Sonntag, 2. April 2017
Sylvester in Seoul - Tag 1
Das große Reiseabenteuer, das wir in unserem grenzenlosen Optimismus FOR 1 genannt hatten, weil wir davon ausgingen, dass es eine Fortsetzung geben würde.
Ein Jahr war vergangen, seitdem das große Reiseabenteuer sein Ende genommen hatte.

Falls es noch nicht aufgefallen ist: Seoul hat es mir sehr angetan. Die Stadt gefällt mir, ich mag die Atmosphäre dort, die Gegensätze, die Leute, das Nicht-Deutsche. Was lag also näher als den nächsten Urlaub dort zu planen? Kaum gedacht, schon umgesetzt.

Es begann damit, dass mein Flug, der eigentlich um 9 Uhr nochwas starten sollte, auf 6:40 Uhr verlegt worden war. Das war eine Überraschung der weniger angenehmen Art, weil es meine Umsteigezeit von knapp zwei Stunden auf fünf erhöhte. Macht nichts, dachte ich mir, für Seoul ist das immer noch ein kleiner Preis.

An besagtem Tag brach ich also zu viel zu früher Stunde wieder auf, um einige weniger Tage einige Tausend Kilometer entfernt ein etwas anderes Neujahrsfest zu verbringen. Meine Eltern waren so freundlich mich zum Flughafen zu bringen, was natürlich auch damit zusammenhing, dass sie sich verabschieden sollten. Nach dem Einchecken musste ich auch nicht lange warten, doch die Zeit reichte für einen schnellen Tee. Es ging durch die Sicherheitskontrolle, an einem Ganzkörperscanner gab es dieses Mal kein Vorbei, ich kam an meinem Gate an, stellte fest, dass man schon durchgehen konnte, und ging damit zielgerichtet zum Bus. Wir fuhren übers Rollfeld zu einer Maschine, die die Größe eines Privatjets hatte, in den sich jetzt leider einige Personen zu viel quetschen wollten. In dieser Vergrößerung einer Sardinenbüchse für Jungsardinen fand ich schnell meinen Platz und heraus, dass er sogar für mich ein klein bisschen zu eng geschnitten war. Ich saß gut, keine Frage, aber das Sichsetzen mit dickem Wintermantel stellte eine Herausforderung für mein Gesäß dar. Mit viel Überzeugungsarbeit schaffte ich es dann doch. Der Stauraum war so eng bemessen, dass mein Rucksack nicht in die Ablage über meinem Kopf passte, obwohl er nur leicht bepackt war. Ich musste ihn gezwungenermaßen unter die Füße legen oder weit weg von mir verstauen.

Das Gepäckfach war so schmal, dass niemand sein Gepäck dort verstauen konnte

Die Fenster dieses Fliegers waren ein bisschen anders konzipiert, als ich es bisher kannte: Ihre Jalousien gingen von oben und unten zu, aber jeweils nur bis zur Hälfte.

Als alle Passagiere an Bord waren und es dann losging, fragte ich mich für einige Zeit, ob ich tatsächlich an Bord des richtigen Gefährts war. Die Maschine hieß „Flugzeug“, wenn ich nicht falsch lag. Dennoch rollte sie mehr, als dass sie flog. Von der endgültigen Parkposition zum Rollfeld in Düsseldorf und vom Rollfeld zur endgültigen Parkposition in Paris dauerte es gefühlt genauso lange wie der Flug an sich. Wir rollten und rollten und rollten und…

Einmal in der Luft bekamen wir kurz nach dem Start einen Snack in Form eines Croissants und Getränken nach Wahl verteilt, bevor wir auch schon wieder zum Landeflug ansetzten.

Croissant und Wasser

Es gab offensichtlich gute Gründe dafür, diese Verbindung als „City Hopper“ zu bezeichnen.

