Sonntag, 17. Januar 2016
Seoul – Juni-August 2015 (Leben)



JSA / DMZ
Nach dem Seoul Tower ist die DMZ, Demilitarized Zone, also Entmilitarisierte Zone, die zweitgrößte Touristenattraktion Seouls. Außerdem ist es historisch und politisch ein wichtiger Ort, so dass wir beide ihn uns gerne ansehen wollten.

Anbieter für begleitete Touren dorthin gibt es zuhauf, und auch wenn diese sich in einigen Details unterscheiden, ähneln sich die Preise stark. Man kann verschiedene Teile der DMZ besichtigen, eine Infiltrationstunnel, den Nordkorea nach Südkorea bauen wollte, aber der zwischendurch entdeckt wurde, Sehenswürdigkeiten in der Stadt selbst, wie beispielsweise einen der Paläste, die wir schon kannten, oder Insa-Dong oder die J.S.A., Joint Security Area, also die Gemeinsame Sicherheitszone, auch Panmunjeom genannt. Wir entschieden uns für die DMZ 2 Tour von Seoul City Tours, da diese ihren Fokus auf die J.S.A. gelegt hatte, was uns besonders sehenswert schien, weil gerade dort der Tisch stand, an dem Verhandlungen zwischen den beiden Staaten geführt wurden, wenn es denn mal zu Gesprächen kam. Im Preis inbegriffen waren zudem eine Abholung vor der Hoteltür, die Freedom Bridge, ein koreanisches Mittagessen sowie die Besichtigung eines Museums über die Geschichte der beiden Staaten – und technisch gesehen auch eine Reise nach Nordkorea. Spannend.

Es begann alles recht früh morgens, was für uns beide natürlich kein Problem darstellte, weil wir eh recht früh wach waren. Bevor wir diese abenteuerliche Reise allerdings antreten konnten, mussten wir uns noch zurecht machen, denn es galten strenge Vorschriften, was die Kleiderordnung betraf. Konkret sah es wie folgt aus:

Dress code: No jeans (the color has faded and torn), no leather pants, no short pants, no tank tops or sleeveless shirts, no training pants, no military style, no T-shirts (must be collared shirts), no Shirts with profane, provocative or demeaning representations, no leggings, no skinny jeans, no short skirts (skirts/dresses need to be about knee length). No slippers, flip-flops, sandals. (Keine Jeans [ausgebleicht oder mit Löchern], keine Lederhosen, keine kurzen Hosen, keine Tanktops oder Shirts ohne Ärmel, keine Sporthosen, keine Kleidung in Militärfarben, keine T-Shirts [das Shirt muss einen Kragen haben], keine Shirts mit profanen, provokativen oder erniedrigenden Darstellungen, keine Leggins, keine hautanliegenden Jeans, keine kurzen Röcke (Röcke/Kleider müssen bis zum Knie reichen). Keine Pantoffeln, keine Flip-Flops, keine Sandalen.)

Wie wir erst später erfuhren, war der Hintergrund jener, dass die nordkoreanische Seite gerne Fotos von Leuten in derartiger Kleidung machte und sie als Propaganda an die Bevölkerung weitergab. Löchrige oder zu kurze Kleidung wurde oftmals als Mangel an Ressourcen dargestellt. So zeigte man den Leuten: „Seht, wie gut ihr es hier habt! Außerhalb Nordkoreas kann man sich nicht einmal vernünftige Kleidung leisten.“ Jeans hingegen galten als Symbol Amerikas, eines der größten Feinde Nordkoreas, weshalb Jeansbekleidung als unverschämte Provokation gewertet wurde. Bei den Einschränkungen blieb nicht mehr viel in meinem Koffer übrig.

Um 9 Uhr wollte uns ein Taxi von Seoul City Tours abholen – und das tat es auch. Zuvor verabschiedeten wir uns von unseren Gastgebern, denn wir schlossen zu diesem Zeitpunkt nicht aus, dass irgendetwas schiefgehen würde und wir in Nordkorea stranden könnten. Es war ein Schauspiel für die Götter Hulk dabei zuzusehen, wie er Franziskas Worte des Abschieds hörte, die Zahnrädchen in seinem Denken langsam in Bewegung gerieten, um die implizierte Nachricht zu verarbeiten, der Groschen fiel und er die Augen schreckensweit öffnete. Ja, wir hatten gesagt „falls wir überhaupt zurückkommen“. Oder so etwas Ähnliches. Er sprang auf, fuchtelte wild mit den Armen und versicherte uns, dass uns nichts passieren würde. Wir waren allerdings schon lachend auf dem Weg nach draußen.

Auf unserem Weg zum Lotte Hotel (wir erinnern uns daran, dass Lotte nicht omnipräsent ist) kamen wir an einer Pizzeria vorbei, die einen beunruhigenden Namen trug. Es hieß „Mafia – Pizza & Pub“. Wir fragten uns, ob sie zum Inno Hostel dazu gehörte.

Am Lotte Hotel angekommen, nahm der Fahrer unsere Ausweise entgegen und verschwand damit. Es dauerte nicht lange bis zu seiner Rückkehr. Er teilte uns mit, dass wir unser gemütliches Taxi für einen Reisebus eintauschen mussten, welcher dieser Bus sei, welche Plätze uns zugewiesen worden waren und wann wir abführen. Alles war sehr übersichtlich strukturiert.
So stiegen wir in den für uns vorgesehenen Bus und ich fühlte mich sofort wie bei meiner Großmutter im Wohnzimmer.

Unser Reisebus für die Tour zur J.S.A.

Es waren nicht ganz die Spitzendeckchen an den Vorhängen oder die Stickereien drauf… Doch, es war genau das, das dieses Gefühl von vorletztem Jahrhundert vermittelte. Auch die Farben hatten etwas Altertümliches an sich, das ich nicht so ganz fassen kann. Wahrscheinlich lag es am Gesamteindruck.

Als wir dann losfuhren, erklärte uns die Tourleiterin, dass wir einen Gast an Bord hatten, nämlich eine Deserteurin aus Nordkorea. Zuerst erzählte sie uns ein bisschen vom Leben in ihrer Heimat, dann von ihrer Flucht und schließlich stellte sie sich den Fragen der Gäste. Einige der Fahrgäste stellten Fragen, die meiner Ansicht nach viel zu persönlich waren. Dennoch scheute sich die Dame nicht, diese zu beantworten. Natürlich sprach sie kein Englisch, immerhin musste sie sich schon damit abmühen, die Sprache Südkoreas zu erlernen. Stattdessen gab es eine Übersetzung von unserer Tourleiterin. Fotos waren mit dieser Dame allerdings nicht erlaubt, da man damit sie und ihre Familie in Nordkorea in Gefahr hätte bringen können. Sie achtete auch genau darauf nicht ins Visier zu geraten. Zwar besuchte sie mit uns das Museum, danach verabschiedete sie sich allerdings, damit sie nicht zufällig irgendwo gesichtet werden würde.

