Sonntag, 7. Februar 2016
Busan – August 2015
Nach unseren Abenteuer in Neuseeland hatten wir für den Rest des Jahres erst einmal genug von Busfahrten, weshalb wir gerne einige Won mehr investierten, um die Strecke zwischen Seoul und Busan mit dem Zug zurückzulegen. Allerdings erlaubte unser Budget es nicht, dass wir den super schnellen KTX nahmen, weshalb wir uns mit der Tingelbahn begnügten, die fünfeinhalb Stunden fuhr. Das Zugticket hatten wir schon in der Tasche, die Strecke zur Seoul Station war uns bekannt, also brachen wir auf, nachdem wir uns von allen gebührend verabschiedet hatten. Seol Hee drückte uns als Abschiedsgeschenk koreanische Fläggchen in die Hand.

Es dauerte genau fünf Schritte, bis wir unsere Gastgeber vermissten und die Fahrt nach Busan bereuten.

Als Mahlzeit für zwischendurch besorgten wir uns Kimbap bei Mapu Mandu sowie einige Teilchen bei Tous les Jours. Darüber hinaus hatten wir noch einige Knabbereien. Gut gerüstet zogen wir also wieder in die große, weite Welt, um unseren Horizont zu erweitern und Neues zu erleben.

Fast schon selbstverständlich war alles hervorragend ausgeschildert: Zugnummer, Wagon und Sitzplatz standen auf unseren Fahrkarten (zu allem Überfluss hatte die Dame am Schalter die wichtigsten Informationen mit einem Buntstift eingekreist), während die Anzeige uns deutlich machte, wohin wir uns wenden mussten, um unseren Zug zu bekommen. Dieser war auch noch pünktlich.

Der Zug war wesentlich breiter als in Deutschland, wobei ich nur einen Vergleich mit einem Regionalexpress erstellen kann. Man hatte breite Sitze und genug Platz im Mittelgang. Auch Beinfreiheit war gegeben. Selbstverständlich war das Abteil klimatisiert, was bei 36° Außentemperatur zwingend erforderlich war.

Allerdings war die Klimaanlage den Gegebenheiten nicht so ganz gewachsen. Auf einem Abschnitt der Strecke, als der Wagon mit so vielen Menschen vollgepackt war, dass man nicht einmal mehr durch den Gang gehen konnte, ohne überall anzurempeln, merkte man zwar die sachte Brise, die von der Anlage ausging, sie brachte allerdings keinerlei Linderung. Letzten Endes musste eine Schaffnerin die Fahrgäste mit Fächern und kaltem Wasser versorgen. Trotzdem blieben alle Leute ruhig und gelassen. Zuvor war noch ein Mitarbeiter durch die Wagons gegangen und hatte eine Ansage gemacht, aber wir verstanden nicht genug davon, außer dem Wort für Wasser tatsächlich gar nichts. Er hätte uns auch eine Geschichte vom Reiher, der auf den Mond flog, erzählen können.

Vielleicht setzte er die Fahrgäste auch darüber in Kenntnis, warum der Zug doch unerwartet Verspätung hatte. An einer Haltestelle stand er fast dreißig Minuten, was den Zeitplan völlig durcheinander brachte. Bis Busan weitete sich diese Verzögerung auf fünfzig Minuten aus.

Die Strecke zwischen Seoul und Busan war allerdings recht sehenswert. Erst hier wurde uns deutlich, wie bergig das Land tatsächlich war, wodurch ich mich fragte, ob Seoul an der einzigen flachen Stelle innerhalb der Grenzen erbaut wurde. Es war hier so grün und unberührt, das es doch stark an Neuseeland erinnerte.

Irgendwo zwischen Seoul und Busan

Trotz dieser widrigen Umstände kamen wir irgendwann endlich in unserer neuen Heimatstadt an. Hulk hatte uns den Weg zum Hostel in wenigen Worten erklärt, uns die Metrolinie genannt, mit der wir fahren mussten, den Haltestellennamen in Hangul aufgeschrieben und uns alle notwendigen Informationen mitgeliefert. Auf diese Weise fanden wir das Popcorn Hostel Nampo problemlos.

Mein erster Eindruck von Busan beschränkte sich auf die Fahr zur Herberge, so dass ich mir wie in einer Kleinstadt vorkam. Die Anzahl der Metrolinien war übersichtlich und die Strecken kurz. Aber schon zu Anfang wurde deutlich, dass Hupen in dieser 3,5 Millionenmetropole einen wesentlich größeren Stellenwert einnahm als in Seoul. Innerhalb von 100 Metern hatten wir so viele Leute hupen hören wie in drei Wochen in der Hauptstadt.

Im Hostel angekommen wurden wir freundlich von Belle und Zuska begrüßt, die von unserem bevorstehenden Aufenthalt wussten und unsere Namen errieten, bevor wir uns vorstellten. Weniger gesprächig war Mango, die Hostel eigene Perserkatze, die uns eher gelangweilte Blicke zuwarf, wenn sie sich überhaupt dazu herabließ, das gemeine Volk anzusehen. Sogleich führten die Damen uns in unser neues Zimmer.

Die Hostelkatze Mango

Zuska war Tschechin, die ihren Urlaub nicht zum ersten Mal in Busan verbrachte. Sie war ein angenehmer Zeitgenosse, der gerne einen Spaß mitmachte und lustige Geschichten zu erzählen hatte. Ebenso reisefreudig wie wir hatte sie bereits zahlreiche Freunde außerhalb der Heimat. Sie war auch äußerst hilfreich, was die Verständigung betraf, denn im Gegensatz zu unserer Gastgeberin sprach sie fließend Englisch und ein bisschen Koreanisch. Allerdings hatten wir nur ein kurzes Vergnügen miteinander, da sie wenige Tage nach unserer Ankunft zu weiteren Abenteuern aufbrach. Zuerst führte sie ihre Reise nach Japan, bevor sie für eine Nacht zurückkam, um dann nach Seoul und schließlich in die Heimat zu fahren. An ihrer statt kam Steve. Dazu später mehr

Auch wenn die Treppe bei Hulk spektakulär war, so machte mir dieses Konstrukt, das die verschiedenen Stockwerke miteinander verband, wesentlich mehr zu schaffen. Die Stufen waren unterschiedlich hoch, einige waren schon ausgetreten, andere krumm und schief, so dass sie in verschiedenen Winkeln abfielen. Die eine Stufe fiel nach vorne ab, die nächste nach hinten, zwei Stufen weiter ging es nach links und irgendwann bestimmt auch nach rechts. Vielleicht war die Treppe als solche ausgeglichen und plan, aber das war nur dank eines Mittelwertes der einzelnen Stufen der Fall. Allein am ersten Tag stolperte ich zweimal über diese Hindernisse, und bin froh, dass nichts passierte. Ich machte es mir zur Priorität, die Stufen langsam zu begehen, insbesondere dann, wenn ich nur Arbeitslatschen trug.

Was mir am Popcorn Hostel besonders gefiel, war die Tatsache, dass man in den Räumen barfuß laufen durfte / musste. Am Eingang gab es ein kleines Treppchen, vor dem man gefälligst die Schuhe ausziehen musste. Somit blieben die Räume sauberer als mit Schuhen. Für empfindliche Besucher oder die kalte Jahreszeit stellte das Hostel Pantoffeln zur Verfügung. Ich liebe dieses Konzept und finde, dass es unbedingt in Deutschland eingeführt werden sollte.

Es gab dieses Mal keine Mitarbeiterquartiere, so dass wir gezwungen waren in einem Achtbettzimmer mit Gästen zu nächtigen. Glücklicherweise hatte ich noch keinen Koreaner getroffen, der laut schnarchte. Unglücklicherweise sollte sich das eben in Busan ändern. Aber nur ein unvorbereiteter Globetrotter macht sich ohne eine ausreichende Menge Ohrstöpsel auf den Weg.

Neues Quartier in Busan


Unser erster Arbeitstag begann um 12, was für mich nun wirklich viel zu spät war. Bis dahin hatte ich schon wieder Hunger und hätte viel lieber etwas gegessen, als erst mit dem Aufräumen anzufangen. Es änderte sich auch während unseres Aufenthaltes nicht. Was sich änderte, war meine Essgewohnheit, denn ich nahm einfach noch einen Snack direkt vor der Arbeit ein. Dies war besonders wichtig, weil die Arbeit hier mehr Zeit einnahm als im Inno Hostel.

Man merkte schnell, dass Hulk hier gelernt hatte. Die Putzroutine war ähnlich, aber in einigen Details dann doch anders. Allerdings verstehe ich bis heute nicht, was die Koreaner an Putzbürsten mit langen Stielen auszusetzen hatten. Um den Boden zu putzen mussten wir immer auf den Knien rumrobben, in der Hocke sein oder uns bücken. Gründlichkeit schön und gut, aber das gleiche Ergebnis hätten Borsten an einem langen Stiel gebracht.

Besonders schlimm war es mit einem Besen inklusive Handfeger, den man für die Treppen benutzen sollte. Der Besen hatte einen Stiel, ja, aber er war so kurz, dass sogar ein koreanisches Großmütterchen sich hätte bücken müssen, um damit fegen zu können. Es gibt so viel sinnvollere Erfindungen.

Ich verstand ebenso wenig, warum wir angehalten waren in Räumen zu putzen, die bereits sauber waren und von niemandem benutzt wurden. Die Türen waren zu, nicht einmal die Katze hatte eine Pfote hinein gesetzt. Aber es war nicht meine Aufgabe mit den vorherrschenden Strukturen zu brechen. Ebenso wenig Sinn ergab es, die Böden in den Bädern nach dem Schrubben trocken zu wischen, weil die Waschbecken in den Bädern keinen Abfluss hatten. Stattdessen tropfte das benutzte Wasser auf den gerade abgetrockneten Boden, um dann in den Abfluss zu fließen. Es war mir ein Rätsel. Hier zeigte sich aber deutlich, wieso es in koreanischen Badezimmern Badelatschen gab: Alles andere hätte zum einen einen Saustall hinterlassen, da es letzten Endes immer nass in ihnen war; zum anderen um keine nassen Füße zu bekommen, weil man in den Räumlichkeiten dieses Hostels eh nur in Socken ein durfte.