Die Reise von der endgültigen Parkposition des City Hoppers zum Terminal war fast ebenso lang wie die Reise vom Rollfeld zur Parkposition, denn wir mussten wieder einen Pendelbus nehmen, um dann einen Zwischenhalt in einem kleinen Terminal einzulegen, gefolgt vom nächsten Pendelbus, dessen Farbe dieses Mal davon abhing, wohin die weitere Reise ging. Es gab rot, blau, gelb und grün. Mein Shuttle war gelb und verband mich so mit dem Terminal für Anschlussflüge ins außereuropäische Ausland. Aber zuerst mussten wir durch die Passkontrolle. Nein, grenzenlose Einreise innerhalb der Europäischen Union ist nicht mehr gewährleistet. So langsam dämmerte es mir, dass die Fahrt mit dem Auto nach Paris wohl genauso lang gewesen wäre und genauso viel Papierkram mit sich gebracht hätte. Immerhin hatte ich so die Möglichkeit diesen Flughafen in Augenschein zu nehmen. Was ich sah, waren zerstreut eingeworfene Terminals, die mit sich windenden Rampen, Straßen und Wegen auf mehreren Ebenen miteinander verbunden waren. Zwischendurch erblickte ich – mal nah, mal fern – einen Pendelzug, doch er hatte nichts mit mir zu tun. Stattdessen beschäftigte mich die Verkehrsführung auf diesen Rampen, Straßen, spiralförmigen Verbindungswegen und – natürlich – Kreisverkehren. Denn beim Überholen eines Gepäckwagens baute unser Busfahrer dank Gegenverkehr und sich anbahnender Ausfahrt beinahe einen Unfall, indem er zu früh einlenkte und so das Gefährt hinter ihm mitzunehmen versuchte. Geistesgegenwärtig hupte der Fahrer energisch, was nichts brachte, und begann dann zu bremsen. Ich merkte sofort, wo seine Prioritäten lagen.

Wie dem auch sei, ich war an meinem Zwischenziel dieser Reise wohlbehütet angekommen, und da ich in allen Fahr-, Flug- und Schwimmzeugen mehr oder minder gut schlafen kann und darüber hinaus eine eher unruhige Nacht verbracht hatte, war ich nun hundemüde. Gleichzeitig wollte ich meinen Anschlussflug nicht verpassen, weshalb ich mich nicht irgendwo zum Schlafen ausbreiten wollte. Also musste ich fünf Stunden hinter mich bringen, in denen meine Bewegungsfreiheit eingeschränkt war. Dennoch hatte ich entschieden mehr Platz als mir auf dem Flug zur Verfügung stehen würde, weshalb ich das ausnutzte und so viel von einem Ende des Terminals zum nächsten schlenderte.

Auch wenn der Flughafen auf den ersten Blick einen netten Eindruck machte, hielt sich das Bild nur aufrecht, wenn man nicht allzu genau hinsah.

Ein Terminal am Flughafen

Die riesige, gewölbte Halle war mit Holzplatten vertäfelt. Dort wo kein Holz war, konnte man durch bauchige Fenster auf das Rollfeld blicken. Luxusmarken wurden im Duty Free-Bereich feilgeboten. Doch gleichzeitig sah man, wo früher Stühle festgeschraubt gewesen waren, weil niemand die Löcher im Teppichboden gestopft hatte. Die Arbeitstische hatten auch schon seit geraumer Zeit keinen sauberen Lappen mehr aus der Nähe gesehen. Hier und da waren die Sitzpolster der Sitze eingerissen. Ernüchternd. Mit den Toiletten verhielt es sich ebenso. Zwar waren viele von ihnen sauber, doch wirkten sie trotzdem alt, heruntergekommen und ungepflegt. Man hatte wenig gemacht, um das Gebäude optisch attraktiv zu halten.

Ich fand einige nützliche Einrichtungsgegenstände – auch wenn man von den diversen Geschäften absah. Es gab praktische, gemütliche Liegesessel, in denen man recht bequem ein Nickerchen machen konnte, wenn die Flüge weit auseinander lagen. Oder aber man setzte / legte sich hinein, um die Aussicht auf das Rollfeld zu genießen. Es gab Steckdosen und USB-Anschlüsse, um Elektrogeräte zu laden. Es gab Tische mit Steckdosen und USB-Anschlüssen, an denen man arbeiten konnte. Theoretisch. So lange man keinen Strom brauchte. Denn es sah zwar schön aus, aber die meisten Stecker funktionierten einfach nicht. Viele Leute rannten umher und fragten einander, ob dieser oder jener Steckplatz schon ausprobiert worden war.