Tatsächlich ist der Begriff „Entmilitarisierte Zone“ irreführend, denn es handelt sich um einen vier Kilometer breiten Streifen, der nur so mit Minen übersät ist. In einem festgelegten Abstand stehen Schilder, die in verschiedenen Sprachen (südkoreanische Seite: Koreanisch und Englisch; nordkoreanische Seite: Koreanisch und Chinesisch) darauf hinweisen, dass das Betreten dieses Bereiches strengstens untersagt ist. Die Tatsache, dass seit Jahrzehnten keine Menschenmassen mehr dort waren – mit Ausnahme einiger sicherer und festgeschriebener Routen –, ließ es zu, dass in diesem Streifen ein riesiges Naturschutzgebiet entstand. Es ist ja niemand da, der etwas an diesem Ökosystem ändern würde.

Im Museum, das vor allem ein Observatorium war, sahen wir einen kurzen Film über die Lebensumstände in Nordkorea sowie die Grenzregion. Außerdem gab es viele Ausstellungsstücke aus Nordkorea, wie beispielsweise Lebensmittel, Banknoten und Zeitschriften. Aber es schien mir auch so, als sei es einfacher Postkarten in Nordkorea zu bekommen, als im südlichen Pendant. Jedenfalls stellte die Ausstellung es so dar.

Nordkoreanische Banknoten

Draußen auf einer Terrasse konnte man einen Blick über den Fluss und auf ein nordkoreanisches Dorf werfen. Es war viel zu weit weg, um irgendetwas mit dem bloßen Auge zu erkennen, doch das hatten die Verantwortlichen berücksichtigt und kostenlose Ferngläser aufgestellt. Mit Hilfe dieser konnte man tatsächlich erkennen, wie einige Bauern drüben ihre Felder bestellten, wie sie über die Lehmstraßen gingen, wie die Mehrfamilienhäuser leer standen oder nicht ganz zu Ende gebaut worden waren. Es war ein bizarrer Anblick.

Ein nordkoreanisches Dorf aus Südkorea betrachtet

An dieser Stelle war der Fluss ziemlich breit, so dass man der anderen Seite auf keinen Fall zu nah kommen konnte. Doch wir erfuhren, dass mancherorts nur 400 Meter die beiden Länder voneinander trennten. Selbstverständlich waren gerade dort die Befestigungsanlagen stärker ausgebaut. Wir fuhren tatsächlich an einer solchen Stelle vorbei. Ein trauriges Bild. Doppelt und dreifach war hier der Stacheldrahtzaun aufgestellt, die Wachposten standen in geringer Entfernung zueinander.

Im Museum im Inneren des Gebäudes gab es zudem die Schnauze eines KTX, auf der in großen Lettern Seoul – Pjongyang – Paris draufstand. Tatsächlich gab es eine Zugstrecke, die von Paris fast bis nach Seoul reichte. Kurz vor ihrer Fertigstellung verstarb der ehemalige Diktator und das letzte Stück, die Verbindung zwischen Nord- und Südkorea wurde nie beendet. Schade, denn es wäre bestimmt eine aufregende Fahrt. Im Observatorium erinnerte dieser Triebwagen nun an eine zerbrechliche Hoffnung.

Zugatrappe Seoul - Pjongyang - Paris

Darüber hinaus sahen wir ein Klassenzimmer, wie es sie bis heute in Nordkorea gibt. Es unterschied sich nicht sonderlich von meiner Grundschulzeit. Holzstühle und –tische standen in Reih und Glied vor dem Lehrerpult. Eine Tafel an der Wand. Bilder der Diktatoren an der Wand. Nun gut, letzteres hatten wir nicht (mehr).

Klassenzimmer nach nordkoreanischem Vorbild

Das nordkoreanische Wohnzimmer, das gegenüber ausgestellt wurde, war spartanisch eingerichtet. Aber auch hier hingen Bilder der Führungspersönlichkeiten an der Wand. Es erinnerte mich noch mehr an das Haus meiner Großmutter als der Bus, was vermutlich darin begründet lag, dass kommunistische Wohngelegenheiten dieses gewisse Flair hatten, haben und haben werden. Von dem, was uns hier geboten wurde, schloss ich, dass die nordkoreanische Wohnungsgestaltung irgendwann in den 1980ern zum Stillstand gekommen war.

Nordkoreanisches Wohnzimmer

Einige Schritte weiter sahen wir auch die vielen Vergleiche, die mit Deutschland und dessen Teilung gezogen wurden. Natürlich war die Situation in Deutschland nicht eins zu eins auf Korea zu übertragen, aber dennoch schauten die Südkoreaner lieber auf die Gemeinsamkeiten, um eine Annäherung mit dem Norden nicht aus den Augen zu verlieren. Immerhin hatte es bei uns auch funktioniert. Es war ein Hoffnungsschimmer am Horizont – mehr nicht. Besonders deutlich wurde dies bei den Sicherheitszäunen, die die beiden Nationen voneinander trennten. Stacheldraht war allgegenwärtig.

Vergleiche zu Deutschland

Unser nächster Stopp war die Freedom Bridge, also Freiheitsbrücke. Falls man uns erklärt hatte, weshalb sie so heißt, habe ich es wieder vergessen. Es gab eine höher gelegene Plattform, von der aus man auf die Brücke sowie die nähere Landschaft blicken konnte. Während auf unserer Seite des Flusses ein kleiner Park angelegt worden war und ein großer Parkplatz vor einem Gebäude zum Verweilen einluden, fand man auf der gegenüberliegenden Seite eine hügelige Waldlandschaft, durch die eine Schneise geschlagen worden war, um Platz für den Zug zu machen. Auf einem der Hügel stand ein Wachposten.

Blick von der Aussichtsplattform an der Freedom Bridge

Was aber das tatsächliche Ausstellungsstück an diesem Halt darstellte, war die letzte Lokomotive, die die Freedom Bridge überquert hatte. Natürlich war die Lokomotive von allen Seiten anzusehen; man hatte sogar eine Plattform gebaut, um sie von oben betrachten zu können. Der ganze Aufwand für den lieben Tourismus.

Die letzte Lok, die über die Freedom Bridge fuhr

Es war ein bizarres Bild, wenn man auf dem Fußgängerüberweg stand. Auf der einen Seite stand dieses rostende Wrack, ein beeindruckender Zeuge eines bis heute andauernden Konflikts. Auf der anderen Seite sah man einen schön angelegten und gepflegten Garten, der zum Spazieren und Entspannen einlud. Dazwischen wuselten Menschen verschiedener Altersgruppen und Herkunftsländer. Alles in Reichweite eines feindlich gesonnen Staates.