Was mir allerdings den Rest gab, war das hiesige Putzzeug. Schon nach fünf Minuten sehnte ich mich nach Two Ways zurück, denn was auch immer sie mir hier in einer weißen Sprühflasche servierten, es war wesentlich schlimmer. Giftig beschreibt es wahrscheinlich am besten. Bei dieser chemischen Wunderwaffe war es nicht einmal mehr nötig, das fein gestäubte Mittelchen versehentlich einzuatmen. Die Dämpfe allein reichten aus, um einen Elefanten umzuhauen. Wahrscheinlich war es pures Chlor oder so etwas Ähnliches. Ich fragte Belle nach einem Mundschutz, aber sie hatte keinen. Immerhin gab es Gummihandschuhe. Trotzdem brauchte ich nach jedem geputzten Badezimmer erst einmal frische Luft, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen.

Zu unseren Aufgaben zählte es auch nun, die Bettdecken und –laken zu waschen und zum Trocknen aufzuhängen. Darin zeigte sich schon ein grober Fehler in der Planung, denn es gab nur zwei Waschmaschinen, die maximal drei Teile fassen konnten (sowohl die Decken als auch die Laken waren recht dick), und das bei rund 40 Betten, also 80 Teilen. Ein Waschgang dauerte ungefähr 20 Minuten, wobei die Maschinen stellenweise eine eigene Zeitrechnung an den Tag legten. Glücklicherweise gab es wenige Tage, an denen wir so viele Betten machen mussten, dass uns etwas ausging.

Ein besonders großes Problem stellten Regentage dar, weil wir dann einfach nicht in der Lage waren, Wäsche zu machen. Die Waschmaschinen standen auf dem Dach in einem kleinen Unterstand, während die Leinen zum Trocknen unter freiem Himmel waren. Dummerweise gab es auch keinen ausreichenden Vorrat, um auf diese Weise für Ersatz zu sorgen. In diesem Fall griffen wir auf die chemische Lösung zurück. Es war aber wirklich nur der letzte Ausweg. Es war auch deshalb ärgerlich, weil man an bewölkten Tagen auch immer darauf achten musste, ob es nun regnete oder nicht.

Ähnliche Probleme gab es mit den Handtüchern. Zum einen fand ich diese viel zu klein, auch wenn jeder Gast zwei erhielt. Sie waren nicht viel größer als ein DIN A4 Blatt. Jedenfalls führte diese Rechnung dazu, dass wesentliche mehr Handtücher verbraucht wurden. Die Wäsche der Handtücher übernahm ein externer Dienst, dessen Qualität mit jedem Tag mehr und mehr zu wünschen übrig ließ. Nicht nur, dass die Lieferung jeden Tag später kam, nein, manchmal gab uns der Lieferant auch das falsche Paket. Ende vom Lied war, dass wir an so manchem Tag ohne frische Handtücher standen. Ein Alptraum für jeden Douglas Adams-Fan.

Nachdem wir mit unseren Aufgaben fertig waren, stand die Vorbereitung des Essens im Vordergrund. Anders als in Seoul wurden wir hier nicht mit fertigen, köstlichen Mahlzeiten versorgt, sondern nur mit den Zutaten. Der Rest oblag uns. Manchmal mussten wir auch zuerst einkaufen. Wehmütig erinnerte ich mich an den Luxus der vergangenen Herberge. Insbesondere weil ich ohne Rezepte nur drei Sachen kochen kann: Curry, Pfannkuchen Chili con carne.


In erster Linie war Zuska unsere Ansprechpartnerin für alle Belange, was vor allem daran lag, dass sie wesentlich besser Englisch konnte als der durchschnittliche Koreaner. Aber auch weil sie schon seit einigen Wochen in dem Hostel tätig war und so oder so wusste, was wohin gehörte und was wo zu finden war. Auch wenn es um Besorgungen jeglicher Natur ging, kannte Zuska sich im Viertel aus. Sie wusste, wo der nächste, günstige Supermarkt war, wo man Delikatessen erstehen konnte und wo es Kuriositäten zu sehen gab. Auch bei der Planung von Besichtigungen rund um Touristenstandorte war sie eine große Hilfe.

Bereits am ersten Tag nahm sie mich in den nächsten Supermarkt mit, doch dieser war nicht, wie ich es erwartet hatte. Ich dachte an etwas im Stil von HomePlus, wurde aber von einer Mischung aus Basar und Rewe begrüßt. Während im Erdgeschoss Frischwaren feilgeboten wurden, fand man im ersten Stock alle abgepackten Lebensmittel sowie Haushaltsgegenstände. Unten gab es tatsächlich Verkäufer, die ihre Ware lautstark anpriesen, was auf mich sonderbar wirkt. Dann ergab sich für mich noch die Schwierigkeit, dass die meisten Sachen gar keine Übersetzung hatten, so dass ich doch ziemlich verloren durch die Gänge schlenderte. Selbstverständlich war ich darauf bedacht, meine Begleitung nicht aus den Augen zu lassen.


Biff-Plaza / Marktstände
Direkt gegenüber von unserem Hostel befand sich der Biff Plaza. Dies war eine große Fußgängerzone, die vor Geschäften und Straßenbuden nur so überquoll. Morgens kamen die Verkäufer langsam zu ihren Ständen, um dann allerlei skurrile Köstlichkeiten anzubieten. In den Boden waren die Handabdrücke bedeutender koreanischer Schauspieler mit ihren Unterschriften eingelassen. Nachts wurde der Platz in bunten Farben erleuchtet. Mehrere Bögen zierten einen Teil des Platzes, so dass man abends den Eindruck hatte, durch einen Regenbogen zu schlendern. Diesen schmückenden Umstand hatten wir dem Busan International Film Festival zu verdanken, für das die Stadt sich jedes Mal herausputzte und auch außerhalb der Zeit Touristen anlocken wollte.

Biff Plaza bei Nacht


Auch wenn ich kein großer Fan davon war, mir das Zimmer mit fünf Fremden zu teilen (drei der Betten waren schließlich von Personal belegt), ergaben sich dadurch ganz neue Möglichkeiten der Interaktion mit Einheimischen. Sie waren zumeist von äußerst kurzer Natur, aber das tat der Intensität dieser Begebenheiten keinen Abbruch. Davon abgesehen gab es nur wenige Tage, an denen dieses Zimmer voll belegt war.

Wir hatten einen Heidenspaß dabei, die erschrockenen Gesichter von Koreanern zu betrachten, weil sie uns sahen. Es war wirklich nicht mehr dabei. Wir saßen nach getaner Arbeit im Zimmer auf unseren Betten, machten unseren alltäglichen Kram und ab und zu kamen eben Kunden herein, um die Nacht mit uns in einem Zimmer zu verbringen. Jeder zweite Gast blieb in der Tür stehen, sah uns mit großen Kulleraugen an (wie Koreaner es eben konnten), verbeugte sich und schlurfte zu einem freien Bett. Aber es waren genau diese Leute, die sich nicht trauten, auch nur ein Wort mit uns zu wechseln. Es ging so weit, dass ich mich stellenweise unwohl fühlte.

Dann war da der Abend, an dem Kwan Min und Kwan Yun uns zu einer kleinen Feier einluden. Kwan Yun hatte gerade Urlaub von seinem Militärdienst bei der Luftwaffe und nutzte die Gelegenheit, um seinen jüngeren Bruder, Kwan Min, durch das Land zu schleifen. Beide schienen dabei viel Spaß zu haben. Aufgrund ihres doch nicht allzu hohen Budgets teilten sie sich das Zimmer mit uns. So kam abends Kwan Min hinein, um Franziska und mich nach unten ins Wohnzimmer einzuladen, wo die beiden gerade eine kleine Party anberaumten. Es dauerte allerdings einige Zeit, bis wir seine Intention verstanden, denn Kwan Min gab sich größte Mühe, Jae Won in seinem Englischkenntnissen zu unterbieten. Es gelang nur mäßig. Schließlich teilten wir dem Jungen mit, dass wir gleich zu ihnen stoßen würden, hier nur noch einige Kleinigkeiten abschließen wollten.

Es dauerte keine fünf Minuten, da war Kwan Min wieder im Zimmer. Ich bin mir nicht sicher, ob er uns nicht verstanden hatte, ob er glaubte, wir hätten ihn nicht verstanden oder ob unser „Gleich“ ihm einfach zu lange dauerte. Jedenfalls hielt er eine große, ganze Wassermelone vor der stolzgeschwellten Brust, aus der das Fruchtfleisch gekratzt worden war. Stattdessen gluckerte nun eine große Menge Sojo im Inneren der grünen Schale. Wir schickten den breit grinsenden Jungen raus, bevor wir ihm folgten. Unten warteten schon sein Bruder, Zusaka, Belle und noch ein weiblicher Gast auf uns.

Das Eis mit den Gebrüdern Kwan hatten wir gebrochen, als wir uns über Kwan Yuns Tattoo (das nicht permanent, sondern nur ein Aufkleber war) amüsiert äußerten, denn er hatte sich für die Worte „Gott ist tot“ entschieden. Er hingegen war aus dem Häuschen, dass er jemanden gefunden hatte, der es tatsächlich verstand. So kamen wir schnell ins holprige Gespräch. Ich rechne es allerdings jedem einzelnen Koreaner hoch an, dass die Leute sich tatsächlich Mühe gaben, mit ihren Touristen zu kommunizieren.

Bei der bevorstehenden Party versuchten uns unsere neu gewonnen koreanischen Freunde mit einigen einheimischen Trinkspielen vertraut zu machen. Es stellte sich allerdings schon bald heraus, dass ich sogar in nüchternem Zustand nicht in der Lage war, diese zu begreifen. Was auch immer wir machten, es klappte nicht. Es hatte irgendetwas mit klatschen und Namen zu tun oder mit Zahlen und ich war völlig durcheinander. Wahrscheinlich muss man damit großwerden, um es zu verinnerlichen. Ich gab schnell auf. Stattdessen holte irgendjemand ein Gesellschaftsspiel hervor. Es ging darum verschiedene Zutaten auf einer wackeligen Pizza zu platzieren, ohne dass der Haufen runterfiel. Auf dem Bild sah es sehr einfach aus, doch hatte ich nach kurzer Zeit das Gefühl, dass die Fotografen einen Pakt mit dem Teufel geschlossen hatten, um die Gesetze der Physik außer Kraft zu setzen. Das oder sie wussten mit Photoshop umzugehen. Jedenfalls gelang es uns nie so viel auf die Pizza zu legen, wie es auf dem Beispielbild war, obwohl wir einen versteckten Profi in unserer Mitte hatten.

