Sonntag, 16. April 2017
Sylvester in Seoul - Tag 3
Tag 3 in Seoul war ein historischer Tag. Nicht, dass ich irgendwie in die Geschichtsbücher eingehen würde, nein, einfach nur deshalb, weil ich mich für historische Sehenswürdigkeiten entschied und eine kleine Zeitreise durch die Stadt machte.

In der Nacht auf Donnerstag hatte es geschneit, und obwohl es nicht viel Niederschlag gab, lag noch immer eine dünne Schicht weißer Wunderpracht hier und da. Stellenweise waren auch Straßen und Gehwege vereist, was die Seouliten keinesfalls von ihrem Alltag abhielt. Die Luft war klar, frisch und eisig. Sie zwickte in die Wangen, doch es war keine Kälte, die bis unter die Haut ging. Es war herrlich – jedenfalls für mich war es ein Wetter nach Maß.

Für diesen Tag hatte ich mir vorgenommen, die ehemalige Stadtmauer in Teilen zu besichtigen und einige andere Sehenswürdigkeiten im Umkreis davon mitzunehmen. Nach meinem ausgewogenen Frühstück im Hostel brach ich auf. Das erste Ziel war der Dongdaemun Design Plaza.

Dieses riesige Gebilde beherbergte Ausstellungsräume, ein Design-Museum, Sky Lounge und einen Souvenirshop. Von außen sah dieser außerirdisch wirkende Koloss wie ein silber-grauer, mit Kacheln besetzter Blob aus zähflüssiger Masse aus, der irgendwann vom Himmel auf die Landschaft gefallen und festgefroren war. Um ihn herum fanden sich aller Art von Kunstwerken und Kulturgütern, angefangen von sphärischen Stücken, über Plastikbäume hin zu Fundamenten vergangener Jahrhunderte. Doch ein immer wieder auftauchendes Thema waren verschiedene, teils entstellte Figuren von Menschen oder humanoiden Formen. Ich mochte sie nicht. An einigen Stellen, die bis zu dieser Stunde noch nicht vom Sonnenlicht berührt worden waren, lagen noch einige zarte Zentimeter Schnee.

Dongdaemun Design Plaza

Dongdaemun Design Plaza

Dongdaemun Design Plaza

Die ganze Konstruktion wurde hier und dort zudem von Grasflächen aufgelockert. Ich bin mir sicher, dass es im Sommer viel kunstvoller aussah, denn jetzt in der Winterzeit war das Gras trüb-braun. Die schiere Größe, aber auch die runde Formgebung des Plazas beeindruckte mich sehr. Ich war viel zu sehr damit beschäftigt mir die äußere Struktur anzusehen, als dass ich auf die Idee gekommen wäre, mal einen Blick ins Innere zu wagen, obwohl ich an mehreren Eingängen vorüber lief.

Dann lenkte mich eine andere Sehenswürdigkeit direkt neben dem Dongdaemun Design Plaza ab: die alte Stadtmauer – mein eigentliches Ziel für den Tag.

Blick auf ein begehbares Stück der Stadtmauer neben dem Dongdaemun Design Plaza

Aus einer kleinen Senke ragte ein Stück breite Mauer hervor. Es war nicht hoch, es war nicht sonderlich beeindruckend, es war nur das Fundament. Aber man durfte drüber laufen. Also lief ich erst in die eine, dann in die andere Richtung, bis ich genug davon hatte und weiterzog.

Als nächstes stand ein weiteres Stadttor auf meiner Liste, nämlich das Heunginjimun Tor.

Heunginjimun Tor

Im Gegensatz zum Sungnyemun Tor war dieses von einer Mauer umgeben. Genau wie das Sungnyemun Tor stand dieses an einer großen Kreuzung. Während meines Besuches wurde das Tor gerade saniert, so dass man hier und da einige Gerüste oder Trennwände sehen konnte. Insgesamt gibt es heute noch sechs Tore in Seoul, die alle aus dem Ende des 14. Jahrhunderts stammen. Zwei weitere Tore wurden zerstört, so dass man an ihrer Stelle nur noch Hinweise auf ihre ehemalige Existenz findet.