Park neben der Lokomotive

Als wir diesen Schauplatz verließen, war es bereits an der Zeit das Mittagessen einzunehmen. Ein Gedanke, der ganz nach meinem Geschmack war, zumal ich so langsam hungrig wurde und es mir in Korea abgewöhnt hatte, Proviant einzupacken. Man bekam ja überall etwas zu essen.

Wir fuhren in ein Lokal zwischen Schauplatz der Lokomotive und DMZ, das anscheinend von diesen Reisegruppen lebte. Es gab Bulgogi. Nie im Leben würde ich mich über Bulgogi beklagen – nur über die Menge. Für uns beide ausgehungerte Profiglobetrotter war die Portion dann doch ein bisschen zu klein. Immerhin konnte man sich an den Beilagen bedienen, wie einem lustig war, so dass ich locker eine Portion nur davon verdrückte. Allerdings neigten sich auch diese schon langsam ihrem Ende zu. Das Essen war jetzt nicht herausragend, aber es war gut. In Anbetracht der Dienstleistungen, die uns am heutigen Tag geboten wurden, möchte ich mich nicht beklagen.
Nach einer einstündigen Pause (beim Essen gibt es in Korea keine Hast) brachen wir dann auf, um den Teil der Tour zu sehen, für den wir uns hauptsächlich interessierten: die JSA.

Schon auf dem Weg dorthin wies die Veranstaltungsleitung uns darauf hin, dass Fotos von nun an verboten waren, es sei denn wir bekamen ausdrücklich die Erlaubnis dafür. Grund dafür war die Vermutung, dass jeder, der sich zu sehr für die Verteidigungsanlagen Südkoreas interessierte, ein nordkoreanischer Spion hätte sein können. Um nicht ins Visier der Behörden zu geraten, hielten wir uns strikt an die Vorgaben. Wir mochten Südkorea und wollten wiederkommen.

Schon bald wurde es mehr als deutlich, dass hier der Spaß aufhörte. Auf einer Strecke von einigen Kilometern vor der entmilitarisierten Zone begannen die Barrikaden, die es Fahrzeugen nur noch erlaubten, Zickzack zu fahren. Große schwarz-gelbe Fässer mit riesigen Stacheln behinderten das gerade Vorankommen; Wellenbrecher von der Größe kleiner PKW standen im Weg, am Straßenrand fand man noch mehr davon; Schranken, die schnell in Position gebracht werden konnten. All das verdeutlichte uns, wie kompliziert und angespannt die Lage zwischen den beiden Staaten tatsächlich war.

Wir kamen an der Grenze an, wo unsere Pässe geprüft wurden. Glücklicherweise stimmte alles mit der Liste des diensthabenden Soldaten überein, so dass wir problemlos ins Niemandsland einreisen durften. Vorher allerdings erhielt jeder von uns einen gelben Besucherausweis, den wir die ganze Zeit gut sichtbar an unserer Kleidung mitführen mussten. Einige Meter weiter wurde uns ein amerikanischer Soldat zugewiesen, der unsere Gruppe von nun an begleiten und instruieren würde. Daneben gab es noch einen koreanischen Soldaten, der kein Wort mit uns sprach, und der Busfahrer wurde gegen einen Soldaten eingetauscht. Wir waren in besten Händen.

Ungeachtet dieses doch bedrückenden Anblicks gab es Leute, die sich davon nicht im Geringsten beeindrucken ließen. Als wir auf dem Parkplatz vor dem UNO-Gebäude ankamen, sahen wir zwei Füße gemütlich über den Rand einer Bank baumeln. An diesen Füßen hing ein Mensch, ein Busfahrer, um genau zu sein. Er nutzt diese kurze Pause, um ein Nickerchen zu machen. Das versetzte den amerikanischen Soldaten, der uns einwies in einen Zustand flüchtiger, aber unendlicher Resignation. Da versuchte der Mann ernst zu sein und uns die Schwierigkeit der Lage darzustellen, nur um im nächsten Moment von einem Zivilisten als Wichtigtuer dargestellt zu werden.

Nach einem Gruppenfoto auf dem Parkplatz innerhalb der entmilitarisierten Zone, führte man uns in eines der Gebäude, dort in einen Vorführungssaal, wo wir zusammen mit anderen Reisegruppen einiges über die Geschichte Koreas, hauptsächlich eine kurze Zusammenfassung der Umstände, die zur Teilung führten, erfuhren. Dann gab es noch einige Informationen zur DMZ sowie einigen militärisch sowie politisch wichtigen Ereignissen in der Zone, wie beispielsweise den Versuch eins Russen von Nord- nach Südkorea zu laufen. Es endete blutig.

Außerdem erhielten wir einige Informationen über die DMZ. Tatsächlich gab es ein Dorf in dieser Zone, in dem Menschen beider Nationen friedlich zusammen wohnten. Sie bestellten ihre Felder, gingen ihrem Alltag nach, hatten aber unwahrscheinliche Einschränkungen, wie beispielsweise eine Ausgangssperre. Es war für mich eine Überraschung zu erfahren, dass tatsächlich Menschen hier lebten. Weniger überraschend war die Erläuterung, dass diese Siedler oft evakuiert wurden, wenn mal wieder ein Konflikt anstand. Aber alles in allem schienen die Leute nicht von dort weglaufen zu wollen.

Darüber hinaus gab es ein sogenanntes Propagandadorf auf der nordkoreanischen Seite, das man in einiger Entfernung sehen konnte, wenn man mit dem Bus zum UNO-Stützpunkt fuhr. Ein Lautsprecher auf einem hohen Mast hatte in vergangenen Tagen nordkoreanische Propaganda gen Süden gesandt. Heute stand das Dorf leer, die Gebäude verfielen langsam und die Lautsprecher waren still. Was aber ins Auge fiel, war der Mast mit der nordkoreanischen Flagge daran. Er war entschieden größer als das südkoreanische Pendant. Nordkorea hatte zuerst einen Flaggenmast aufgestellt, woraufhin Südkorea auf seiner Seite einen platzierte, der ein klein bisschen höher war. Durch diese Aktion aufgestachelt erhöhte Nordkorea seinen Mast entschieden. Auch die Flagge war den Proportionen des Masts angepasst worden, um auf jeden Fall sicher zu stellen, wer hier den größeren hatte. Wir mussten uns ein Lachen verkneifen.