Gesellschafts- statt Trinkspielen

Unsere Koreaner machten auch daraus ein Trinkspiel. Es gab auch einen kleinen Snack für Zwischendurch, auch wenn ich mich nicht mehr daran erinnere, was es war.

Wieder stießen wir auf blankes Unverständnis, als wir diesen Koreanern erklärten, dass man sich in Deutschland zu einem Bier zusammensetzen durfte, ohne dabei zu essen oder ein Spiel zu spielen.

Alles zusammen betrachtet nahm der Abend einen äußerst erheiternden Lauf. Die Koreanerin, die noch mit von der Partie war, war sogar so begeistert, dass sie uns zum Abschied drückte. Auch wenn die Kommunikation ein bisschen schwierig war, weil wir – wie so oft – nicht die gleiche Sprache sprachen, schafften wir es irgendwie einen bleibenden Eindruck bei ihr zu hinterlassen. Sie gab Franziska eine Gesichtsmaske, welche diese am selben Abend noch ausprobierte. Leider erlaubte meine Reisebegleitung mir nicht, ein Foto davon zu machen, da sie befürchtete, man würde sie mit einem Geist verwechseln. Zurecht!


Es gibt ein koreanisches Phänomen, das mich bis heute beschäftigt und königlich amüsiert: junge, männliche Koreaner. Sie sind in vielerlei Hinsicht so anders als ihre europäischen Pendants, dass ich es am Beispiel von Kwan Min deutlich machen will.
Als Kwan Min mit seinem Bruder das Hostel betrat, stolperten die beiden zwangsläufig über Mango, die sich gerade genüsslich vor dem Empfang räkelte. Während der ältere Bruder dank monatelanger Militärausbildung gerade noch so die Fassung bewahren konnte, tat sich der jüngere nicht den geringsten Zwang an. Es dauerte genau zwei Sekunden, bis er alle Hemmungen fallen ließ, mit seiner Stimme drei Oktaven nach oben sprang, so dass er sein zehn Jahre jüngeres Ich imitierte, große Kulleraugen bekam und sich freudestrahlend auf das pelzige Wollknäuel stürzte, um es ordentlich durch zu knuddeln. Hier möchte ich noch erwähnen, dass Kwan Min, obwohl schon 20, noch immer wie 14 aussah. Es war ein Bild, das mich ein bisschen perplex in der Gegend stehen ließ und gleichzeitig den Charakter junger Koreaner hervorragend einfing. Die sind nun einmal so. Egal ob Freude, Trauer oder Begeisterung, sie können ihre Gefühle einfach so ausleben. Einfach nur goldig.


Obwohl ich schon eine perfekte Geburtstagsüberraschungsparty in Seoul feiern durfte, fand mein tatsächlicher Geburtstag in Busan statt. Also galt es, diesen zu gestalten und in vollen Zügen zu genießen.

Er begann damit, dass ich mir an diesem Tag frei nahm. Frühstück ans Bett konnte ich wohl von niemandem erwarten, weil ich eh zuerst wach war. Ein bisschen schlecht fühlte ich mich schon, weil ich den Mädels nicht aus dem Weg gehen konnte, während sie putzten. Aber ich blieb stark, sah sie nur groß an, wenn sie um mich herum wuselten, und beschäftigte mich mit anderen Dingen.

Wir unternahmen einen kleinen Spaziergang durch das Viertel, suchten die Touristeninformation auf, in der die Mitarbeiter tatsächlich Englisch sprachen und uns helfen konnten, drehten einen Runde durch die belebte Fußgängerzone und statteten der Lotte Mall einen kurzen Besuch ab. (Wir erinnern uns hier noch einmal daran, dass Lotte nicht omnipräsent war.) Zurück ging es entlang des Fischmarktes, der allerlei lebendige Kuriositäten feilbot. Ein Oktopus wollte sich seinem Schicksal nicht kampflos geschlagen geben, krabbelte aus dem Wasserbecken, platschte auf den Boden und versuchte davon zu robben – bis die Verkäuferin ihn sah und gelassen wieder ins Becken beförderte. Auch wenn die Waren jetzt noch frisch waren und auf Eis lagen, waren wir uns sicher, dass wir sie bis zum Abend würden riechen können, weil wieder einmal mehr als 30° prophezeit worden waren.

Nachdem die Mädels ihre Arbeit getan hatten, stand Mittagessen auf dem Programm. Ich durfte mir etwas wünschen, also bestand ich auf Jjajangbap, das ich bisher nur einmal hatte, aber doch sehr schmackhaft fand. Wir riefen bei einem Lieferservice an, um zu bestellen, erfuhren aber, dass sie gerade Urlaub machten. Also ließ Belle uns ausziehen, damit wir in einem Restaurant zu meinem Wunschgericht kamen. Dort angekommen sagte man uns, dass sie nur Jjajangyeom hatten. Das ist dieselbe Sauce, aber auf Nudeln statt auf Reis. Wir stellten aber fest, dass sie Reis als Beilage anboten, weshalb Zuska es so drehte, dass man mir nur eine Portion der Sauce bracht und ich mir den Reis drunter mischen konnte. Es war den Köchen nicht ganz so lieb, aber sie spielten mit, was ich ihnen sehr hoch anrechne. Dazu bestellten wir eine mittlere Platte frittierter Schweinefleischstreifen. Es war ein köstliches Mahl.

Geburtstagsessen

Vollgefuttert rollten wir von dannen. Da die meisten ausländischen Filme in Südkorea mit Untertiteln unterlegt sind, steht einem Kinobesuch wenig im Wege. Allerdings wollten wir die Minions sehen und wussten nicht, wann die letzte Vorstellung lief. Immerhin war es ein Kinderfilm. Wir unternahmen einen Spaziergang zum Lotte Kino (Lotte ist nicht omnipräsent), nur um festzustellen, dass die einzige nicht synchronisierte Fassung um acht Uhr morgens lief. Aus dem Vorhaben wurde für heute nichts. (Aus dem Vorhaben wurde auch später nichts, weil es einfach unmöglich wurde, so viele Leute um diese frühe Uhrzeit aus dem Bett zu schütteln.)

Aber auf uns warteten noch andere Verpflichtungen. Nachdem wir über die Portion des Mittagessens hinweggekommen waren, machten wir uns auf den Weg in ein Café, um ein Geburtstagsbingsu zu verspeisen. Natürlich gab es so etwas nicht, weil man keinen Anlass braucht, um ein tolles Bingsu zu essen, aber es war mein Geburtstag, es war ein kunstvoll drapiertes Bingsu, also nenne ich es Geburtstagsbingsu. Ich entschied mich für ein schokoladenes Schokobingsu. Es war vorzüglich!

Schokoladiges Geburtstagsbingsu

Auch wenn dies nicht nach besonders viel klingen mag, war es aus meiner Sicht ein hervorragender Geburtstag. Schmackhaftes Essen in Hülle und Fülle macht mich nun einmal glücklich. Und Bingsu krönt jeden Tag.

Unsere Gastgeberin Belle überraschte mich noch mit einem kleinen Geburtstagsgeschenk. Es war etwas, womit ich nichts anzufangen wusste, auch wenn die beigelegte Gebrauchsanweisung in Bildern international verständlich war. Es sah aus wie ein überdimensionales Pflaster, das man auf der Rückseite eines Mobiltelefons befestigen sollte. Zu diesem Zweck hatte dieser Gegenstand zwei Klebestreifen. Nachdem ich es also angebracht hatte, stand ich mit meinem neuerlangten Zierrat dar und wusste immer noch nicht ein noch aus. Als Belle meine Verwirrung sah, erklärte sie mir den Zweck dieses Gegenstandes. Wenn man dieses „Pflaster“, wie ich es unbeholfen nannte, aufklappte, hatte man ein praktisches Standbein für das Smartphone, so dass man es nicht die ganze Zeit halten musste, um beispielsweise ein Video zu sehen. Gleichzeitig konnte man es einklappen, wenn man es gerade nicht brauchte und so immer mit sich führen, ohne dass es im Weg war. Zur Körnung des ganzen Spaßes war es noch kunterbunt mit den Monstern aus dem Film Monster Universität übersät.

Monster Universität Handy Stütze


Eines Tages überraschte Zuska uns mit der Ankündigung, dass ein Freund von ihr sie hier im Hostel besuchen würde. Er bliebe nur eine Nacht, reiste dann weiter, was uns aber keinesfalls davon abhalten sollte, Spaß mit ihm zu haben. Diesen Freund hatte sie auf einer vorhergehenden Reise kennengelernt, denn auch er war nur Besucher in diesem Land. Sein Name war Masa und er kam aus Japan eingeflogen, um sich mit Zuska und weiteren Freunden zu treffen. Bei der Gelegenheit gab es eine kleine Feier – wahrscheinlich nur aus dem Grund, weil Koreaner gerne feierten und jeden Anlass dafür nutzten. Wir waren von Anfang an überrascht, wie gut Masas Englischkenntnisse waren. In vielerlei Hinsicht wirkte der junge Mann gar nicht japanisch, sondern weltgewandt.

Auch zu dieser Feier gesellte sich ein Koreaner, mit dem wir letzten Endes nichts anzufangen wussten. Er sprach kein einziges Wort mit uns, besorgte aber Essen für alle. Diese Haltung verwirrte mich in außergewöhnlichem Maß, doch ich lernte die Erklärung dafür schon bald. Zum einen ist es in Korea ganz selbstverständlich, dass Gäste etwas mit dem Manager eines Hostels teilen – und umgekehrt. Zum anderen konnte der Kerl nicht genug Englisch, um sich auch nur vorzustellen. Er versicherte Belle aber, dass er einen schönen Abend hatte und die Gesellschaft genoss. Uns blieb nichts anders übrig, als ihm zu glauben.

Während wir also in dieser illustren Runde saßen und ziemlich viel Zeugs ohne Sinn und Verstand erzählten, wurde auch viel Alkohol ausgeschenkt. Dieses Mal verzichteten die Leute aber auf Hochprozentiges und gaben sich mit Bier zufrieden. Allerdings war es mit einer drei Liter Plastikflasche nicht getan, weshalb man noch Nachschub holte. Sowohl Franziska als auch Zuska beschlossen, dass Koreaner kein Bier brauen konnten. Tags darauf verschwand Zuska; dieses Mal sahen wir sie nicht wieder.