Es gelang mir tatsächlich in den fünf Stunden nicht wegzunicken. Ich aß einen Snack, ging fünfzehn Mal das Terminal auf und ab und probierte verschiedene Einrichtungsgegenstände aus. Dann ging es endlich weiter. Ich stapfte erneut die Gangway hinunter, schnappte mir Lesematerial für den Flug und danach und begab mich auf meinen Fensterplatz, den ich nicht so bald zu verlassen gedachte. Und dann saßen wir da und warteten. Und warteten. Und warteten immer noch. Wie sich herausstellte, waren einige Passagiere zu spät. Wir mussten auf sie warten. Mit einiger Verzögerung ging es endlich los. Alle Monitore flackerten auf, um uns die Sicherheitsinstruktionen vorzuspielen. Diese sind bei Air France ein bisschen lockerer als bei anderen Anbietern. Wenn es interessiert, hier der Link:

https://www.youtube.com/watch?v=0N3J6fE-0JI

Es erregte jedenfalls meine Aufmerksamkeit und amüsierte mich zugleich.

Nachdem das geregelt war, machte ich das einzig Sinnvolle auf solch einem Flug: Schlafen. Ich mummelte mich gemütlich in meine Ecke, zog die Jalousie am Fenster runter, die Decke bis zu den Ohren hoch und öffnete die Augen nur, wenn es Essen gab. Leider gab es auch hier keine Sticker, die das Personal darüber informiert hätten, was ich mir wünsche, aber es klappte auch so ganz gut.

Es gab einen Snack
, gefolgt von Mittagessen
, gefolgt von Frühstück
.

Natürlich ließ ich mir genügend Getränke bringen und mich gut versorgen. Ein Kritikpunkt: Air France macht den schlechtesten Schwarztee, den ich je in meinem Leben getrunken habe. Er war ungenießbar.

Nach elf Stunden in einem Flugzeug kam ich endlich an meinem Ziel an: Seoul. Ich musste nicht erst den Flughafen verlassen, um begeistert zu sein. Ja, ich weiß, dass es nur ein Flughafen ist.

Als ich dieses Mal durch die Kontrollen ging, gab es keine Warnschilder wegen MERS mehr. Stattdessen begrüßten mich dieselben Wärmebildkameras für den Fall, dass das Zika-Virus mit an Bord gewesen wäre. Die Einreise war mal wieder so unkompliziert wie beim letzten Mal, ich musste nur kurz meinen Pass vorzeigen, bekam einen Stempel und wurde durch die Gepäckkontrolle durchgewinkt. Mein erstes Ziel war selbstverständlich ein Geldautomat und mit Trauer stellte ich fest, dass er dieses Mal eine Abhebegebühr verlangte. Das war letztens noch nicht der Fall gewesen. Zusammen mit der neuen Geschäftspolitik meiner Bank, der DKB, hieß das für mich, dass ich darauf sitzenbleiben würde. Wie dem auch sei, es war früh am Morgen, 8 Uhr Ortszeit, und ich wollte mich von solchen Lappalien nicht aus der Ruhe bringen lassen. Immerhin war ich in Seoul! So nahm ich geschwind mein Geld (der Automat hatte mir nur 10.000 Won-Scheine gegeben, wodurch das Portemonnaie dick wurde, auch wenn ich kein Vermögen bei mir trug), griff ich mir die nächstbeste Infobroschüre mit aktuellen Sehenswürdigkeiten und Daten und stapfte zielsicher zur Metro, um zu meinem Hostel zu gelangen. Vor dem Eingang zur Metrohaltestelle gab es einen Automaten, an dem ich meine bewährte T-Money-Karte aufladen konnte. Nach fast eineinhalb Jahren funktionierte sie immer noch einwandfrei.

Nach etwas mehr als einer Stunde kam ich an der Herberge an. Selbstverständlich war es noch zu früh, da der Check-in erst ab 15 Uhr möglich war, darüber war ich mir im Klaren. Was allerdings eine Überraschung war, war die Tatsache, dass man meine Reservierung nicht zuordnen konnte. Mein Name tauchte nicht im System auf und ich musste meine Buchungsbestätigung vorzeigen, damit sie irgendetwas dazu finden konnten. Es dauerte einen Moment, man fragte mich, wie lange ich bleiben würde, welche Art von Zimmer ich gebucht hatte und ob ich eine Anzahlung geleistet hatte und wenn ja, in welcher Höhe. Es lag also wirklich gar nichts vor. Nach einigem Hin und Her wurde beschlossen, dass alles in Ordnung war und ich auf jeden Fall bleiben durfte. Mehr erfuhr ich zu diesem Zeitpunkt nicht. Immerhin durfte ich mein Gepäck schon einmal dort lassen, um erleichtert durch die Gegend ziehen zu können.