Man musste nur die Kreuzung am Heunginjimun Tor überqueren, um in den Dongdaemun Seonggwak Park zu gelangen und ein großes Stück originaler Stadtmauer zu bewundern.

Der Dongdaemun Park, durch den dieser Teil der insgesamt 18,6 km langen Mauer verlief, war ein kleines Fleckchen Grün (ich vermute, dass es im Sommer grün ist, denn in diesem Winter war Ocker definitiv die vorherrschende Farbe), das zum Flanieren und Ausruhen einlud. Es gab sogar einen kunstvollen Pavillon, um sich hinzusetzen und den Anblick zu genießen.

Dongdaemun Seonggwak Park von oben betrachtet

Pavillon im Dongdaemun Seonggwak Park

Doch ich verspürte keine Lust auf Pause, zumal ein eisiger Wind wehte und die kristallklare Luft Winter mit sich trug. Stattdessen marschierte ich zielstrebig zur Mauer und kletterte neben ihr die Stufen empor. Sie war dick, aus massiven Steinen gebaut. Die Zinnen waren mitunter recht niedrig, doch dahinter verbarg sich oftmals ein Steilhang, so dass man immer noch gut geschützt war. An den verschiedenen Steinen konnte man erkennen, in welcher Epoche die Mauer gebaut, aufgebessert oder erhöht worden war. Durch die Schießscharten konnte man jetzt auf die Wohnviertel von Seoul herabblicken, wo beim Bau der Mauer einstmals die Wildnis angefangen hatte.

Blick auf die Stadtmauer und Viertel dahinter

Der Bereich direkt neben der Mauer war nicht für Bauwerke freigegeben. Stattdessen fand man immer wieder einen Weg, um direkt an der Mauer entlang zu spazieren, oder aber es gab eine Straße, so dass man auf den Verkehr achten musste, oder man fand hier und dort einen Fitnesspark mit Sportgeräten und Sitzgelegenheiten.

Weg entlang der Stadtmauer

Tatsächlich schien sich diese Attraktion auch bei den Einheimischen großer Beliebtheit zu erfreuen, denn keine zwanzig Meter vor mir lief eine Gruppe Ahjummas im Fotoschritt die Mauer entlang. Der Fotoschritt ist eine zielstrebige Gangart, bei der man immer wieder Pausen einlegt, um Fotos zu machen. Bei meinem Ausflug nach Seoul passte ich mich selbstverständlich den Gepflogenheiten der Einheimischen an.



Selbstverständlich lief ich nicht die ganzen 18,6 km der Mauer ab, obwohl der Reiseführer versteckte Schätze, wie beispielsweise alte Wachtürme und weitere Stadttore versprach. Ich hatte noch andere Pläne für den Tag. Mein Weg führte mich nur bis zum Anfang des Naksan Parks, in den ich einen scheuen Blick warf. Ich ruhte mich einen Moment aus, betrachtete den Park und die dahinter liegenden Viertel von oben und kehrte wieder um.



Wenn man lange genug an der Mauer entlang wanderte, fand man früher oder später das Ihwa Maeul, also Ihwa Dorf. Das lag aber, von meiner Warte aus gesehen, vor dem Naksan Park. Also musste ich umkehren, um auch diese Touristenattraktion in Augenschein zu nehmen. Es begann mit einer kleinen Gasse, in der urige Geschäfte zu finden waren. Häuser, die über mehrere Etagen gingen, aber nur eine geringe Grundfläche hatten, verbanden die Straße neben der Stadtmauer mit der engen Gasse, die ein wenig tiefer lag. In diesen Häusern fanden sich Restaurants, Ausstellungsräume, Cafés und Souvenirshops. Oftmals hatten die Gebäude bunte Fassaden oder man fand große Bilder außen an den Wänden. Durch die steile Lage, viele Treppen und enge Beschaffenheit der Straße war es hier besonders ruhig, weil keine Autos durchfahren konnten.