Nach diesem offiziellen Briefing durften wir uns wieder in unsere Gruppen aufteilen, stiegen in den Bus und fuhren weiter zu dem tatsächlich interessanten Teil, vorbei an den „Attraktionen“, von denen soeben die Rede war. Natürlich kamen wir nicht wirklich an ihnen vorbei – sie lungerten mehr irgendwo in der Entfernung, so dass man sie am Horizont gerade einmal so erkannte. Außer der nordkoreanischen Flagge am Mast, sie war wirklich weithin sichtbar.

Es gab auch ein Tor, das vorher keine Erwähnung gefunden hatte. Dort begann der gefährliche Teil dieser Zone. Auf diesem Tor prangerte in fetten Lettern das Motto der Einheiten in der Grenzregion: „In front of them all!“ („Vor ihnen allen.“), das den dort stationierten Soldaten noch einmal vor Augen führen sollte, wie nah sie am Gegner dran waren.

Schließlich kam unser Reisebus vor einem weiteren prunkvollen Gebäude an, man ließ uns aussteigen, hindurchgehen, das gläserne Dach bewundern (aber nicht fotografieren) und auf der anderen Seite einen ersten Blick auf die Grenze zwischen diesen beiden Staaten werfen. Es wechselten sich blaue Gebäude mit grauen ab. Die blauen waren südkoreanischer Machart, die grauen nordkoreanisch.

Erster Blick nach Nordkorea

Wir betraten das mittlere blaue Gebäude, in dem sich der Verhandlungsraum befand. Dort wurden Gespräche zwischen den beiden Nationen abgehalten, wenn mal wieder die Notwendigkeit dafür entstand. Wir wurden mehrfach darauf hingewiesen, dass wir in dem Raum nichts anfassen und unter keinen Umständen verrücken durften – natürlich fand sich mindestens ein Genie, das trotzdem irgendwo dran kam. Außerdem waren nun Fotos zwar erlaubt, aber nur in Richtung der nordkoreanischen Seite. Diese Möglichkeit nutzte unsere Gruppenleiterin aus, um ein weiteres Gruppenfoto zu schießen, nämlich als wir um den großen Konferenztisch in der Mitte herum gingen und somit tatsächlich auf nordkoreanischem Grund und Boden standen. Wir hatten gemeinsam die Grenze überschritten, doch würde das nie in unseren Reisepässen Erwägung finden.

Neben der Ausstattung aus Tischen, Sesseln, Dolmetscherkabinen und Flaggen fanden sich einige südkoreanische Soldaten in dem Raum, deren Aufgabe es war, einfach nur bewegungslos in der Gegend zu stehen. Diese sowie ihre Kollegen draußen wurden oftmals kurzerweise ROKs genannt, was einfach nur die Abkürzung für Republic of Korea war. Sie alle trugen trostlose Uniformen, dicke, schwarze Helme und ebensolche Sonnenbrillen. Ihre Aufgabe bestand darin, Präsenz zu zeigen und im Notfall zu reagieren. Glücklicherweise gab es nicht viele solcher Zwischenfälle, die ein tatsächliches Eingreifen erfordert hätten – und keinen während unserer Anwesenheit.

Südkoreanischer Soldat im Verhandlungsraum

Zu diesem Zweck standen sie in der Gegend rum. Draußen war es sogar so, dass zwischen zwei Gebäuden drei ROKs standen: zwei starrten halb auf die Wand und halb in die Ferne, einer stand in der Mitte zwischen den Bauten. Diese Aufstellung hatte den Zweck, dass die zwei Soldaten möglichst viel Schutz hatten, wobei sie von der gegnerischen Seite immer noch gesehen werden konnten. Markanter Weise war der junge Mann in der Mitte, also jener, der der nordkoreanischen Seite schutzlos ausgeliefert war, auch der schmächtigste. Die Soldaten, die hier standen, waren Spezialeinheiten, die zu den besten der Nation zählten. Ich hätte mir einen interessanteren Job vorstellen können.

Bei dieser Gelegenheit lernten wir auch einiges über die feindliche Seite: Die Soldaten in Nordkorea wurden für zehn Jahre eingezogen und hatten während dieser Zeit kaum Gelegenheit nach Hause zu gehen. Vielen von ihnen war während der Dienstzeit gar kein Urlaub gewährt.

Während wir also draußen auf der südkoreanischen Seite gen Nordkorea blickten, sahen wir einen einzigen Soldaten drüben stehen. Er wartete genauso regungslos vor dem Gebäude wie seine südlichen Gegenstücke. Unser amerikanische Begleitsoldat erklärte uns, dass die UNO es sich einfach machte und alle nordkoreanischen Uniformträger der Einfachheit halber Bob nannte. Waren es mehrere, wurde Bob durchnummeriert. Immerhin gab es keine Möglichkeit, ihre tatsächlichen Namen in Erfahrung zu bringen, da die Kommunikation untereinander untersagt war. Heute gab es nur Bob 1, der zudem weit weg war.

Nach dieser doch recht zügigen Besichtigung war es wieder an der Zeit aufzubrechen. Fotos waren wieder verboten, bis andere Anweisungen erfolgten, und wir stiegen in unseren Bus. Wir fuhren eine kleine Schleife, um noch ein Monument sowie die Bridge of no Return zu sehen. Von beidem durften wir Fotos knipsen. Die Brücke (Bridge of no Return = Brücke ohne Wiederkehr) hatte ihren Namen aus folgendem Grund erhalten: Im Laufe des Koreakrieges war es auf beiden Seiten zur Festnahme von gegnerischen Soldaten gekommen. Nach den Waffenstillstandsverhandlungen hatte man sich dazu durchgerungen, diese auszutauschen, doch beide Seiten ließen ihren Gefangenen die Wahl, auf welcher Seite der Brücke sie bleiben wollten. Allerdings gab es keine Rückkehr, wenn sie sie einmal überquert hatten.

Bridge of no return

Mit dieser Sehenswürdigkeit als letzten Stopp ging es zurück nach Seoul. Man brachte uns allerdings nicht mehr zum Hostel zurück, sondern nur zum Lotte Hotel in der Innenstadt. Das war kein Problem, da die Metroverbindung hervorragend war.

Gegenüber vom Lotte Hotel fand an diesem Tag ein Open Air K-Pop Festival statt, doch Franziska war zu müde, es sich noch anzusehen. So fuhren wir entkräftet, aber mit dem Ausflug äußerst zufrieden, wieder nach Hause. Hulk war äußerst erfreut darüber, uns unbeschadet wiederzusehen. Offensichtlich hatte Franziskas Aussage ihm mehr zu schaffen gemacht, als meine Reisebegleitung es beabsichtigt hatte.

Franziska versucht bis heute herauszufinden, warum Touristen in dieser Zone überhaupt zugelassen werden.