Mein erstes Anliegen war ein zweites Frühstück. Glücklicherweise fand man auch in dieser Gegend fast überall irgendwelche netten Cafés, so dass ich in das nächstbeste – Ediya – einkehrte, um mir dort einen Tee, ein belegtes Brot, einen Muffin und Internet zu sichern. Mit W-Lan konnte ich meine Bekannten vor Ort sowie daheim auch darüber in Kenntnis setzen, dass ich heil und munter angekommen war. Kurzerhand wurde ich zu Hulks Arbeitsplatz eingeladen. Also aß ich schnell auf und fuhr die zwei Haltestellen rüber.

Es war richtig schön, Hulk wieder persönlich zu sehen. Es gab eine schöne Umarmung, ich wurde den Kollegen vorgestellt, Freundlichkeiten wurden ausgetauscht und man zog mich mit in die Angestelltenkantine, damit ich mit den anderen Mittagspause machen durfte. Da ich kurz zuvor gegessen hatte, passte nicht mehr alles hinein. Außerdem waren alle Beilagen viel zu scharf für mich. Nach dem Essen blieb ich noch eine Weile und schaute mir an, wie Hulk so seiner Arbeit nachging. Die Zeit zwischen den Jahren war für das Hotel, in dem er jetzt arbeitete, die geschäftigste, wodurch er mir nicht wirklich viel Aufmerksamkeit schenken konnte. Dennoch nahm er sich einige Augenblicke, um mit mir ein Getränk zu trinken und ein bisschen Small-Talk auszutauschen.

Als Hulks Chef aber ankam und viele Gäste zu betreuen waren, sah ich den richtigen Moment gekommen, um mich vorerst von ihm zu verabschieden. Wir würden in Kontakt bleiben und uns an einem anderen Tag in Ruhe wiedersehen.

Mittlerweile war für mich eh die Zeit zum Einchecken gekommen. Also fuhr ich zurück. Somit hatte ich die Möglichkeit meine Unterkunft genau in Augenschein zu nehmen und leider kann ich nichts Gutes berichten. Der erste Eindruck, den ich gewonnen hatte, war schon nicht vielversprechend. Beim Eintreten wehte mir ein seltsamer Geruch entgegen, der so stark war, dass ich annahm, er sollte etwas Schlimmeres übertünchen. Die Decke war übersäht mit Spinnweben oder Staubfäden – ich will es gar nicht wissen, denn der springende Punkt ist, dass sie seit langem keinen Staubwedel gesehen hatte. Auf den Einrichtungsgegenständen konnte man schon Schneeengel im Staub machen. Außerdem deuteten einige Wasserflecken auf ein Problem mit Feuchtigkeit hin. Ja, ich weiß, dass es sich nicht mehr um das jüngste Gebäude handelte, aber es gab keinen Grund, die Einrichtung derart verkommen zu lassen, wenn man darin Gäste empfangen wollte. Der Teppichboden war abgelaufen, das Laminat im Gemeinschaftsbereich war nicht ordentlich verlegt und die Teppiche darauf hatten ihre beste Zeit auch schon lange hinter sich.

Zu meinem Bedauern sah mein Zimmer auch nicht sonderlich gepflegt aus. Außer den Spinnweben gab es noch unangenehme Flecken an den Wänden, die entweder von Dreck oder von Schimmel herstammen. Die Tapete rollte sich an einigen Stellen freiwillig von den Wänden. Unter dem Bett war kein Platz an dem die Putzkolonne aufzuräumen gedachte. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass die Bettlaken nicht extra meinetwegen gewechselt worden waren. Im Bad splitterte die Farbe von der Tür, was aber selbstverständlich war, weil man doch keine Holztür einsetzt, wenn man weiß, dass sie jedes Mal beim Duschen nass wird. Darüber hinaus zeugten schwarze Ränder und Flecken von einem mäßigen Sauberkeitsgefühl der Herbergsleitung.

