieblingskakaofreund. Auch ich fand eine süße, nette Kleinigkeit, die ich gerne mitnehmen wollte: einen Magneten mit Neo, der Katze. Tatsächlich war das nur meine zweite Wahl, aber der Magnet, den ich haben wollte, war ausverkauft. So oder so war ich mit meinem Kauf äußerst zufrieden.

Magnet der Katze Neo (Kakao Friends)

Selbstverständlich war das Innendekor auch auf Kakao-Friends getrimmt. Die Wände waren voll mit Bildern dieser Emots,

Wanddekoration im Kakao Friends Shop: alle Freunde

Wanddekoration im Kakao Friends Shop: Ryan

im Hintergrund liefen in einer Endlosschleife kurze Filmchen über die Charaktere, es gab sogar Figuren, die 1,5 Meter groß waren. Eine Figur von Ryan, dem neusten Mitglied der Kakao-Familie, war sogar drei Meter hoch. Fotos von und mit den Figuren waren ausdrücklich erwünscht. Im dritten und obersten Stockwerk dieses Verkaufsraumes gab es sogar ein Café, in dem man charakterbezogene Speisen und Getränke bestellen konnte. Wir entschieden uns dagegen, dort zu verweilen, weil die Preise doch recht happig waren. Stattdessen zogen wir nach einer ausgiebigen Runde mit vielen Fotos und einigen Einkäufen weiter. Einige meiner Begleiterinnen kauften sich sogar extra Tüten für ihren Einkauf, weil sie diese Taschen so klasse fanden – natürlich war ein Kakao-Freund drauf.

Die Mädels beschlossen einstimmig, dass es an der Zeit war, sich ein Lokal zum Essen zu suchen. Da sie mich fragten, was ich gerne essen würde, versteifte ich mich auf Jajangmyeon (ich habe keine Ahnung, wie das in deutschen Lettern geschrieben wird). Es waren Nudeln mit Sauce aus schwarzen Bohnen. Also schlenderten wir durch die Gassen von Hongdae, vorbei an zahllosen Marktständen und diversen Restaurants. Denn obwohl die Auswahl riesig war, musste es jetzt Jajangmyeon sein – Wunsch des Gastes. Nach einigem hin und her und häufigem Schaufensterbummel, weil die Mädels immer wieder etwas fanden, das ihnen so süß, so toll, so anfassenswert erschien, also einfach nur abgelenkt waren, entschieden wir uns für eine schummrige, unterirdische Lokalität, die ich in Deutschland nie betreten hätte, weil ich Angst um die Kinder bekommen würde – und um meine Nieren.

Auch hier stand nicht allzu viel auf dem Menü, da das Restaurant sich auf wenige Gerichte spezialisiert hatte. Die meisten von uns bestellten Jajangmyeon, während eine von Anneenas Freundinnen sich für Muschelsuppe entschied. Als Beilage beschlossen die Mädels auch Eier zu nehmen. Also brachte die Bedienung uns ein Körbchen voll Eier. Roher Eier. Sie zeigte zum vorderen Teil des Restaurants und erklärte den jungen Damen etwas, was sie ganz selbstverständlich hinnahmen. Ich guckte sie an, wie ein Ausländer, der nichts verstanden hatte. Also fragte Anneena mich, wie ich mein Ei wollte. Ich bat um ein Spiegelei. Anstatt einer Antwort stand sie auf und nahm die Eier mit. Ich guckte verwirrt drein, bis mir jemand erklärte, dass man die Eier selbst braten musste. Da guckte ich noch dümmer aus der Wäsche. Ich wollte es anfangs nicht glauben, weshalb ich aufsprang und den beiden Mädels folgte. Tatsächlich standen sie am Eingang des Restaurants und warteten darauf, dass einige Kunden vor ihnen die Pfanne frei machten. Man musste die Eier selbst zubereiten.

Selbstgebratene Eier in einem Restaurant. Kinderarbeit ;)

Portion Jajangmyeon

Eine Freundin von Anneena nahm sich dieser Herausforderung an und meisterte sie hervorragend. Die Spiegeleier waren köstlich. Das Jajangmyeon war fast zeitgleich mit den Eierbrätern am Tisch. Es war genauso lecker, wie ich es erwartet hatte. Mir wurde auch ein bisschen Muschelsuppe angeboten, doch ich lehnte dankend ab. Als wir dann alle fertig waren und uns zum Gehen schickten, riss ich die Rechnung an mich und gab sie nicht mehr her. Gegen diese noch nicht ausgewachsenen Koreanerinnen konnte ich mich immerhin durchsetzen. Dieses Mal würde ich bezahlen! Immerhin war ich die Älteste. Sie neckten mich und sagten wiederholt, ich solle die Rechnung rausrücken, doch ich weigerte mich standhaft. Stattdessen ließ ich sie stehen, ging zur Kasse und bezahlte, ohne sie irgendwie zu beachten. Dann fragten sie mich die ganze Zeit, wie viel sie mir schuldeten, doch ich betonte, dass es ok war. Endlich gaben sie nach. Meine Güte, das waren harte Verhandlungen.