Korean Folk Village
Ein Stück außerhalb von Seoul lag ein Freilichtmuseum, das seinen Besuchern erlebte Geschichte versprach und somit einen Blick in die Vergangenheit Koreas gewährte. Auch wenn die Wegbeschreibung auf dem Flyer zu wünschen übrig ließ, war der Gesamteindruck auf der inhaltlichen Seite überzeugend, weshalb wir uns diese Sehenswürdigkeit für Groß und Klein auch gerne ansehen wollten. Dank Hulk konnten wir auch in Erfahrung bringen, wie wir dort überhaupt hinkamen. Immerhin musste man dafür einen Bus nehmen und dieses Netz war uns überhaupt nicht geläufig.

Vorab: Man sollte viel Zeit mitbringen, wenn man das Korean Folk Village sehen will. Nicht nur, dass es sehr viele Ausstellungsstücke gab und die Fahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln rund zwei Stunden dauerte. Nein, es gab auch ein schönes Unterhaltungsprogramm sowie die Möglichkeit sich handwerklich an einigen Stationen auszuprobieren. Aber ich sollte am Anfang anfangen.

Wir brachen recht zeitig auf, nachdem wir gefrühstückt und einige Formalitäten geklärt hatten. Hulk hatte uns erklärt, welchen Weg wir am besten nehmen sollten, um zielsicher anzukommen. Zuvor hatte er unter der angegebenen Nummer angerufen, weil wir nicht sicher waren, welchen Bus wir denn nun wo nehmen sollten und welches unsere Haltestelle war, an der wir aussteigen mussten. Er löste unser Problem fix.

Als wir nach einigem Suchen an der Bushaltestelle angekommen waren, lernten wir ein neues Phänomen Seouls kennen: Buszuweiser. Da stand ein älterer Herr in Hemd an der Bushaltestelle und erklärte den Leuten, wo sie sich hinstellen mussten, je nachdem wohin sie wollten und in welchen Bus sie einzusteigen hatten. Für uns blutige Anfänger, die den Bus der Linie 5001-1 (nicht zu verwechseln mit Linie 5001) zu erwischen gedachten, war das ein Segen. Denn ein entscheidender Prozentsatz des Straßenverkehrs in Seoul wird von öffentlichen Verkehrsmitteln eingenommen, ob nun Busse, Taxen oder sogenannte private Taxen, also Chauffeure. Wir standen zwar an der richtigen Säule, aber daneben gab es noch bestimmte Bereiche, in denen man auf unterschiedliche Busse wartete. Jeder Bus hatte seine Nummer auf dem Bürgersteig.

Busnummer auf dem Bürgersteig

Ich bezweifle, dass wir es gesehen hätten, ohne darauf aufmerksam gemacht worden zu sein.

Unser Buszuweiser war auch ein sehr freundlicher Koreaner, der gar kein Wort Englisch sprach. Glücklicherweise verstand Franziska einige Happen dieser mir immer noch recht fremden Sprache und ich war dank Jae Won geübt in internationaler Kommunikation, so dass wir tatsächlich ein einfaches Gespräch zustande brachten. Er erzählte uns wie alt er war, dass er sich noch mit Sport fit hielt, weder rauchte noch Alkohol trank und die deutsche Fußballmannschaft sehr mochte, besonders unseren Torwart, wobei Zidane ihm im Angriff besser gefiel als unsere Jungs. Er fragte auch woher wir kamen, wie alt wir waren und einiges mehr, was wir dann doch nicht verstanden. Er war erstaunt zu erfahren, dass ich älter als meine Reisebegleitung war, und wies mich darauf hin, ich solle sehr gut auf sie aufpassen. Immerhin war es meine kleine Schwester, von der er hier sprach. Es war ein lebhaftes und lustiges Gespräch, auf jeden Fall ein Ereignis, an das ich mich lange und gern erinnern werde.

Hier möchte ich noch kurz erwähnen, dass die Busse in Seoul nicht nach einem so strikten Fahrplan wie in Deutschland fuhren. Nun, ich weiß, dass die Fahrpläne daheim eher theoretischer Natur sind, aber in Korea machte man sich nicht die Mühe, den Fahrgästen etwas vorzumachen. Es gab einfach eine kurze Zusammenfassung: Der Bus fuhr zwischen 5 und 23 Uhr im Takt von 5 bis 11 Minuten je nach Verkehrslage. Das war mal was Neues. Anstatt genervt auf die Uhr zu schauen und sich zu wundern, wo denn das Vehikel blieb, warteten die Seouler einfach, bis ihre Linie ankam.

Als unser Bus eintrudelte, verabschiedete sich der Buszuweiser freundlich von uns, wir von ihm, und er erklärte dem Busfahrer, an welcher Haltestelle er uns doch bitte raus lassen müsste. Bis dahin dachte ich, dass wir alleine zurechtkommen würde, aber schon eine Minute später stellte ich fest, dass die Busse in Seoul sich stark von der Metro unterschieden: Die Namen der Haltestellen warn nicht in europäischen Buchstaben angeführt, sondern nur in Hangeul. Jetzt verstand ich auch, warum unser Buszuweiser von mir verlangte, dass ich ein Foto vom Streckenverlaufsplan nahm. Wenn man kein Hangeul lesen und kein Koreanisch sprechen konnte, war Abgleichen die einzige Möglichkeit dort anzukommen, wohin man wollte. Es sei denn, natürlich, ein freundlicher Buszuweiser erklärt es dem Busfahrer im Vorfeld.

Die Fahrt dauerte mit ihren 45 Minuten dann doch recht lang, aber wir kamen am Dorf an, wo der Busfahrer uns freundlich darauf hinwies, dass dies unsere Haltestelle war. Hervorragend. Bisher lief alles wie geschmiert.

Nun mussten wir nur noch eine Ampel überqueren, über einen großen Parkplatz stolpern und den Eintritt von 15.000 Won (ca. 12 Euro) pro Person bezahlen, um auch schon das Vergnügen genießen zu dürfen, in eine historische Welt einzutauchen. Wenn man ein bisschen mehr ausgeben wollte, konnte man den Vergnügungspark direkt nebenan mitnehmen. Dies war allerdings nicht unsere Intention.

Eingang zum Korean Folk Village

Das Korean Folk Village war klar und übersichtlich gegliedert: Am Eingang befanden sich einige Restaurants und Souvenirshops, in der Mitte gab es Häuser verschiedener Epochen inklusive Werkstätten und Freilichtbühnen, am anderen Ende fand man eine riesige Essensausgabe à la Freilichtmensa. Aufgelockert wurde die ganze Atmosphäre durch Grünflächen, Blumenwiesen, Bäume und staubige Sandwege, die nicht halb so heiß wie der brütende Asphaltparkplatz vor dem Eingangstor waren. In Anbetracht der sommerlichen Temperaturen war es im Museum richtig angenehm – und das trotz mangelnder Klimatisierung, da es ja unter offenem Himmel stattfand.