Winziges Bad mit schwarzen Fugen

Die Krönung war aber, dass das Zimmer keine Fenster hatte – ebenso wenig das Bad. Nein, ich werde niemandem empfehlen, sich im Hostel Korea 5th einzubuchen.

Die Tatsache, dass ich ein Einzelzimmer mit Bad gebucht hatte, veranlasste die Herbergsleitung in keiner Weise dazu, Handtücher oder Seife im Bad zur Verfügung zu stellen. Und ich rede nicht von irgendwelchen teuren und ausgefallenen Pflegeprodukten wie Shampoo oder Lotion, sondern einfacher Seife, um sich die Hände zu waschen. Man musste sie selbst mitbringen.

Das waren aber noch nicht alle Unannehmlichkeiten. Es gab noch zwei Steckdosenplätze für den ganzen Raum. Daran angeschlossen waren drei Mehrfachstecker mit Verlängerungskabel, um all die technischen Geräte, die ohnehin im Raum standen, mit Strom zu versorgen: ein kleiner Kühlschrank, Router, Fernseher, Box, Klimaanlage und Haartrockner. Es gab noch zwei freie Plätze. In der Theorie wäre das genug für mich, meinen Laptop und mein Handy gewesen. Praktisch hatte allerdings einer der Plätze einen Wackelkontakt und der andere musste anderweitig genutzt werden. Falls es noch nicht deutlich geworden ist, ich sprach noch nicht von einer Heizung. Das liegt daran, dass es keine gab. Das Personal sah darin nicht die geringste Schwierigkeit, da man mir ja eine Heidecke im Bett bereitgestellt hatte. Sie boten aber natürlich auch an, mir einen Heizkörper zu geben, falls diese nicht reichen sollte. Ich wollte es erst einmal ohne ausprobieren. Allerdings wurde der Fehler in der Denkweise schon schnell offenbart, nämlich als ich die Heizdecke einzuschalten versuchte. Sie war nicht angeschlossen und ohne Strom wurde sie partout nicht warm. Also wollte ich einen der beiden freien Steckplätze für die Heizdecke nutzen, doch auch das ging nicht auf Anhieb, denn die Kabel waren zu kurz. Ich hätte das Verlängerungskabel entweder für den Internetzugang oder für die Heizdecke benutzen können, da beide Geräte in entgegengesetzter Richtung zueinander standen. Beides auf einmal war also nicht möglich. Kurzerhand entschloss ich mich für den Heizkörper und holte mir ein Exemplar an der Rezeption ab. Obwohl die Klimaanlage im Raum bis auf 30 Grad kühlen konnte, konnte sie eben nur kühlen, nicht aber aufheizen, wie es bei anderen Modellen durchaus üblich ist.

Als ich die Buchung vorgenommen hatte, gab es auf der Website noch keine Rezensionen zu dieser Absteige. Das änderte sich mit meiner Ankunft zurück in Deutschland. Ich bin mir nicht sicher, ob die Tatsache, dass der Chef des Hostels ein Chinese war und die Angestellten ebenfalls dieser Nationalität angehörten, einen Einfluss auf die Qualität der Reinigungsarbeiten hatte. Oder ob man in Korea für einen geringen Preis mit allem durchkommt.

Wie dem auch sei, das Ergebnis war das gleiche: Ich entschied mich dagegen, viel Zeit in meinem Zimmer zu verbringen. Stattdessen zog ich immer wieder aus, um Sachen zu sehen, Leute zu treffen und lecker zu essen. Vor allem letzteres war problemlos möglich, weil es um die Haltestelle herum viele Restaurants und kleine Lokale gab, in denen man diverse Köstlichkeiten verspeisen oder sich zum Mitnehmen einpacken lassen konnte.

Ich hatte nur wenig Zeit, in meinem Hostelzimmer anzukommen und mich mit den Begebenheiten vertraut zu machen, denn die nächste Besucherrunde stand an. Anneena und ihre Mutter luden mich ein, zusammen essen zu gehen, um mich willkommen zu heißen. Also brach ich auf, um einmal quer durch die Stadt zu fahren, dreimal umzusteigen, und eine Stunde später bei ihnen an der Haltestelle anzukommen.