Tatsächlich erkannten wir schnell, dass es einige Unterschiede zwischen Seoul und Busan gab, die sich nicht nur auf die Städte, sondern auch auf weitere Aspekte des Lebens ausdehnten. Beispielsweise sahen wir wesentlich mehr übergewichtige Leute hier im Süden als in der Hauptstadt. Darüber hinaus war Busan nicht so gut auf Touristen vorbereitet wie Seoul. Ja, es gab Touristeninformationen mit Broschüren in verschiedenen Sprachen. Aber es gab wesentlich weniger Ausländer und wesentlich weniger Personal, das zumindest einige Brocken Englisch sprach. Auch die Beschilderung war nicht immer in englischer Sprache vorhanden. Dafür fanden wir viele einfache Hinweisschilder an Läden, die in kyrillischer Schrift waren. Wir schafften es trotzdem immer uns zurechtzufinden und wurden von allen Leuten äußerst freundlich behandelt.


Anders als in Deutschland spielen Geister in der koreanischen Kultur bis heute eine wichtige Rolle, was vor allem mit dem Ahnenkult zusammenhängt. Geister zählen nicht zum Aberglauben, sondern sind Teil der Realität in Korea. Punkt. Es hat keinen Sinn mit Koreanern darüber zu diskutieren.

Das heißt nicht, dass es für einen Europäer nicht lustig sein kann, wenn man mal einen koreanischen Geist sieht und die Reaktion von Koreanern auf ihn beobachten darf.

Ich hatte das unvergessliche Privileg bei einem solchen Ereignis zugegen zu sein, das sich folgendermaßen zutrug. Auf dem Weg nach draußen schneite ich an der Rezeption vorbei, um mich nach dem Weg zu erkundigen und kurz abzumelden. Just in diesem Moment sah man auf der Überwachungskamera, wie die Tür des Dachzimmers aufging… und wieder zufiel. Drei gebannte Augenpaare, Belle und zwei Gäste, starrten mit offenen Kinnladen und Ausrufen des Unglaubens auf den Bildschirm. Daneben saß Zuska, gelassen, entspannt; ich stand noch in der Tür. Ausnahmslos alle Koreaner im Raum hielten dies für ein Werk von Geisterhand. Ich schob eher dem starken Wind die Schuld zu. Als ich mich anbot nach oben zu gehen, um die Tür fest zu schließen, schrie einer der Jungs tatsächlich, dass ich nicht gehen solle. Er hatte Angst, dass dort oben ein echter Geist sein Unwesen trieb und mir Böses wollte. Ich bin mir annähernd sicher, dass der junge Mann bereits eine Gänsehaut hatte. Ungeachtet seiner Zweifel bot ich Bell meine Hilfe nochmals an, weil ich nicht wollte, dass sie den ganzen Tag in Angst und Schrecken verbrachten. Nur widerwillig nahm unsere Gastgeberin dieses Angebot an. So stieg ich die Treppen aufs Dach hoch, um die Tür zu schließen. Ich hatte mir Geister gruseliger vorgestellt.

Die Sache mit den Geistern war uns schon in Seoul über den Weg gelaufen, allerdings in einem viel weiteren Ausmaß.

Franziska war dabei gewesen, als Jae Won einen Geist sah. Sie berichtete mir – nicht ohne einen gewissen amüsierten Unterton – wie der Junge an einem offen stehenden Raum vorbei gegangen war, irgendetwas aus dem Augenwinkel gesehen haben musste, wieder rückwärts zurückging, den Raum betrat, sich verwirrt umsah, wieder hinausging, um noch einmal rein zu gehen und dann Jae Woo von einem Geist berichtete. Jae Won soll dabei bleich geworden sein, denn der Raum war beide Male leer gewesen. Aber er wusste die Gestalt aus der anderen Welt genau zu beschreiben. Es war ein Mädchen mit langen, schwarzen Haaren, das vor einem der Betten gestanden haben soll. Jae Woo lachte ihn offen aus. Später versicherte Jae Won mir, dass er keine Angst vor Geistern hätte, was ich aufgrund dieses und anderer Ereignisse nicht so ganz glauben wollte. Aber das verrate ich dem Jungen nicht.

Ein anderes Mal als wir unten in der Lounge des Inno Hostels saßen, lief im Hintergrund ein Film – ein Horrorfilm mit Geistern. Wir sahen nur die Anfangsszene, bevor jemand sich erbarmte und umschaltete. Es ging um irgendeinen weiblichen Geist, der irgendwo in einem Badezimmer spukte. Nach dieser Szene traute sich unser Jüngster für die nächste Stunde nicht mehr aufs Klo, obwohl er genau deshalb aufgestanden war. Martin, der sich anbot mitzukommen, unterbreitete diesen Vorschlag wahrscheinlich nur, weil er sich verantwortlich fühlte. Ganz geheuer schien auch ihm die Sache nicht.

Hulk war ebenso einfach von Geistern zu beeindrucken. Um dem ganzen Spektakel noch die Krone aufzusetzen, sah er sich youtube-Videos mit Geistersichtungen an. Ich möchte hier noch einmal betonen, dass alle drei Kerle ehemalige Navy Seals der Koreanischen Armee waren. Das Argument, das man an dieser Stelle von vielen Koreanern hörte, war, dass man Geister ja nicht schlagen könne, weshalb man keine Möglichkeit habe, sich zur Wehr zu setzen. Erstaunlich logisch.


Busan Tower
Wir unternahmen einen Ausflug zum Busan Tower, der glücklicherweise nicht weit von unserer Herberge entfernt war. Glücklicherweise deshalb, weil das Wetter immer noch sommerlich war. Es war nur ein kurzer Marsch und ein noch kürzerer Aufstieg den Hügel hinauf, auf dem der Turm stand. Den Hügel zu erklimmen war allein deshalb besonders einfach, weil es überall Rolltreppen gab, die einen nicht nur nach oben, sondern auch wohlbehalten und sicher wieder nach unten brachten. Das kam uns nur ganz recht.

Busan Tower

Wie immer lag diese Sehenswürdigkeit in einer gepflegten Umgebung. Am Fuße stand ein kleiner Pavillon mit einer großen Glocke darin. Selbst von diesem Hügel aus konnte man schon das Meer sehen. Kein Wunder, wenn die Mauern auf dem Dach unserer Herberge nicht so hoch gewesen wären, hätte man auch von dort bis zum Meer sehen können. Um den Turm herum erstreckte sich ein Park, in dem man behutsam spazieren gehen konnte und in den Genuss von Schatten kam. Wir betrachteten den Turm nur von unten, doch wir besuchten bei der Gelegenheit auch das Busan Tourist Shopping Center, in dem sich sowohl Souvenirs als auch Infostand fanden. Schon beim Betreten des Ladens umwehte uns der Duft von Zahnarztpraxis, was bei mir nicht gerade zu rosiger Stimmung führte. Dennoch drehten wir eine Runde durch die Räumlichkeiten. Tatsächlich fand ich nichts, das meine Aufmerksamkeit für längere Zeit gefesselt hätte.

Glocke am Fuß des Busan Towers

Drache am Fuß des Busan Towers

Dann flanierten wir gelassen durch den Park hinunter, um uns zumindest ein bisschen Bewegung zu gönnen. Wieder unten am Hügel angekommen begaben wir uns in die belebte Fußgängerzone, in der man allerlei kunterbunte Geschäfte, Marktstände und Straßenverkäufer antraf. Es war einfach nur erstaunlich. Selbst in Seoul hatten die Einkaufsstraßen nie so eng und voll gewirkt, obwohl mindestens ebenso viele Menschen unterwegs waren. Hier schienen die Massen einfach konzentrierter zu sein. Wir schlängelten uns durch die Menge, betrachteten die zahllosen Marktstände mit Socken, bevor wir wieder den Heimweg antraten.

Einkaufsstraße in Busan


Mit der Zeit gewöhnten wir uns auch in Busan ein und lernten bei der Gelegenheit, dass die Hostelkatze doch von einem anderen Stern war. Sie war sehr umgänglich, ließ sich viel gefallen und wehrte sich gegen kaum einen Besucher. Allerdings hatte sie doch eine ungewöhnliche Vorliebe: Sie mochte es ausgesprochen, wenn man ihr sanft auf den Hintern klopfte. Diese eine, kleine Stelle zwischen Schwanzansatz und Rücken war ihre Schwachstelle. Es ging so weit, dass sie begierig um mehr Hiebe bettelte, wenn man auch nur daran dachte kurz aufzuhören. Im Gegenzug belohnte sie ihre menschliche Assistenz damit, dass sie sie abschleckte.


Dank unserer hervorragenden Organisationsfähigkeiten sowie intensiven Netzwerkens nutzten wir die einmalige Gelegenheit Jelle wieder zu sehen. Wir hatten ihn in Franz Josef, Neuseeland, kennengelernt, in Christchurch noch einmal aufgesucht und festgestellt, dass er dieselbe Route zu nehmen gedachte, wie auch wir – allerdings umgekehrt. Er flog nach Tokio, zog dann nach Kyoto, Osaka, Busan und Seoul, bevor er weitere Staaten aufsuchte. Also beschlossen wir, dass es Zeit für ein Wiedersehen war. Nach langen und stellenweise schwierigen Verhandlungen fanden wir endlich einen Tag, der wie geschaffen war.

So zogen wir nach der Arbeit los, um Jelle zu treffen. Wir hatten uns an der Haltestelle der Metro verabredet, sogar den Ausgang genannt, aber dabei vergessen zu erwähnen, wo genau wir stehen würden. Also stolperten wir einige Zeit orientierungslos durch die Gegend, bis wir diesen auffälligen Blondling fanden. Wir unternahmen einen Ausflug in die Lotte Mall, um uns ein bisschen abzukühlen, zogen dann noch weiter durch die Straßen, aßen Bingsu und redeten allerlei wirres Zeug. Jelle war mit seiner bisherigen Reise sehr zufrieden, was wir selbstverständlich gerne hörten. Wir empfahlen ihm einige Sachen in Seoul und rieten von anderen ab. Abends aßen wir noch eine Kleinigkeit zusammen, was für den jungen Mann zu wenig war, weshalb er noch eine Portion Nudeln bekam. Es war ein sehr angenehmes Treffen.


Es ergab sich, dass wir zu Zeiten des Koreanischen Unabhängigkeitstages, 15. August, in Busan verweilten. Zu diesem Anlass hatte die Stadt nicht nur ihr Antlitz gewandelt, sondern auch diverse Veranstaltungen zur Feier des Tages auf die Beine gestellt. Überall fand man die koreanische Flagge, Lampions, Wimpel und dergleichen.