Wir waren schon lange unterwegs, es war brütend heiß und ich hatte schon wieder Hunger, also entschlossen wir uns kurzerhand für die Mittagspause. So stiefelten wir zielgerichtet durch den ersten Teil des Museums, um schon beim Eingang zum zweiten gehörig abgelenkt zu werden. Dort begrüßte uns eine riesige HEU-Schrecke.



Wir kamen nicht umhin, das eine oder andere Foto von diesem Geschöpf zu machen.

Obwohl das Gelände relativ groß war, konnte man sich gar nicht verlaufen, weil überall Straßenschilder den Weg zu den größten Attraktionen wiesen und man anhand dieser zumindest einige Orientierungspunkte hatte, auch wenn man zum ersten Mal dort war. Ich fand es äußerst übersichtlich und wohl strukturiert.

Nach einigen Minuten zügigen Marschierens kamen wir dann doch relativ schnell und ohne uns ablenken zu lassen im Essensbereich an. Vor uns erstreckte sich an Meer an Tischen und Bänken, manche unter Sonnenschirmen, andere in hölzernen Hütten, wenige in der prallen Sonne.

Essensbereich im Freilichtmuseum

Dahinter fand sich ein langes Haus, in dessen Innerem sich verschiedene Stände mit unterschiedlichen Speisen die Hand reichten. Wir stellten uns brav vor eine Theke in der Erwartung unsere Bestellung aufgeben zu können, doch wurden wir hier eines Besseren belehrt. Eine Dame kam auf uns zu und zeigte zum rechten Ende der Häuserkette, wo sich eine Kasse befand, an der man sein Essen bestellte und bezahlte. Im Gegenzug erhielt man eine Nummer und Anweisung, an welche Theke man gehen musste, um das Essen abzuholen, nachdem die Nummer aufgerufen worden war. Klingt jetzt kompliziert, war aber ganz einfach. Vom organisatorischen Standpunkt ergab es sogar Sinn. So musste nicht jeder einzelne Stand mit eigener Kasse herumwirtschaften und als Besucher konnte man sich getrost schon hinsetzen, während man auf die Speisen wartete.

So stellten wir uns in eine sehr kurze Schlange und waren auch schon dran. Wir entschieden uns für zwei Varianten von koreanischen Pfannkuchen: der eine war aus Sojabohnen, der andere mit Kimchi. Natürlich bekam Franziska den schärferen, aber wir teilten selbstverständlich auch, damit jeder von allem was hatte.

Als wir an der Essensausgabe auf unser Gericht warteten, kam eine eifrige Mitarbeiterin zu uns, riss uns förmlich das Märkchen mit der Nummer aus der Hand, zeigte uns den Stand, an dem wir das Essen abholen sollten (wir hatten gerade direkt vor dem Stand Platz genommen), sprach einige Worte mit den Mitarbeitern und wartete geduldig mit uns, bis die Pfannkuchen fertig waren, um sie uns dann an den Tisch zu tragen. Entweder meinte sie es gut mit uns oder wir sahen äußerst verloren und ausgehungert aus. Da sie es bei sonst keinem (koreanischen) Besucher machte, schiebe ich es auf unser Aussehen. Wie dem auch sei, wir nahmen es gelassen und mit einer Portion Humor. Allerdings wollten wir uns dann auch nicht nach einem anderen Sitzplatz umsehen.

Nach dieser wohlverdienten Stärkung konnten wir die Wunder dieser Erlebniswelt erst so richtig in uns aufnehmen. Schon am Ausgang vom Essenshof fanden sich die ersten traditionellen Handwerksstätten. Da saß ein alter Mann und bemalte in Seelenruhe einen Fächer nach dem anderen. Dort gab es einige gefärbte Tücher zu kaufen. Ja, auch hier fand man einen Laden mit Souvenirs. Hier fand man einen Laden der Ttoek herstellte. All dies sah man in diesen urigen hölzernen Häuschen, die oftmals gerade nur so viel Platz boten, dass man sich um die eigene Achse drehen konnte – wie es bis heute in Korea der Fall sein kann.

Tuchhändler

Wir hatten uns eine klare Route ausgesucht, damit wir uns alles nach Plan ansehen konnten. Bisher hatten wir es nie geschafft, die richtige Reihenfolge bei irgendeiner Begehung einzuhalten, was daran lag, dass wir einfach drauf losstürmten und uns nicht viel dabei dachten. Dieses Mal sollte es anders sein. Wir hatten eine Karte in der Hand, eine festgelegte Route, waren gestärkt und zielsicher... Bis wir die erste Brücke fanden und beschlossen abzubiegen. Auf einmal waren wir bei Haus Nr. 37. Damit verabschiedeten wir uns von einem vorgegebenen Pfad und machten es wieder einmal auf unsere Weise.

Viele der Häuser stellten das Leben einfacher Leute, Bauern und Handwerker dar, doch sie waren aus verschiedenen Epochen sowie Teilen des Landes. Man erkannte schon Unterschiede in Stilen und Bauweisen, verschiedene Materialien waren zum Einsatz gekommen und dergleichen. Gleichzeitig wurde auch deutlich, dass dies keine Häuser von reichen Familien waren. Es gab nur das Nötigste auf engstem Raum. Infotafeln erzählten oft etwas zum Leben und Arbeiten der Bewohner oder zu den Gegenständen, die sie benutzten. Letzten Endes hatten wir nicht die Zeit uns jedes einzelne Bauernhaus gesondert anzusehen, aber auch so gewannen wir einen allgemeinen Eindruck von der damaligen Lebensweise.

Einfaches Haus

Einfaches Haus anderer Bauart

Im Eintrittspreis inbegriffen waren einige Vorstellungen mit verschiedenen Künstlern. Da die Ankündigung vielversprechend klang, begaben wir uns zur Freilichtbühne, um uns das Spektakel anzusehen. Ich bin immer noch begeistert davon.

Es begann mit einem musikalischen Akt. Die Bühne, wie ein Amphitheater aufgebaut, war noch leer, doch schon bald kamen die Musikanten hereinmarschiert. Sie führten vor allem Trommeln mit sich, doch gab es auch noch andere Schlaginstrumente. Was besonders ins Auge stach waren ihre bunten Kostüme und die drolligen Hüte, die sie trugen. Es gab drei verschiedene Huttypen: Zwei Leute trugen einen großen Bommel an einer Stange, einige hatten einfach nur flauschig wirkende, riesige, bunte Kugeln auf dem Kopf, die letzte Gruppe schleifte weiße Bänder hinter sich her. Erst im Laufe der Show erfuhren wir, was es damit auf sich hatte.