Noch immer nicht so ganz bei mir, lief ich mit offenen Augen und doch blind zu dem vereinbarten Ausgang, als mich jemand am Arm packte und nach hinten zog. Verschlafen blickte ich einem Mädel ins Gesicht, das seit unserer letzten Begegnung ein ordentliches Stück gewachsen war. Anneena grinste mich breit an und machte sich sofort über mich lustig, weil ich blind an ihr vorbeigelaufen war. Das ist koreanische Freundlichkeit. Als ihre Mutter und ihr Bruder hinzukamen, wiederholte sie es noch einmal, damit auch die beiden mitlachen durften. Natürlich lachten sie auch herzlich. Das ist koreanische Freundlichkeit – und ich liebe sie. Anneenas Mum hatte sich etwas ganz Besonderes für den Abend ausgedacht. Selbstverständlich implizierte es Essen.

Ohne Umschweife führte sie uns zu einem kleinen Lokal, das man durch einen durchsichtigen Plastikwindfang betrat. Sofort reichte man uns eine luftdicht verschließbare Tüte für unsere Jacken, damit sie nicht den Geruch vom frisch gebratenen Essen annahmen, das überall auf den Tischen vor sich hin brutzelte. Da es in Korea viele kleine Lokale gibt, die auf eine bestimmte Speise spezialisiert sind, mussten wir uns auch hier nicht die Mühe machen, etwas vom Menü zu suchen. Wir wurden bedient, kaum dass wir Platz genommen hatten. Natürlich hatte man eine Wahl, aber nur wenn es um die Zusätze zur eigentlichen Mahlzeit ging. Ansonsten bekam jeder Wasser, Besteck, Standardbeilagen und einen heißen Grill an den Tisch gestellt.

Anneenas Mum entschied sich heute für Innereien. Da meine letzte Erfahrung in diesem Teil vom Tier sehr lange zurücklag, nahm ich eine offene Haltung gegenüber dem Vorschlag an und probierte von allem ein bisschen. Es begann mit rohen Eingeweiden:

Rohe Leber und Darm

Ich war mäßig begeistert. Der Darm war zäh wie Kaugummi und überzeugte nicht sonderlich. Die Leber ließ sich zwar kauen, hatte aber einen unangenehmen Eigengeschmack, der mir einfach zu schwer auf der Zunge lag. Da wartete ich doch lieber das heiße Gericht ab. Jacob, Anneneas Bruder, konnte man noch nicht einmal dazu bewegen, das Stückchen Leber zu probieren, weil er sich vor dem Blut, das daraus hinaustroff, ekelte.

Der Tisch am Anfang

Als dann die panierten und gegrillten Stückchen Innereien auf dem Tisch standen, um weiterhin fröhlich vor sich hin zu schmoren, wurde mir mal wieder die korrekte Essart erklärt. Je nachdem, welches Fleisch man nahm, sollte man es in eine bestimmt Sauce tunken. Es gab Öl-Salz und zwei rote, relativ scharfe Saucen. Als mir das erste Stück in die Öl-Salz-Mischung fiel, ging ein lauter Aufschrei durch die Runde. Nein, das sei zu viel Sauce, das sei zu salzig. Ich durfte mich nicht einmal selbst um die Behebung des Schadens kümmern, nein, Anneenas Mum griff mit ihren Stäbchen mein Essen und wischte es lang und breit an einigen Salatblättern ab. Der Ausdruck in ihrem Gesicht war pures Entsetzen. Ich war amüsiert.

Zu meinem Bedauern waren die gebratenen Innereien auch nicht sonderlich schmackhaft. Zwar schmeckte es schon besser als roh, aber die gummiartige Konsistenz blieb, wodurch ich mir nie sicher war, ob das Stück nun schon von meinen Zähnen zerkleinert worden war oder ich noch zwei Stunden darauf rumkauen müsste. Wir zwei würden uns einfach nicht verstehen. Der Salat und das gebratene Gemüse waren hingegen sehr angenehm.

Dann bestellte Anneenas Mum auch noch Muschelsuppe. Leider bin ich kein großer Fan von Muscheln, so sehr nicht, dass ich es nicht einmal probierte. Ich sagte es ihr im Vorfeld, doch sie hatte trotzdem Appetit darauf. Das war ihr immer noch nicht genug. Als nächstes gab es gebratenen Reis mit Gemüse, den man einfach neben die Reste vom Fleisch und Gemüse in die Pfanne warf, so dass wir uns weiterhin bedienen konnten. Natürlich probierte ich ein Stück davon, nur um festzustellen, dass es mir alle Geschmacksnerven wegätzte. Es war scharf. Auch wenn die anderen am Tisch mir versicherten, dass es nur ein bisschen würzig war, blieb ich bei meiner Behauptung, dass es nur ihnen so schien. Sie lachten wieder herzlich. In dem Moment war ich die personifizierte Karikatur eines Ausländers.