Geschmückte Straßen zur Unabhänigkeitsfeier

Am Vorabend des tatsächlichen Unabhängigkeitstages fand ein großes Feuerwerk im Hafen von Busan statt. Wir erfuhren recht kurzfristig davon, so dass wir uns sputen mussten, um noch rechtzeitig anzukommen. Von einem guten Platz war schon lange nicht mehr die Rede. Wir kamen rechtzeitig am Wasser an, um den Beginn des Feuerwerks zu sehen, aber leider konnte man wegen eines großen Schiffes nur wenig erkennen. Also zogen wir weiter auf der Suche nach einem besseren Standort.

Nach einigen Minuten hatten wir diesen gefunden und bestaunten mit vielen Koreanern das Spektakel. Koreaner haben wirklich die Angewohnheit ihr Staunen in lauten „Ohhs“ und „Aahs“ kundzutun – ungeachtet des Alters oder Geschlechts. Als es dann richtig losging, hatten wir einen annehmbaren Aussichtspunkt gefunden, so dass wir nicht viel verpassten.

Feuerwerk in Busan

Unzählige Feuerwerkskörper vertrieben die abendliche Dunkelheit mit ihrem bunten Glanz. Dort zischte eine Rakete in die Luft, gefolgt von einem Funkenregen. Es knallte laut. Einige dieser bunten Farbkugeln am Nachthimmel waren schlichtweg riesig, während andere ungewöhnlich waren. Da gab es die einfachen runden Bälle, die man schon gesehen hat. Es gab Ringe und Herzchen. Manche wechselten ihre Farbe nach der Explosion; andere bestanden sofort aus mehreren Farben. Groß neben klein, riesig gefolgt von winzig. Dazwischen fanden sich außergewöhnliche Exemplare, die wie goldene Wasserfälle vom Himmel fielen. Andere wiederum schlängelten sich auf die Zuschauerschaft hernieder, als wolle eine Schlange eine Wendeltreppe hinunterkriechen. Die nächsten wirkten wie ein verpixeltes impressionistisches Gemälde. In der Ferne sah man noch die Spitze von feurigen Fontänen.

Myriaden von Funken in verschiedenen Farben und Formen gesellten sich zu einem farbenprächtigen Tanz. Nach einer dreiviertel Stunde kam der glorreiche Höhepunkt, bei dem Farben, Formen und Intensitäten sich mischten. Es gab kein Entrinnen, der Himmel war taghell. Ein jeder Koreaner, der etwas auf sich hielt, machte Fotos oder gar Videos von dem Ereignis, getreu dem Motto: „Wenn ich es nicht festhalte, hat es nie stattgefunden.“ Einige Leute hielten die ganze Zeit über ihre Mobiltelefone in die Luft, um auch tatsächlich das ganze Schauspiel später mit Freunden und Verwandten zu teilen. Kaum, dass es zu Ende war, löste sich die Menge auch schon auf, und mit ihr zogen wir nach unserer Heimatstatt. Ein phantastischer Abend!


Der Grund, aus dem das Zusammenleben in Korea auch auf engstem Raum reibungslos funktionierte:

Soldaten im Urlaub

Der Platz wurde einfach den dummen Ausländern überlassen, während Koreaner sich mit einem Bett zufrieden gaben, das sie auch noch ordentlich hielten, hegten und pflegten. Vor allem männliche Vertreter dieser Spezies machten dies anstandslos. Insbesondere, wenn sie gerade erst aus dem Militärdienst entlassen worden waren oder gerade im Urlaub waren. Aus diesem Blickwinkel waren 9m² auf einmal ein Schloss mit mehreren Flügeln – insbesondere wenn man ein eigenes Badezimmer zur Verfügung hatte.

Es war wirklich entspannend, wie umgänglich die Jungs waren. Es gab einen Bereich in dem Achtbettzimmern, in dem man große Koffer abstellen konnte, aber außer uns Leuten aus dem Westen machte keiner davon Gebrauch. Wir mussten uns nie an irgendjemandem vorbeidrängeln, wir durften so viel Platz einnehmen wie wir wollten – wenn wir bereit waren den Preis dafür zu zahlen. Dieser bestand im Schminktisch. So lange wir den Jungs morgens genug Platz und Zeit ließen, sich für den Tag zurecht zu machen, durften wir den Rest des Zimmers in Anspruch nehmen. Aber auch hier war Vorsicht geboten, denn es konnte so weit ausarten, dass die Badezimmer für einen längeren Zeitraum nicht mehr zur Disposition standen. Das klingt jetzt besitzergreifender, als es tatsächlich war.

Denn auch in diesem Lebensbereich wussten die Koreaner mit ihren Ressourcen umzugehen, vor allem besagte Jungs. Da sie es nicht anders gewohnt waren, gingen sie gut und gerne in Grüppchen duschen. Als wir eines Abends oben in der geräumigen Küche saßen und uns unterhielten, wollten gerade zwei Jungs, die einen Tag zuvor aus dem Dienst entlassen worden waren, duschen gehen. Wie sie es nicht anders kannten, gingen sie zusammen in ein Badezimmer. Wir beobachteten das eher desinteressiert, denn schließlich hatten wir uns schon akklimatisiert und sahen diese nicht zum ersten Mal. Unseren Gast des Abends, Jelle, verwunderte dieses Verhalten allerdings in großem Maße, weshalb er seinem Erstaunen verbal Ausdruck verlieh. Franziska kommentierte dies nur mit den Worten: „As long as they are quiet, I don’t care what they do.“ („So lange sie ruhig sind, kümmert es mich nicht, was sie machen.“) Wir brachen allesamt in schallendes Gelächter aus.

In diesem Moment sah man Belles Gesicht an, dass die Rädchen in ihrem Gehirn sich langsam in Bewegung setzten. Es dauerte ein, zwei Sekunden, bis die Bedeutung von Franziskas Aussage bis zu ihrem Bewusstsein durchgedrungen war. Mit einem Mal weiteten sich die Augen unserer Gastgeberin, sie sprang hektisch auf, lief den Jungs hinterher, zerrte einen von ihnen am Arm durch die sich bereits schließende Badezimmertür und erklärte ihm, dass es noch ein Badezimmer auf der Etage gab, das gerade auch frei war. Pure Verständnislosigkeit stand in den Gesichtern der ehemaligen Soldaten geschrieben. Aber Belle bestand darauf, dass jeder ein anderes Badezimmer benutzte. Was für ein Anblick!


Während unseres Aufenthaltes in Busan spitzte sich die Lage zwischen Nord- und Südkorea zu. Südkoreanische Soldaten waren in der DMZ auf eine nordkoreanische Mine getreten, woraufhin es Schwerverwundete kam, was natürlich starke Emotionen hervorrief. Jedenfalls behauptete der Süden, dass die Mine in dem sonst sicheren Bereich aus dem Norden stammte. Auch darüber wurde lange Zeit gestritten. Der Süden nahm seine Beschallungsanlagen nach elf stillen Jahren wieder in Betrieb und ergötzte den Norden mit Wettervorhersagen und Popmusik, was von der Obrigkeit im Nachbarstaat mit Empörung entgegengenommen wurde. Hier lohnt sich zu erwähnen, dass die Bauern im Norden von solchen Kleinigkeiten wie einer Wettervorhersagte durchaus profitieren könnten, da sie nicht über die neuste Technik verfügten und es ihnen eventuell hätte helfen können. Vielleicht wurde dies bereits bei der DMZ-Tour deutlich. Über die Musik lässt sich natürlich streiten. Und über das Prinzip, denn darum ging es den Regierungen letzten Endes nur. Der Lautsprecher, von dem hier die Rede ist, wurde daraufhin mit Gewehrschüssen bedacht, Politiker stießen Drohungen aus, Eines führte zum Anderen, und letzten Endes saßen sich beide Seiten am Verhandlungstisch gegenüber, was weltweit mit Wohlwollen begrüßt und mit Spannung verfolgt wurde.

Auch wenn die Angelegenheit in den deutschen Medien aufgebauscht wurde, man sogar von südkoreanischer Propaganda sprach, Panzereinsätze hinzudichtete und eine atomare Eskalation an die Wand malte, bekamen wir in Busan wenig davon mit. Tatsächlich wurden uns die meisten Informationen von deutscher Seite zugespielt, was dazu führte, dass wir Belle nach dem tatsächlichen Ablauf und den Folgen für Südkorea fragten. Einige Soldaten mussten ihre Buchungen absagen, weil sie aus dem Urlaub zurückbeordert worden waren. Ansonsten ging das Leben normal weiter. Erstaunlicherweise machte man sich in Deutschland mehr Sorgen über den Verlauf der Ereignisse als in Korea. Mal davon abgesehen, dass die Berichterstattung stellenweise einfach nur falsch war.


Lotte Mall Gwangbok



Dann gab es noch die Lotte Mall Gwangbok, die hier in allen erdenklichen Einzelheiten aufgeführt werden muss. Nachdem ich den ein oder anderen Spaziergang durch diesen Koloss machen durfte, werde ich Arkaden nie wieder mit denselben Augen betrachten. Nicht einmal Paddy’s Market in Sydney konnte hier mithalten. Nimmt man dann auch noch ein deutsches Pendant dazu, fällt einem die Langeweile meines Heimatlandes erst so richtig auf. Beginnen wir doch am Anfang. Vorher erinnern wir uns nur kurz daran, dass Lotte nicht omnipräsent war.

Als wir die Lotte Mall zum ersten Mal betraten, nahmen wir den unterirdischen Eingang, der von der Metro Shopping Area direkt ins Untergeschoss dieses faszinierenden Gebäudekomplexes führte. Wir schritten durch blank polierte Glastüren mit verchromten und teils vergoldeten Griffen in ein turbulentes Menschengewusel, das sich in Seelenruhe hin und her bewegte. Aus verschiedenen Richtungen wehten unterschiedliche Düfte zu uns her, von denen jeder mir das Wasser im Munde hätte zusammenlaufen lassen, wenn ich nicht gerade erst gegessen hätte. Im diesem Geschoss fand man vor allem Restaurants und Essenstände.

Moment, das ist nicht ganz korrekt. Im Untergeschoss der Aqua Mall fand man diese. Hier lohnt sich eine detaillierte Beschreibung des Gebäudekomplexes Lotte Mall Gwanbok.