Da fingen die Musiker auch schon an ihre Köpfe im Takt der Trommeln zu drehen und wippen, wodurch die weißen Bänder an ihren Hüten in Bewegung gerieten. Sie zogen gekonnt Schleifen und Wirbel durch die Luft, zielgerichtet drehten sie den Kopf mal in die eine, dann in die andere Richtung, um dem Bändchen den richtigen Schwung zu versetzen. Es war einfach nur herrlich anzusehen. Aber damit nicht genug. Plötzlich ging es heiß her, was keineswegs am Wetter lag. Die Burschen fingen an im Kreis zu rennen, während die anderen Gruppenmitglieder, also die ohne Bändern am Hut, sich in der Mitte drängten. Im nächsten Moment sprangen sie in wilder Manier durch die Luft und machten genau solche Kreise wie ihre Hutbändchen. Es war formvollendet.

Musikdarbietung mit Akrobatikeinlage

Die beiden Herren mit dem großen Bommel an der Stange konnten ihren Kopfschmuck ebenso herumkommandieren. Allerdings sah es eher buschig und nicht so elegant wie bei den Bändchen aus. Doch kaum war der Bommel oben, entfaltete sich eine prächtige weiße Blume über den Köpfen der Künstler.

Zum Abschluss gab es noch einige Solodarbietungen. Da nahm einer der Musiker seinen Bommelhut ab und tauschte ihn für ein Stäbchen und eine Scheibe ein. Breit grinsend begann er seine Show vor dem gespannt wartenden Publikum. Er drehte die Scheibe an und warf sie aufs Stöckchen, wo er sie gekonnt balancierte, in die Luft warf, wieder auffing, unterm Bein hindurch führte und dergleichen. Das Publikum war entzückt – mich eingeschlossen. Was vor vierhundert Jahren für Erheiterung gesorgt hatte, funktionierte bis heute immer noch hervorragend. Der Musiker zeigte ins Publikum und griff sich eine bezaubernde junge Dame (Ausländerin) heraus, mit der er ein wenig spielen wollte. Sie sollte ihm die Scheibe zuwerfen. Nach einigen missglückten Versuchen, die zur Erheiterung aller Anwesenden beitrugen, gelang es ihr dann endlich, die Scheibe vernünftig zu werfen, so dass der Künstler sie auch vernünftig auffangen konnte. Es war ein herrlich amüsantes Schauspiel.

Zum krönenden Abschluss kam ein anderer Bändchenschwinger herein, doch hatte er seinen Kopfschmuck für ein weit längeres Bändel eingetauscht. Mit diesem Gerät ausgerüstet vollführte er Kunststücke, die so manchen Breakdancer vor Neid hätten grün anlaufen lassen. Dabei wusste er gleichzeitig seinen Kopf so zu bewegen, dass das meterlange Band vom Boden fern blieb. Eine gelungene Inszenierung.

Abschluss der Tanzdarbietung

Ich fand es schön, wie offen die Koreaner ihre Begeisterung für eine solch simple Form der Unterhaltung kundtaten. Jedes neue Kunststück wurde mit einem großen „Ahh“ oder „Ohh“ belohnt. Es war nicht gespielt oder übertrieben – die Koreaner können sich wirklich aus tiefstem Herzen für solche Sachen begeistern.

Natürlich gab es donnernden Applaus für die Truppe. Zusammen mit den Koreanern brachen wir in eine andere Ecke der Freilichtbühne auf, um uns das nächste Schauspiel anzusehen.

Es folgte ein Akt auf dem Hochseil. Eine junge Dame in Rot und Weiß tauchte wie aus dem Nirgendwo neben dem zweieinhalb Meter hohen Gestell auf, schwang sich kunstvoll drauf und begann damit, eine Geschichte zu erzählen. Sie hatte ein Mikrofon, das der Vorstellung leider nicht gewachsen war und nach einiger Zeit mit einem Wackelkontakt negativ auffiel. Mir persönlich machte es nichts aus, schließlich verstand ich immer noch kein einziges Wort. Den zahlreichen Koreanern könnte es eventuell ein bisschen mehr ausgemacht haben. Das spielt für diese Geschichte allerdings nur eine untergeordnete Rolle.

Wir nahmen möglichst gute Plätze ein, was bei den gegebenen Verhältnissen vor allem hieß, sich eine schattige Stelle zu suchen, von der aus man noch immer etwas sehen konnte. Dann ging es auch schon los. Die junge Frau baute sich an einem Ende des Hochseils auf, öffnete knallend ihren Fächer und marschierte los. Es fing recht harmlos an, doch schon die erste Übung ließ die Koreaner um uns herum Rufe der Bewunderung ausstoßen, obwohl die Dame „nur“ über das Seil spazierte. Sie wagte sogar, das Ganze ein wenig aufzupeppen, indem sie hin- und herschwankte, als ob sie tatsächlich Probleme damit hätte, das Gleichgewicht zu halten. Selbstverständlich kam sie heil und munter am Ende der Strecke an. Schließlich ging es bei dieser Einleitung nur darum, sich die ungeteilte Aufmerksamkeit des Publikums zu sichern. Die Strategie war erfolgreich.

Dame auf dem Hochseil

Mit jeder Runde holte sie neue Tricks aus der Kiste. Vielleicht erläuterten ihre Worte das ein oder andere Kunststück oder gaben wichtiges Hintergrundwissen preis – doch das würde ich auf dieser Reise nie erfahren. Die Akrobatin ging vorwärts, rückwärts, setzte sich auf das Seil, um dann wieder aufzuspringen, und wandelte dort oben so sicher wie unsereins auf festem Boden. Besonders spannend wurde es, als sie ihre Beine zu einer Seite fallen ließ, mit dem Hintern im Damensitz auf dem Seil landete und den Schwung nutzte, um wieder aufzustehen. Den Trick überbot sie noch damit, dass sie die Beine sitzend von der einen auf die andere Seite schwang. Das Publikum war hingerissen.

Nach gut zwanzig Minuten verabschiedete sich die junge Frau von uns allen und wir zogen zur dritten Bühne, einem runden steinernen Kreis, in dem junge Burschen eine Vorführung im Voltigieren darboten. Auch das wollten wir uns nicht entgehen lassen.

Es begann schon turbulent. Laute Musik erschallte, irgendwo knallte etwas, Pferde stürmten in den doch recht engen Kreis. Einer nach dem anderen präsentierten sich sechs Reiter auf ihren Tieren, um dann nebeneinander Aufstellung zu nehmen.