Ihwa Maeul, also Ihwa Dorf

Ich entschied mich kurzerhand für ein Café, das so winzig war, dass es im Inneren nicht mehr als zehn Leuten Platz bieten konnte, obwohl es sich über zwei Etagen erstreckte. Es war super. Sein Name war Café Crayon – und genauso bunt war es auch. Über der Theke hing eine kunterbunte Weltkarte. Plüschtiere und Traumfänger dekorierten den Innenraum. An der Eingangstür hing ein Plüsch-Toothless in pink. Ich nahm einen Fensterplatz im Erdgeschoss ein und trank meinen Zitronentee, während meine erkalteten Knochen ein bisschen Wärme tankten. Die Bedienung war sehr freundlich, wodurch ich mich noch wohler fühlte.

Cafe Crayon im Ihwa Dorf - Außenansicht

Cafe Crayon Innenansicht

Nach einiger Zeit, in der ich einige Leute kommen und gehen sah, war es auch für mich an der Zeit aufzubrechen. Ich schlenderte weiter durch das Ihwa Dorf und betrachtete die bunt bemalten Wände sowie ausgefallenen Gebäudestile.









Es war ein wirklich bizarres Erlebnis. Ich fand alle Arten von Häusern, alte wie neue, traditionelle wie moderne, gut erhaltene wie verrottende, bunte wie eintönige, und zwischen all diesem Wirrwarr gab es immer wieder ein Bild, das einfach so auf die Wand gepinselt worden war. Teilweise waren nur einfache Kleinigkeiten wie ein Paar Engelsflügel, teilweise waren ganze Mauern zu Kunstwerken umfunktioniert worden.

Mittlerweile war ich seit vielen Stunden auf den Beinen und mein Magen verlangte nach einer Beschäftigung. Also machte ich mich auf die Suche nach etwas zu essen. Selbstverständlich musste ich nicht lange suchen, doch ich war wählerisch, da ich mir einige Dinge zu essen vorgenommen hatte. Daher dauerte es doch ein bisschen, bis ich das Richtige für mich fand. Als ich dann in ein Restaurant einkehrte, war ich begeistert. Es gab dort zwei Bereiche, einen mit hohen Tischen, einen mit traditionell niedrigen Tischen. Die Wände waren holzvertäfelt und alles sah sehr schmuck aus. In den Tischen gab es Schubladen mit Besteck, so dass ich mich bediente.

Ich entschied mich für Mandu-Suppe, also eine große Portion Suppe mit koreanischen Maultaschen darin. Selbstverständlich gab es dazu einige Beilagen, Reis und kostenloses Wasser. Es war so heiß, dass ich mir daran den Mund verbrühte und gezwungenermaßen mehr Zeit im Restaurant verbrachte, als ursprünglich vorgesehen. Zwar schwammen nur wenige Mandu in der Suppe, aber diese waren riesig. Sie passten nicht mit einem Happs in den Mund; ich musste daran knabbern.

Mandusuppe mit Riesenmandu und Beilagen

Nach dieser Stärkung zog ich weiter, um meiner künstlerischen Seite ein bisschen Unterhaltung zu bieten. Wer mich kennt, weiß, dass ich mit Kunst nicht allzu viel anfangen kann, aber manchmal fällt mir ein Werk ins Auge und ich mag es einfach. Ein Kenner bin ich dadurch noch lange nicht. Wie dem auch sei, hier in der Nähe gab es die Daehangno Straße, die für Straßenkünstler sowie mehr als 150 kleine Theater berühmt war. Aber auch im ganzen Viertel waren einfach so Kunstwerke aufgestellt. Metall, Stein, Plastik, Holz, alle Materialien waren vertreten; abstrakt, konkret, plastisch, auch an Kreativität mangelte es nicht; einige waren kindlich, andere sehr erwachsen. Alles in allem folgte ich einem nicht ausgeschilderten Weg zum Marronnier Park und verlor mich geistig bei einigen Skulpturen, über die ich unterwegs stolperte.

Auf den Straßen Seouls

Auf den Straßen Seouls

Der Park an sich verdankte seinen Namen den vielen Marronier-Bäumen (eine bestimmte Art von Maronenbaum), die in ihm aufgestellt waren. Im Gegensatz zu anderen Parks fand ich allerdings viel Stein darin vor, denn bis auf ausgewählte kleine Grünflächen gab es einen steinernen Boden. Auch hier fanden sich zahlreiche Kunstwerke, denn das Künstlerhaus war direkt nebenan.