Die Lotte Mall Gwangbok bestand aus drei Gebäuden, die auf verschiedenen Ebenen miteinander verbunden waren und mit jeweils elf Etagen ein Shoppingerlebnis für jedermann boten. Es gab, wie bereits erwähnt, die Aqua Mall, dann noch den Department Store sowie das Entertainment Building. Jedes Gebäude hatte eine andere Form, Ausstattung und Einteilung. In diesem Komplex fand sich ungelogen alles, was man brauchte, suchte oder noch nicht kannte.

Es fing damit an, dass der einfache Supermarkt bereits vier Etagen des Entertainment Buildings einnahm. Zahlreiche Geschäfte mit der aktuellen Mode für jeden Stil und Geschmack gaben sich in der Aqua Mall die Hand. Abgewechselt wurde dies – selbstverständlich – durch Cafés und Restaurants, die manchmal nur eingestreut waren, um den Besucher zu einer kurzen Rast einzuladen, manchmal aber auch ganze Etagen in Anspruch nahmen, wie es beispielsweise im vierten oder zehnten Stock der Fall war.

Der Department Store bediente eher die großen Anliegen seiner Besucher. Ob es nun der Kauf der gesamten Wohnungseinrichtung war oder der Maßgeschneiderte Anzug, dies spielte hier eine untergeordnete Rolle. Natürlich gab es auch die Möglichkeit viele waren Duty Free zu bekommen. Internationalen Kunden standen zudem Wechselstube und Geldautomat zur Verfügung, um keine Schwierigkeiten beim Einkaufsspaß aufkommen zu lassen.

Das war bei weitem noch nicht alles. Für unausgelastete Kinder gab es einen Themenpark, in dem man die kleinen Störenfriede unter Aufsicht zurücklassen konnte. Für Erwachsene mit Bewegungsdrang fand sich ein Sportclub. Passend dazu gab es Sportbekleidungsgeschäfte verschiedener Firmen für unterschiedliche Zielgruppen. Nach solch einem anstrengenden Fitnessprogramm gab es doch nichts Besseres, als einen entspannenden Besuch in der Spa. Auch hierfür brauchte man das Gebäude nicht zu verlassen, denn es reichte eine Etage höher zu fahren. Einen Elektronikladen gab es natürlich auch.

Ergänzt wurde dieses Angebot vom kulturellen Teil Lottes, der eine Culture Hall, Galerien und Arbeitsräume für verschiedene Projektgruppen, wie beispielsweise Kochschule, Kunstklasse oder Handwerksraum, umfasste.

Darüber hinaus war es möglich diverse Ereignisse in der Lotte Mall zu zelebrieren, wofür man Eventhallen verschiedener Größen auf diversen Etagen bereitstellte. Mehr als ein junges Pärchen ließ seine Hochzeit in der Lotte Mall Gwangbok ausrichten.

Aber auch der einfachen Unterhaltung konnte vor Ort gefrönt werden: Das hauseigenen Lotte Kino erstreckte sich immerhin über vier Etagen. Ich habe vergessen, warum wir es nie aufsuchten. Es hätte ja nicht unbedingt die 8-Uhr-Vorstellung sein müssen.

Selbstverständlich war Lotte auch um das Wohlergehen seiner Kunden bedacht, weshalb sich einige Arztpraxen (Zahnarzt, Hausarzt, Arzt für orientalische Medizin, Schönheitschirurg) im Gebäude befanden. Richtig: Man konnte sich morgens die Augen vergrößern lassen und gleich danach den nächsten Blockbuster sehen, ohne nach draußen zu gehen.

Zahlreiche Rolltreppen und Aufzüge verbanden die einzelnen Etagen miteinander. Für koreanische Verhältnisse war es nicht wegzudenken, dass sich in jedem Stockwerk mehrere Toiletten und Wasserspender befanden. Die Toiletten verdienen hier eine eigene Erwähnung. In Korea (und vielen anderen Ländern außerhalb Deutschlands) haben die Behörden verstanden, dass es gewisse Bedürfnisse gibt, die der Mensch nicht ewig unterdrücken kann, weshalb man vielerorts saubere, geräumige, kostenlose Toiletten fand. Lotte versprach mehr! – und hielt sein Versprechen.

In der Lotte Mall Gwangbok waren die Toiletten nicht nur gepflegt und kostenlos, sondern auch noch stylisch. Jede Etage hatte ihren eigenen Stil mit verschiedenen Themen und unterschiedlicher, angepasster Musik. Schminktische mit großen Spiegeln waren allgegenwärtig; Wickeltische eine Selbstverständlichkeit. Selbst bei der Konzeption der Waschbecken hatte man sich etwas gedacht: Anstatt eines öden Wasserstrahls gab es in einigen Toiletten einen feinen Nebel, der auf die Hände gestäubt wurde. Wie dekadent!

Toiletten im Lotte Department Store

Lotte wäre aber nicht Lotten, wenn das Unternehmen sich bereits hier zufriedengeben würde. Um das Programm zu vervollständigen und wirklich alle Kundenwunsche (bewusste oder unterbewusste) zu berücksichtigen, nutzte man auch das Flachdach der Mall gekonnt aus. Als wir durch die Tür auf die Dachterrasse gingen, wurden wir von einem Hain umfangen.

Dachgarten

Eine hübsche Parklandschaft mit Zierpflanzen und Sitzgelegenheiten schuf eine Oase der Erholung inmitten einer Millionenmetropole. Für den rastlosen Geist gab es auch einen Zen-Garten.

Zen Garten auf dem Dach der Lotte Mall Gwangbok

Wir stiegen hinauf zum Beobachtungsdeck, das fast schon einen Rundumblick über die Gegend ermöglichte. Man sah den Busan Tower mit ihm umgebenden Park. Das Meer war nicht weit. Der Fischmarkt fast zum Greifen nah. Dort, wo man auf die Yeongdo Brücke hinuntersehen konnte, fand sich eine Bank, die diese Brücke darstellte – inklusive der aufgemalten Möwen.



Um den Besuchern auch in kalten oder nassen Zeiten ein angenehmes Klima zu bieten, das zum Verweilen einlud, gab es hier hoch oben über der Stadt ein Café mit spektakulärer Aussicht. Außerdem erfreute ein Kleintierzoo Besucher aller Altersklassen. Ja, dieses pflegeintensive Programm stellte Lotte kostenlos seinen Besuchern zur Verfügung.

Garten über den Dächern der Stadt

Und dann gab es noch den Springbrunnen.
Auch für Unterhaltung in koreanischem Stil war in der Lotte Mall gesorgt. Die Aqua Mall verdiente ihren Namen nämlich zurecht aus folgendem Grund: Inmitten des Gebäudes stand der weltgrößte Indoor-Springbrunnen, eine Fontäne, die über vier Etagen ging. Während unten ein Planschbecken mit mehreren Fontänen Wasser in die Höhe schossen, fielen von oben Wasserstrahlen hinunter.

Springbrunnen in der Aqua Hall

Manchmal bildete das Wasser nur einen Vorhang oder einfache Muster, die ineinander übergingen oder sich ergänzten, manchmal aber schrieben die Verantwortlichen auch diverse Sachen in die Luft. Den Höhepunkt bildete allerdings die Wassershow, die mehrmals täglich anzusehen war und ungefähr zehn Minuten dauerte. Eine Wand aus Wasser schob sich im Kreis umher, während Bilder auf sie projiziert wurden. Untermalt wurde das Ganze von klassischer Musik. Als wir es uns ansahen, lief gerade eine Ballettvorführung auf dem Wasservorhang. Ein weitsichtiger Mensch hatte zahlreiche Sitzgelegenheiten am Fuß der Fontäne aufstellen lassen.


In Busan ergab sich auch die Gelegenheit, einige koreanische Spezialitäten zu probieren, die mir in Seoul durch die Lappen gegangen waren. Ich werde klein anfangen.

Da meine Reisebegleitung entschieden weniger aß als meine Wenigkeit, kam es mehr als einmal vor, dass ich in die großen, menschendurchfluteten Straßen Busans zog, um nur eine Kleinigkeit für mich selbst zu erstehen. Wir kochten schon mittags zusammen, also war ich zu faul noch am Abend etwas zuzubereiten. Müsli fand ich nicht in der Preiskategorie, die ich als vertretbar ansah, so dass mir nicht viel anderes übrig blieb, als etwas zu kaufen. Das war gar nicht schlimm, denn das Essen war überall erschwinglich.

Als ich eines Abends hungrig, aber ziellos durch die Straßen schlenderte, um einen Snack vor der Nachtruhe zu mir zu nehmen, stolperte ich über einen ganz kleinen Verkaufsstand, der komische Bällchen verkaufte. Sie waren ungefähr so groß wie meine Faust und mit verschiedenen Zutaten gefüllt. Da ich nicht wusste, was auf mich zukam, beschloss ich einen sanften Anfang und kaufte nur eines dieser Bällchen, auch wenn es wahrscheinlich zu wenig für meinen gierigen Magen sein würde. Es stellte sich heraus, dass das eine Fehlentscheidung war.

Fritierte Teigtaschen mit leckerer Füllung

Ich fand diesen Snack so lecker, dass ich in der kurzen Zeit unseres Aufenthaltes in Busan zu einem Stammkunden des Geschäfts wurde. Ich probierte auch alle Füllungen durch, was bei der geringen Auswahl schnell ging – nur das scharfe Zeug ließ ich aus. Franziska bestätigte mich in meiner Meinung. Da ich zumeist zu später Stunde an dem Laden vorbei ging und sie ihre Lebensmittel gerne loswerden wollten, bekam ich oft noch eine Kleinigkeit kostenlos dazu. Es gab also genug Leckereien für jeden Abend. Tatsächlich war ich am Boden zerstört, als ich an einem Abend an dem Geschäft vorbei ging, um festzustellen, dass sie gerade ihren freien Tag und somit geschlossen hatten. Stattdessen musste ich mir eine Alternative suchen. Ich probierte sogar einen anderen Stand aus, nur um festzustellen, dass diese Teigbällchen zwar auch lecker, aber doch so vollkommen anders waren. Letztere bestanden aus Fishcake, was bei meiner Reisebegleitung auf wenige Gegenliebe stieß.

Immer noch der Auffassung, dass am Spieß alles besser schmeckte, kaufte ich einmal Hähnchen am Spieß. Es war in irgendeiner leckeren Marinade, stark angebraten und triefte noch. Das war auch sehr lecker.