Bevor wir zahlten und gingen, kippte Anneenas Mutter alle Reste zusammen. Sie meinte, dass die Köche Gerichte, die noch ansehnlich waren, gerne ein zweites Mal verkauften. Daher ruinierte sie ihnen diesen Spaß immer wieder. Besonders hygienisch war das nun wirklich nicht, weshalb ich höchstes Verständnis für ihre Aktion hatte.

Nachdem wir lecker gegessen hatten und ich keinen Cent dafür zahlen musste, war es an der Zeit, mich dafür zu revanchieren. Ich hatte der Familie einige Süßigkeiten aus Deutschland mitgebracht, die ich ihnen draußen vor dem Lokal feierlich übergab. Sie waren begeistert. Das sollte aber nicht mehr lange der Fall sein, doch dazu gleich mehr.

Wir zogen weiter durch die Straßen, bis die Kinder einen Laden entdeckten, in dem man Plüschtiere mit einem Greifarm herausfischen konnte. Sie wollten spielen, man gewährte ihnen eine Runde, doch damit war es vorbei. Leider gewannen sie nichts. Wir gingen weiter zu einem Spielsalon, in dem man verschiedene Spiele spielen konnte.

Anneenas erste Wahl war ein Spiel, das man zu dritt spielen konnte. Es nannte sich Bishi Bashi.

Der Name des Spiels sagt alles aus

Wir konnten noch kurz dabei zusehen, wie zwei andere Leute es spielten, doch die Regeln verstand ich nicht so ganz. Man hatte einen großen Bildschirm und pro Person vier überdimensionale Knöpfe. Aber worum es ging…

Als wir dran waren, erkläre Anneena mir schnell, worum es ging. Man musste auf die Knöpfe hauen, wenn etwas auf dem Bildschirm passierte. Meistens ohne irgendeinen Sinn. Manchmal musste man einen bestimmten Knopf drücken, was durch eine der Farben – gelb, rot, grün, blau – deutlich auf dem Bildschirm gekennzeichnet war. Ansonsten musste man nur so schnell wie möglich so viele Knöpfe wie möglich drücken. Das artete meistens in wildem Geschlage aus. Das verstand ich, das konnte ich umsetzen, trotzdem war ich nicht die Beste in diesem Spiel. Nach einiger Zeit schieden wir der Reihe nach aus. Es war ein Heidenspaß.

Dann war der Zeitpunkt gekommen, an dem ich Anneena und Familie um einen Gefallen bitten musste. Zu den Süßigkeiten, die ich mitgebracht hatte, zählten unter anderem Salzheringe aus Lakritze. Und ich gebe offen zu, dass wir diese nur ausgesucht hatten, weil wir unsere koreanischen Freunde ärgern wollten. Also bat ich Anneena und Co, jeweils einen davon zu probieren, während ich meine Kamera zückte. Jeder nahm einen Bissen, kaute drauf rum, verzog angewidert das Gesicht und spuckte es aus. Ich lag vor Lachen auf dem Boden. Sie mochten weder die Menge an Salz noch den Eigengeschmack von Lakritze. Zuerst wollten sie die ganze Packung wegwerfen, doch ich überzeuge Anneena davon, dass sie es ihren Freunden in der Schule vorsetzen sollte. Sie empfand es als großartige Idee. Koreanische Freundschaft und so. Bis zum Ende meiner Abreise glaubte mir kein Koreaner, dass es in Deutschland Menschen gab, die diesen Snack tatsächlich freiwillig und genüsslich aßen. Mehr als ein Scherzartikel würde es in ihren Augen nie werden.

Damit war meine Energie für diesen doch sehr langen Tag erschöpft, ich verabschiedete mich und trat die lange Rückreise zu meinem Hostel an. Selbstverständlich rang die Familie mir zuerst das Verspreche ab, dass wir uns noch einmal wiedersehen würden, bevor ich zurück nach Deutschland aufbrach.

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