Kunst im Marronier-Park

Kunst im Marronnier-Park

Kunst im Marronnier-Park

Durch den Park hindurch führte mich der Weg direkt auf das Gewirr von Straßen und Gassen, die man als Daehangno Straße bezeichnet. Ich schnupperte nur kurz in diesen Bereich hinein, anstatt tief einzutauchen, weshalb ich nicht viel darüber sagen kann. Aber mein Umherirren führte mich am Schloss-Museum vorbei, also einem Museum, in dem Schlösser und dazugehörige Schlüssel ausgestellt waren. Weil es bereits spät war und ich befürchtete nicht genügend Zeit für eine ordentliche Besichtigung zu haben, blieb ich draußen.

So langsam hatte ich auch das Verlangen wieder in die Herberge zurückzukehren, wurde aber abgelenkt. Auf dem Hinweg hatte ich über den Cheonggyecheon-Bach überquert. Mir fiel auf, dass ich nur den Anfang des Baches kannte, nicht aber sein Ende. Also entschloss ich mich kurzerhand in die anderer Richtung zu gehen. Das war eine schlechte Idee – in gewissem Sinn.

Es stellte sich heraus, dass so weit vom Zentrum und von den allgemeinen Veranstaltungen gar nicht mehr so viel zu sehen war. Es war einfach nur ein Ersatz für den Gehweg weiter oben. Vielleicht war es auch eine Ergänzung dazu. Es gab immer noch ein bisschen Grün und der Weg war gut in Schuss, aber es fehlten die auflockernden Elemente, wie abenteuerliche Möglichkeiten den Bach zu überqueren oder Kunstwerke an den Wänden oder kurze Erläuterungen zur koreanischen Geschichte, die mit diesem Bach zusammenhing. Also kehrte ich um.

Kunst am Cheonggyecheon-Bach

Kunst am Cheonggyecheon-Bach

Geschichte am Cheonggyecheon-Bach

Brücke über den Cheonggyecheon-Bach

Ich beschloss, dass ich, wenn ich schon einmal hier war, zumindest zum Anfang des Baches, also ins Zentrum der Stadt gehen könnte. Oh, wie ich mich verschätzte. Ich hatte wirklich nicht die geringste Ahnung, wie lang dieser Bach war. Im Nachhinein stellte ich fest, dass ich drei Metro-Haltestellen zu Fuß gelaufen war. Kein Wunder, dass ich eine Stunde unterwegs war. Mir fiel auf, dass man sich sogar bei der Gestaltung der Brücken Gedanken gemacht hatte. Die meisten Brücken waren mehr als nur einfache Bauelemente; sie sahen interessant aus. Es erstaunte mich auch sehr, wie weit vom Ursprung noch immer dekorative Elemente zu finden waren. Das täuschte selbstverständlich meine Einschätzung der Entfernung, weil ich mir die ganze Zeit dachte, dass ich doch gleich am Anfang sein müsse. Trotz müder Beine zog ich weiter, denn jetzt wollte ich es wissen.

Eine gute Entscheidung, wie sich herausstellte. Denn obwohl Weihnachten bei weitem nicht das wichtigste Fest für Koreaner ist, gaben sie sich viel Mühe mit der Dekoration. Bunte Lichterketten hingen an Schnüren über den Köpfen der Fußgänger. Die Wände waren ebenfalls lichterloh erhellt. Auch Bäume hatten dran glauben müssen. In der Mitte des Baches standen feierliche Figuren auf Plattformen. Man hatte zusätzliche provisorische Überführungen errichtet, damit die Leute schöne Fotos mit der Dekoration machen konnten. Man hatte sogar Platz für Marktstände geschaffen. Eine Brücke war von unten mit bunten Lichtern bestrahlt, so dass es wie ein Regenbogen aussah. Engelsflüge, überdimensionale Schneeflocken und leuchtende Geschenke waren überall. Es war herrlich bunt.

Weihnachten am Cheonggyecheon-Bach

Weihnachten am Cheonggyecheon-Bach

Weihnachten am Cheonggyecheon-Bach

Weihnachten am Cheonggyecheon-Bach

Damit war ich aber auch geschafft und kehrte in die Ruhe meiner Unterkunft zurück.

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