Belle und Zuska lehrten uns einiges in Sachen koreanischer Ernährung. Dass man mit wenigen Lebensmitteln im Kühlschrank sehr wohl ein schmackhaftes Mahl zubereiten konnte. Dass man Essig als Erfrischungsgetränk trinken konnte.

Trinkessig

Dass kurz angebratener Gim mit einem Schuss Sojo eine hervorragende Ergänzung zu meinem täglichen Mittagessen darstellt. Franziska schaudert an dieser Stelle wahrscheinlich. Und dass man sehr wohl Kartoffeln mit Nudeln und Reis in einem Gericht verarbeiten kann.

"Ausgewogene" Ernährung à la Belle

Lotte nahm so einen geringen Stellenwert in Busan ein, dass wir fußläufig nur zwei Fastfood-Burger-Läden dieses Unternehmens, Lotteria genannt, erreichen konnten. Wie bereits in Sydney erwähnt war es uns ein persönliches Anliegen Burgerläden aus aller Welt auf Herz und Nieren zu prüfen. Eines Abends zogen wir also aus, um uns bei Lotteria gütlich zu tun. Wir waren gerade eh in der Lotte Mall, so dass der Weg nicht weit war, denn im Untergeschoss gab es eben diesen Laden. Lotteria wusste auch, wie man in Sachen Eigenwerbung den englischsprachigen Kunden den Kopf verdrehte.

Eigenwerbung für Lotteria

Wie nicht anders zu erwarten, waren die Essgewohnheiten auch in Sachen Burger an den koreanischen Gaumen angepasst, so dass es tatsächlich einen Bulgogi-Burger gab. Wie hätten wir daran vorbeigehen können, ohne davon zu kosten? Diese Option gab es schlichtweg nicht.

Bulgogi-Burger bei Lotteria

In diesem Fall beschwerte ich mich nicht einmal über die Wartezeit, denn dieser Burger war wirklich lecker. Außerdem war es mal eine Abwechslung zu den europäischen Varianten, die ich bisher kannte.

Als wir mit Anneena in Seoul unterwegs waren, kamen wir an einem Stand vorbei, der Beondegi verkaufte. Die junge Dame wollte unsere Ekelgrenze testen und uns einen Becher von diesem in Europa doch eher ungewöhnlichem Snack andrehen. Wir lehnten dankend ab. Meinerseits hatte dies nicht das Geringste mit Abscheu zu tun, sondern ich war einfach nur pappsatt. Wie bereits erwähnt, waren wir kurze Zeit zuvor bei einem koreanischen Grill gemästet worden. In Busan ergab sich erneut die Gelegenheit an einem der zahlreichen Lebensmittelstände Beondegi zu holen. Dieses Mal wollte ich es wissen. Zur Erläuterung: Beondegi sind geschmorte Seidenraupenpuppen.

Seidenraupenpuppen im eigenen Saft

Der Kauf dieses Snacks war schon eine spannende Angelegenheit. Ich schlenderte gemütlich die Buden am Biff Plaza entlang, als mir dieser Stand mit eben diesem Snack ins Auge fiel. Einige Tage zuvor hatte Anneena mich noch damit reizen wollen. Dieses Mal wollte ich mir eine Portion holen. Es verwunderte mich ein wenig, dass der Verkäufer Beondegi und dünne Pommes Frites anbot, aber ich fragte nicht weiter nach. Leider sprach der Mann kein Wort Englisch, weshalb ich mich mit Handzeichen zu verständigen suchte. Es klappte. Allerdings verstand ich seine Antwort nicht. Das war für ihn auch kein großes Hindernis, denn er nahm einige Fritten und drückte sie mir in die Hand, obwohl ich sie nicht bestellt hatte. Verwirrt, aber mit meinem Einkauf zufrieden, ging ich wieder meines Weges – ins Hostel, um Franziska meine Ausbeute zu zeigen.

Sie war von meinem Fund genauso begeistert, wie ich es erwartet hatte. In diesem Moment dachte sie an Zuskas Worte, die unsere Mitarbeiterin schon einige Male gesprochen hatte: „Close your eyes and think of something nice.“ („Schließe die Augen und denke an etwas Schönes.“) Selbstverständlich zwang ich sie nicht mitzuessen. Stattdessen beobachtete sie mich bei meinem Abendmahl. Anfangs war ich ein bisschen skeptisch, weil dieser Snack doch eher außergewöhnlich für mich war, aber ich überwand meine Zweifel und spießte die erste Puppe auf. Es stellte sich heraus, dass Beondegi ein bisschen wie Schwein schmeckten, dabei allerdings wesentlich knuspriger waren. Der Clou waren aber wirklich die Fritten, die der Mann mir dazu gab. Damit schmeckten Beondegi richtig klasse. Außerdem sollte man immer ein Getränk dazu nehmen, weil dieser Snack erstaunlich trocken sein konnte, obwohl er im eigenen Saft schmorte. Nach etwas mehr als einem halben Becher stellte ich fest, dass ich nicht weiteressen konnte. Schließlich hatte ich es hier mit einer großen Portion Eiweiß zu tun und war in diesem Moment übersättigt.


Als ich mich eines Tages ziellos in die Weiten Busan’scher Straßen begab, stolperte ich über allerlei Kuriositäten. Es begann mit der Auskundschaftung der Einkaufsmöglichkeiten zwischen Metro-Station und Oberfläche. Wie sich herausstellte, war der gesamte Bereich von der Haltestelle, wo unser Hostel lag, bis zum Hauptbahnhof Busan unterirdisch begehbar. Es war ein langer Tunnel, der sich unter der Hauptverkehrsstraße hinzog. Um das ganze Gebilde ein bisschen aufzufrischen, gab es zahlreiche Einkaufsmöglichkeiten, die verschiedene Waren anboten. Kleidung und Accessoires standen dabei deutlich im Vordergrund. Es gab aber auch genug auflockernde Elemente und Bänke, um geschundenen Füßen einen Moment der Ruhe zu gönnen. In einem Teil gab es sogar einen kleinen, künstlichen Garten, der nicht nur dem Körper, sondern auch dem Geist zur Entspannung verhalf.

Oase der Ruhe in der unterirdischen Shopping Mall Busan

Meine Neugier obsiegte und ich wollte wissen, wie weit ich kam, ohne nach oben gehen zu müssen. Schon bald änderte sich das Antlitz dieses Tunnels, offensichtlich trat ich in einen älteren Teil, denn die Wände wurden schmuckloser und enger, die Verkaufsstände hier waren nicht mehr integriert, sondern schnell aufgebaute Hütten. Dieser Teil lag näher am Zentrum der Stadt.

Als ich dann irgendwann doch noch an die Oberfläche stieg, um mir die Gegend anzusehen, entdeckte ich das Deutsche Gebäude. Es beherbergte das Goethe Institut, die Lufthansa und das Honorarkonsulat der BRD.

das Deutsche Gebäude in Busan

Es gab einige Punkte auf meiner Karte, die ich mir ansehen wollte, also zog ich relativ zielsicher weiter. Schnell bemerkte ich, dass die Karte größer wirkte, als die Stadt war; was ich für eine Wegstrecke von zehn Minuten hielt, absolvierte ich in drei. Ergo gemahnte ich mich zur Vorsicht, um die Sehenswürdigkeiten nicht zufällig zu verpassen. Meine Sorge erwies sich als vollkommen unberechtigt, denn mein Ziel war so prägnant, dass man schon hätte blind sein müssen, um es zu übersehen. Es handelte sich um das Eingangstor zu Chinatown.

Seit Sydney mit diesem Konzept bereits vertraut, erwartete ich ein spannendes Wirrwarr, das vor Leuten überquoll und mich in eine andere Welt eintauchen ließ. Aber es schien, dass ich zur falschen Stunde kam. So früh am Tag war nichts los. Gar nichts. Als ob die Straße noch schlafen würde. Tatsächlich bestand dieses Chinatown aus nur zwei kurzen Straßen, die sich kreuzten. An jedem Eingang war ein Tor, das den Bereich deutlich abgrenzte. Nichtsdestotrotz war es eine Abwechslung zu den restlichen Straßen Busans, die ich in den letzten Tagen gesehen hatte, denn man hatte sich Mühe mit dem Erscheinungsbild dieses kleinen Stadtteilausschnitts gegeben. Die Straße wand sich einer Schlage gleich den kleinen Hügel hoch, während an den Seiten sowie in der Mitte kleines Zierrat einen chinesischen Flair vermitteln sollten.

Chinatown in Busan

In der Mitte fand sich ein luftiger Pavillon, der das Nachbarland in stilvoller Weise darstellte. Als ich mich allerdings an der Kreuzung einmal um die eigene Achse drehte, stieg so langsam der Gedanke in mir auf, dass irgendetwas nicht so ganz koscher war. Seit mittlerweile sieben Wochen in Südkorea, machte ich mir nichts mehr draus, dass ich die meisten Schriftzüge nicht lesen konnte. Da Busan noch weniger auf Touristen eingestellt war als Seoul, hatte ich mich damit abgefunden, dass ich einfach meinem gesunden Menschenverstand – falls vorhanden – folgen musste. Egal, in welchem Land ich mich befand, hatte ich auch gewisse Ansprüche an die Schrift, die mir in Chinatown begegnen müsste: Schriftzeichen. Ich erwartete keineswegs, sie zu verstehen, ich wollte nur diese typischen Piktogramme sehen, die man aus dem Land der Mitte kennt. Aber hier stimmte etwas nicht. Nun nagte etwas an meinem Bewusstsein, eine undeutbare Unruhe befiel mich, etwas war definitiv nicht in Ordnung, bis es mir nach mehreren Minuten wie Schuppen von den Augen fiel: Die Schrift vor mir war kyrillisch.

Kyrillische Beschriftungen in Busans Chinatown

Hier traf ich auf ein weiteres Mysterium, das Franziska immer noch lösen möchte: Wieso gibt es so viele Russen in Busan? Tatsächlich fiel es einem immer wieder auf, dass zahlreiche Geschäfte Hinweisschilder in russischer Sprache hatten, dass es die Touristenbroschüre auch auf Russisch gab, dass man immer wieder über russischsprachige Leute stolperte. Aber Chinatown war mit Abstand der krönende Abschluss.