Wir zogen weiter. Nächstes Ziel: ein Nachtisch für mich. Ich nutzte diese Gelegenheit schamlos aus und fragte Anneena, wo ich Hoddeok bekommen würde. Sie versicherte mir, dass das kein Problem sein würde, und führte mich innerhalb von wenigen Minuten zu einer kleinen Bude, die nur koreanische Nachtische verkaufte. Darunter war auch Hoddeok. Selbstverständlich holte ich mir einen; die Mädels wollten nichts.

Hoddeok im Becher

Wir schlenderten weiter durch Hongdae, ohne einen wirklichen Plan zu haben, was wir als nächstes anstellen sollten. Ich fand lustige Socken, die ich mir selbstverständlich käuflich aneignete. Die Mädels konnten sich einfach nicht entscheiden, bis eine von ihnen auf die Idee kam, in ein Café zu gehen. Doch dann blieb noch die Frage, welches Café es werden sollte. Also irrten wir weiter durch die Straßen, bis ein geeigneter Kandidat gefunden war. Es war Holly‘s Café. Während ich mich dort mit einem Tee begnügte, wählten meine Begleiterinnen bunte Getränke in verschiedenen Geschmacksrichtungen. So langsam erklärte es sich von selbst, warum diese eh schon dürren Gestalten so sehr froren: Sie tranken eisgekühlte Getränke bei Minusgraden.

Wir verbrachten einige Zeit in dem Café, unterhielten uns ein bisschen, was sehr putzig war, weil die meisten Mädels sich dazu durchringen mussten, auch nur zwei Sätze mit mir zu wechseln. Ich finde es klasse, dass sie es geschafft haben.

Es dauerte eine lange Weile, bis man sich für das weitere Vorgehen an diesem Tag entschied. Einige junge Damen mussten uns verlassen, weil sie noch zur Academy, also zum außerschulischen Unterricht gehen mussten. Einige andere Damen nutzten mich als Ausrede, um eben dorthin nicht gehen zu müssen. So oder so zogen wir in geringerer Stärke weiter.

Ich erwähnte, dass es da einen Snack gab, den ich mir kaufen wollte, aber dass ich nur einen Laden kannte, in dem dieser zu finden war, weil ich ihn letztes Jahr dort regelmäßig gekauft hatte. Es handelte sich um Schokoflips. Sie waren wir Erdnussflips, aber aus Schokolade. Es gab da ein Geschäft nicht allzu weit von unserem derzeitigen Standort, das ich gerne aufsuchen wollte. Die Anderen hatten keine bessere Idee, also folgten sie mir. Anstatt der Hauptstraße zu folgen, gingen wir den Weg durch die verwinkelten Straßen ohne Bürgersteige, die sich davon abzweigten. Es lief mehr oder weniger aufs Gleiche hinaus, nur dass es so viel interessanter war.

Dann waren wir angekommen.

Mecenatpolis Mall in Hongdae

In den Katakomben dieses Komplexes, Mecenatpolis Mall genannt, verbarg sich ein Supermarkt mit dem wohlklingenden Namen Home Plus. Dies war das Ziel meines Ausflugs. Zuerst gingen wir zielstrebig in den Supermarkt und sahen uns nach Leckereien um. Die Schokoflips von letztem Jahr gab es nicht mehr, aber eine andere Marke hatte ein ähnliches Produkt auf den Markt geworfen. Vorsichtshalber nahm ich es mit in der Hoffnung, dass es dem Original nahe kommen würde. Das tat es leider nicht. Es war lecker, ja, sehr schokoladig, aber viel zu mächtig. Die anderen Schokoflips waren fluffig leicht gewesen. Schade drum. Meine Begleiterinnen empfahlen mir noch jede Menge anderer Süßspeisen, darunter Flips mit Ahornsirup und einen koreanische Chipsvariante, die aber für Franziska gedacht war, weil sie für mich zu scharf gewesen wäre. Ich schwatzte den Mädels noch ein Kinder Country auf, was sie nur widerwillig annahmen, weil Anneena sie schon mit der deutschen Spezialität „salziger Lakritzhering“ vertraut gemacht hatte. Ich musste ihnen schwören, dass das hier nicht so schlecht schmeckte. Lakritze ist eben nicht jedermanns Sache.