Ich schlenderte weiter, weil ich auf dem Hinweg ein interessantes Gebäude gesehen hatte, das ich nun zu finden suchte. Es war nicht auf meiner Karte eingezeichnet, aber äußerst prägnant. Es sah aus wie ein überdimensionaler, mehrstöckiger chinesischer Palast – und das wollte ich mir nicht entgehen lassen. An diesem viel zu heißen Tag (jeder Tag in Südkorea war für meine Verhältnisse viel zu heiß, weshalb ich es nicht immer erwähnen möchte) stiefelte ich weiter durch die Gegend. Ich suchte nach kleinen Gassen und Verbindungsstraßen, die mich ungefähr in die Richtung brachten, in der ich das Gebäude vermutete. Fast die ganze Zeit über war es gut sichtbar, weil es offensichtlich auf einer Erhöhung stand. Ich erklomm Hügel, stolperte Treppen rauf und schlurfte Straßen entlang, bis ich endlich vor diesem Gebilde stand. Es stellte sich heraus, dass es ein Hotel war. Trotzdem schmuck anzusehen.

Hotel im Stil eines chinesischen Palastes


Auch wenn es ihrem Boss nicht sonderlich passte, hatte Belle auch freie Tage. Damit meine ich einen freien Tag in der Woche, der regelmäßig frei war. Ihr Chef äußerte sich tatsächlich verstimmt darüber, dass sie ihn wirklich nahm. Wie dem auch sei. Da kein Ersatz vorhanden war und keiner Aushilfsarbeitskraft so viel Verantwortung zugemutet werden konnte, lernten wir Belles Boss Ray kennen. Er war in Ordnung. Allerdings wurden wir nie richtig warm mit ihm. Er versuchte sich mit Small Talk, hatte gleichzeitig aber viel zu tun, weshalb sein Mobiltelefon manchmal klingelte. An diesem Tag waren wir auf uns alleine gestellt, weil er sich nicht um die Putzroutine kümmerte. Schließlich war er der Boss – oder so ähnlich. Da er keine Lust zu kochen hatte, bestellte er für uns alle ein Mittagsmahl, das aus Jjajamyeong bestand. Es sollte mir recht sein, denn das Essen war gut.

An Belles zweitem freien Tag während unseres Aufenthaltes war eine andere Vertretung da. Welche Rolle er einnahm, weiß ich nicht, jedenfalls war er uns nicht sonderlich sympathisch. Er sprach so gut wie gar nicht mit uns, stellte sich nicht einmal vor, und schien allgemein sehr von sich selbst überzeugt. Wir machten uns nicht die Mühe, ihn in irgendetwas zu involvieren.


Yeondo Brücke und Spaziergang durch die Kkangkkangi Straße
An einem anderen Tag begab ich mich auf eine Tour durch unsere Nachbarschaft. Die Broschüre empfahl einen Rundgang durch den Hafen, bei dem man die Yeongdo Brücke und die Werften sehen konnte. Die Brücke wurde einmal täglich gehoben, doch leider war dies zu unserer Arbeitszeit, weshalb sich keine Gelegenheit ergab, dieses Ereignis zu sehen.

Yeongdo Brücke von unten

Stattdessen spazierte ich nur einfach drüber und betrachtete die Gegend aus allen Winkeln. Auf der Fahrbahn der Brücke waren überdimensionale Möwen im Flug aufgemalt. Auf der anderen Seite fand sich eine Zeittafel, die die Entwicklung Busans innerhalb der letzten Jahrzehnte dokumentierte. Ich war wirklich erstaunt darüber, wie viel sich verändert hatte. Vor einem Jahrhundert war Busan noch ein armes, kärgliches Fischerdorf, doch heute stand hier eine Metropole mit wichtigen Industriestandorten und –betrieben.

Allerdings bot der Rundgang durch das Werftviertel nur wenige Sehenswürdigkeiten für mich. Ich versuchte der Route in meiner Broschüre so gut es ging zu folgen, aber aus Ermangelung an Straßennamen fand ich nicht immer den richtigen Weg. Letzten Endes weiß ich nicht, ob ich jemals am Yong Schrein vorbeigegangen war oder nicht, doch bewusst nahm ich ihn auf keinen Fall wahr. In meinen Augen war das Viertel unschön und trist. Allerdings gelang es mir einige sehenswerte Bilder vom Fischmarkt zu machen, da dieser direkt gegenüber war.

Jagalchi Fischmarkt

Außerdem bot sich mir ein phantastischer Blick auf die Lotte Mall von außen.

Lotte Mall und Yeongdo Brücke

Was die restlichen Touren der Broschüre betraf, stellten wir fest, dass wir einige davon schon mehr oder weniger erledigt hatten, als wir ziellos durch die Straßen Busans geschlendert waren. Wir kannten den Hügel mit dem Busan Tower ebenso wie die umliegenden Einkaufsstraßen. Aus diesem Grund verzichteten wir auf eine weitere Begehung.

Wir fanden allerdings noch eine kleine Gasse, in der ausschließlich Buchläden zu finden waren.

Büchermeile


Trick Eye Museum
Nicht weit von der Herberge entfernt fand sich das Trick Eye Museum, das wir gerne besuchen wollten. Wir teilten unser Anliegen Belle mit, die uns daraufhin einen wertvollen Schein ausstellte. Denn wir erfuhren von ihr, dass lange bleibende Kunden bei dieser Attraktion einen Rabatt bekommen konnten, wenn sie einen Beleg aus dem Hotel / Hostel mitbrachten. Das klang doch hervorragend, insbesondere weil der Rabatt wirklich ansehnlich war.

Also brachen wir in die Nachmittagshitze auf, um uns ein Bild von dieser viel umworbenen Sehenswürdigkeit zu machen. Es stellte sich heraus, dass wir dafür ins neunte Stockwerk fahren mussten.

Im Gegensatz zu vielen anderen Museen ist das Trick Eye Museum darauf ausgelegt, dass Fotos geschossen werden. Zahlreiche Fotos. Aus allen möglichen Perspektiven, aber vorzugsweise aus jener, die vorgegeben ist. Dahinter verbirgt sich ein lustiges Konzept. Es gibt verschiedene Kunstwerke, die auf Wände, Decken und Böden gemalt sind. Wenn man sich richtig hinstellt, also die richtige Perspektive einnimmt, kann man Teil des Kunstwerks werden. Natürlich müssen davon Beweisfotos geschossen werden, sonst ist es nur ein halber Spaß, denn man will diese Fotos Freunden und Verwandten zeigen. Einige Kunstwerke, von denen man Teil werden konnte, waren sogar dreidimensional.

Wir verbrachten einige lange Zeit in dem Museum, gingen dreimal durch, machten lustige Fotos von so gut wie jedem Ausstellungsstück – natürlich mit uns drin – und kehrten äußerst amüsiert ins Hostel zurück. Es war ein äußerst gelungener Ausflug.


Zurück zu Steve. Dieser junge Mann stieß einige Tage nach Zuskas Abfahrt zu uns. Er war ein Amerikaner vietnamesischer Herkunft, der in China Englisch lehrte und jetzt in Korea Urlaub machte. Entgegen seines stämmigen Erscheinungsbildes war er ein ruhiger und schüchterner Zeitgenosse, mit dem wir einen entspannten Umgang pflegten, auch wenn wir außerhalb der Arbeit nicht sonderlich viel mit ihm zu tun hatten. Mehr fällt mir zu ihm auch nicht ein.


Während unseres Aufenthaltes in Busan gab es eine Katastrophenübung. Ob das nun mit den Vorkommnissen im Norden zusammenhing oder eine bereits länger geplante Angelegenheit war, konnte niemand in Erfahrung bringen. Belle schien auch nicht sonderlich interessiert – in ihren Augen gehört das zum koreanischen Alltag. Jedenfalls sollte diese Übung auf den Ernstfall während einer drohenden Katastrophe jeglicher Art vorbereiten: Ob nun Erdbeben, Überschwemmungen, Tsunami, Terrorismus oder dritter Weltkrieg, die Koreaner wollten keiner Eventualität überrascht gegenüberstehen.

Als ich eins Tages die Treppe zur Rezeption runter ging, erklang ein schriller Signalton, der mich stark an Franz Josef erinnerte. Plötzlich bewegte sich draußen niemand mehr. Die Straßen wurden abgesperrt, die Kreuzungen blockiert. Es fuhr kein Auto mehr, die Fußgänger blieben stehen, wo sie gerade waren, auch wenn die Ampel gerade auf Grün umsprang, niemand verließ die Häuser oder Geschäfte. Falls es doch jemand wagte, diesem Verhalten zuwiderzuhandeln, gab es zahlreiche Männer in blassgelben Hemden (nein, sie trugen wirklich keine schrillen Warnwesten), die die Leute wieder an ihren Platz verwiesen. Besonders oft passierte das mit Autofahrern, die doch noch ein paar Meter weiterkommen wollten. Ich stand gebannt am Fenster und wartete darauf, dass etwas geschah. Sekunden schwollen zu Minuten an. Nichts. Die Minuten dehnten sich in die Länge. Nichts. So langsam wurde es langweilig. Belle gesellte sich zu mir und erklärte mir die Situation. Ich frage sie, was man als Otto Normalverbraucher in diesem Fall machen solle. Sie antwortete, dass sie selbst es nicht genau wisse. Noch mehr Parallelen zu Franz Josef machten sich in meinen Gedanken breit.

Dann, plötzlich, wie aus dem Nichts, fuhr ein einzelnes Polizeiauto in der Mitte der Straße entlang. Es macht nichts, es gab keine Durchsage, keine Sirenen, nur ein einsames Auto. Nachdem es vorbeigefahren war, passierte immer noch nichts. Einige Zeit später kam noch ein Auto, dann noch eins. Ob es immer wieder dasselbe war oder drei verschiedene, vermag ich nicht zu sagen. Ebenso wenig ist mir der Zweck dieser Vehikel erklärt worden. Ob sie nur prüften, dass jeder sich an die Vorschriften hielt oder die Leute mit den blassgelben Hemden kontrollierten, weiß ich nicht. Erst als der Van im Anschluss vorbeifuhr, gab es eine Entwarnung, die blassgelben Hemden zogen sich zurück, die Autos und Busse fuhren wieder an und Unmengen an Passanten strömten aus den Metroeingängen. Für einen langen Moment hatte Busan den Atem angehalten, jetzt durfte die Stadt wieder durchatmen.

Alles in allem war diese Übung äußerst friedfertig und ruhig verlaufen. Ich versuchte mir das gleiche Szenario in Köln auszumalen und lachte in mich hinein.

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