Nachdem der Einkauf erledigt war, musste ich mehr von der Mall besichtigen. Das lag nicht nur daran, dass eine ungewohnte Nostalgie in mir aufkam, sondern auch an der Neugier meiner Begleiterinnen, die hier und da interessante Geschäfte entdeckten. Diese Schlenderei genoss ich richtig. Man hatte das Innendekor geändert: Kleine Windmühlen zierten die künstlichen Blumenbeete. Künstliche Tulpen erinnerten ebenfalls an Holland. Es gab extra Podeste inmitten der künstlichen Blumenpracht, um optimale Fotos schießen zu können. Die bunten Regenschirme waren immer noch vor Ort. Herrlich.

Neues Dekor der Mecenatpolis Mall

Blick auf dem Mecenatpolis Mall von oben


Als der Rundgang sich seinem Ende näherte, fielen meinen Begleiterinnen keine Ausreden oder neuen Ziele ein. Daher entschlossen wir uns, heute getrennte Wege zu gehen. An der Haltestelle verabschiedeten wir uns und ich fuhr zurück ins Hostel. Doch es war noch viel zu früh, um den Tag ausklingen zu lassen, weshalb ich mich kurzerhand dazu entschloss, Hulk in seinem Hotel zu besuchen. Immerhin hatte er mir angeboten, dass ich jederzeit vorbeischneien könne. Ich packte meine Siebensachen, die Geschenke für ihn und Seol Hee, die tags darauf Geburtstag haben würde, und setzte mich wieder in die Metro.

Wenige Minuten später stand ich bei ihm an der Rezeption. Die Dame am Schalter, es war nicht Anne, bekam erst einmal einen kurzen Herzstillstand, als sie mich selbstsicher ins Foyer marschieren sah. Als ich aber nach dem Manager fragte, fiel ihr ein Stein vom Herzen und sie eilte ins Hinterzimmer, um ihren Chef zu holen. Ich kann nicht sagen, wie gut ihre Englischkenntnisse waren.

Hulk empfing mich warmherzig und fing im nächsten Atemzug schon an, sich zu entschuldigen, weil er jetzt so viel zu tun hatte und wenig Zeit für mich fand. Ich bemühte mich darum, ihn zu beschwichtigen, schließlich hatte ich damit gerechnet, dass er mit Arbeit eingespannt sein würde. Daraufhin versprach er mir, einen ganzen Abend Zeit für mich zu finden, bevor ich noch abreise. Das fand ich süß. Um ihn ein bisschen aufzuheitern und weil mein Rucksack langsam schwer wurde, übergab ich ihm meine Geschenke an die beiden. Es war eine Menge ausgesuchter Süßigkeiten, insbesondere Kekse und Waffeln, eine Flasche Killepitsch und ein Kochbuch für Seol Hee. Letztes Jahr hatte Seol Hee erzählt, wie sehr sie Kartoffeln liebte. Aber leider hatte sie keine Ahnung, wie man Kartoffeln zubereitete. Also hatten wir ihr ein Kochbuch mit Kartoffelrezepten auf Englisch besorgt. Es schien das perfekte Geschenk – und sie bestätigte es. Aufgeregt teilte sie mir mit, dass sie jetzt mehr Englisch lernen müsse, um das Buch zu verstehen.

Ich hatte eine ruhige Minute erwischt, so dass Hulk mir einige Momente seiner kostbaren Zeit zur Verfügung stellen konnte. Wir plauderten, scherzten und machten Pläne, bevor er wieder zur Arbeit gehen musste. Ich erkundigte mich, ob er einen guten Laden mit Kimbap in der Nähe kannte, weil ich wirklich Lust darauf hatte. Er verneinte, gab mir aber den Tipp, mich in der Nähe meiner Haltestelle umzusehen, weil es dort immer viele kleine Lokale gab. Das nahm ich mir zu Herzen.

Mit diesen Worten verließ ich meinen Manager des Jahres und fuhr wieder ins Hostel zurück. Mittlerweile war es schon später und so langsam wollte ich den Tag ausklingen lassen. An der Haltestelle ging ich einen anderen Weg und fand auf Anhieb ein kleines Lokal, das nur Kimbap anbot. Große Werbeschilder mit bunten Bildern luden alle Leute deutlich ein. Als ich eintrat, sah ich kurze Panik in den Gesichtern der Angestellten auflodern. Dann machte ich aber mit einfachen Worten und zusätzlichen Handzeichen meine Wünsche deutlich, woraufhin reges Treiben begann. Ja, so viel Koreanisch konnte ich mittlerweile. Kimbap wird immer frisch zubereitet. In wenigen Minuten war es fertig, ich zahlte meinen Betrag und verließ die Damen mittleren Alters mit einem Lächeln. Zum Abendessen gab es Kimbap. Es war sehr lecker.

Kimbap

Kimbap: Close up

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