Vorstellung zu Pferd

In diesem rasanten Tempo ging es die ganze Zeit weiter. Da schwangen sich die Reiter durch ihre Sattel, sprangen runter, liefen ihren Tieren hinterher, nur um bei der nächsten Runde wieder aufzuspringen. Sie brachten Pfeile und Bögen mit, um aus dem Galopp auf eine Zielscheibe zu schießen, oder sie warfen Speere auf das Bild eines Wildschweins. Mit knallenden Peitschen (diese Munition für Kinderpistolen war daran befestigt) schossen sie künstliche Blumen von Ständern am Rand der Manege. Es gab auch Kunststücke mit zwei Reitern auf einem Pferd oder drei Reitern auf zwei Pferden. Die Jungs sprangen, liefen, schossen, vollführten Manöver von unwahrscheinlicher Leistung und schienen dabei so gelassen wie auf einem Sonntagsspaziergang. Es war eine hervorragend inszenierte Darbietung, die mich staunend zurückließ.

Pfeil und Bogen vom Pferderücken

Nach dieser zwanzigminütigen Vorstellung musste ich erst einmal tief durchatmen und mich wieder sammeln. Eine Pause war mehr als nötig – dabei hatte ich nur zugesehen. Wir entschieden uns dagegen, uns die traditionelle koreanische Hochzeit anzusehen, weil wir uns lieber mit dem Rest des Freilichtmuseums beschäftigten. Mittlerweile waren wir seit eineinhalb Stunden bei den Künstlern.

Es gab einen Bereich, der regelmäßig von Filmproduzenten für den Dreh von historischen Filmen und Serien benutzt wurde. Dort fanden sich viele Pappaufsteller und Informationstafeln von Dramen, die gerade dort oder allgemein in dem Dorf gedreht worden waren – inklusive lebensgroßer Figuren der Charaktere. Natürlich mussten wir uns das näher ansehen. Natürlich erkannte Franziska viele der Häuser wieder und konnte die meisten Serien mit Namen benennen und die Handlung für mich kurz umreißen. Natürlich hatte ich nicht die geringste Ahnung davon.

Wir wanderten ebenfalls durch die Häuser von Verwaltungsangestellten, die sich allein schon in der Größe von denen der Bauern unterschieden. Selbstverständlich war das Haus auch stabiler gebaut, die Böden waren aus elegantem Holz, es gab die typischen Klappwände und Schiebetüren, Schnitzereien, die jeden Balken verzierten, und vieles mehr. Luxus erkennt man durch alle Länder und Epochen. Außerdem saß dort ein Mann in traditioneller Kluft und fächerte sich Wind zu. Ob er nun die Wache oder einen Adelsmann darstellte, vermag ich nicht zu sagen. So oder so sah er nicht besonders erholt aus, was unter anderem an den Temperaturen liegen mochte.

Adelshaus

Im krassen Gegensatz dazu stand das Gefängnis, das direkt neben dem Verwaltungsgebäude aufgestellt war. Lange Reihen an Holzgattern mit dicken Streben füllten einen Gang aus. In den Zellen gab es nicht einmal Betten oder dergleichen. Der Boden war aus Stein oder Lehm, der von einer dicken Staubschicht bedeckt wurde. Man durfte auch Gast in einer Zelle werden, wenn man daran interessiert war, und sich sogar einige Folterwerkzeuge und Fesselgeräte aus der Nähe ansehen, sprich benutzen. Gesagt, getan. Ich möchte explizit darauf hinweisen, dass es weder angenehm noch gemütlich war, aber auf jeden Fall eine nennenswerte Erfahrung.

Wie es sich für ein ordentliches, historisch korrektes Freilichtmuseum gehört, stand auch ein Tempel in der Anlage. So begaben wir uns auf den anstrengenden Pfad, um auch dieses Gebäude in Augenschein zu nehmen. Wie bereits erwähnt, war es an diesem Tag besonders warm, und auch wenn die Bäume und Pflanzen um uns herum viel Schatten spendeten, boten sie zu dieser späten Stunde kaum noch Erleichterung. Die Tatsache, dass der Tempel auf einem Hügel stand, trug nicht zu unserer Erheiterung bei. Irgendwann auf halber Strecke begrüßte uns ein imposantes rotes Tor mit großem, verziertem Dach. Kurze Zeit später sahen wir eine überdachte Steintreppe, die durch den Tempeleingang hindurch auf einen Hof führte. Ich gebe gerne zu, dass die Inszenierung des Tempels gelungen war und man ihn sich auf jeden Fall ansehen sollte. Auch die Gebäude waren schön anzusehen.

Eingang zum Tempel

Franziska fand einen Herrn, der personalisierte Kalligraphie auf Fächer schrieb, so dass sie einige Zeilen käuflich erwarb. Ich fand Schaukeln. Wir beide waren glücklich mit unserem Fund. Zwischendurch gab es noch für jeden ein Eis, um wenigstens kurzfristig Linderung zu schaffen. Wie bereits angedeutet gab es einen Fluss, der das Korean Folk Village in zwei ungleiche Teile teilte. Um diesen Fluss zu überqueren gab es an verschiedenen Stellen unterschiedliche Brücken. ich ließ es mir nicht nehmen, eine der abenteuerlichen Varianten zu nutzen:

Betreten auf eigene Gefahr

Noch bevor wir alle Häuser eingehend untersucht hatten, waren unsere Köpfe zu müde, um noch irgendwelche Informationen aufzunehmen. Kein Wunder, wir hatten bereits mehrere Stunden in dem Dorf verbracht, uns mehrere hervorragende Vorstellungen angesehen, Koreanisch gegessen und waren durch verschiedene Epochen auf engstem Raum gestiefelt. Wir entschieden uns dafür, dass es für diesen Tag reichte und wir nicht wissen mussten, wie jeder Bauer in jeder Region gelebt hatte. Außerdem schloss das Museum bald seine Pforten. Nach diesem ereignisreichen Tag begaben wir uns also zurück zur Bushaltestelle und nach Seoul. Von der Rückfahrt bekam ich nicht viel mit, da ich in einem seligen Halbschlaf vor mich hinschlummerte. Es war ein gelungener Tag.


Unser letzter Tag in Seoul war schlichtweg phänomenal. Anfangs dachten wir, dass es in Stress ausarten könnte, weil wir uns von so vielen Leuten verabschieden wollten. Am Ende wussten wir aber nicht, wie wir uns hinlegen sollten, weil wir so vollgefuttert waren.

Es begann damit, dass Anneena, die dank Schulferien endlich mal ein bisschen Zeit hatte, uns noch einmal vor unserer Abreise sehen wollte. Das machten wir gerne, immerhin wollten wir uns für das leckere koreanische Grillen bedanken und diesmal die Runde stellen. Nach einigem Hin und Her bezüglich Essenswünschen schlug sie dann ein Restaurant in Sillim vor, das ein All you can eat Buffet mit zahlreichen koreanischen Speisen anbot. Sie war von dem Angebot derart überzeugt, dass sie uns das Versprechen abrang davor nichts zu essen. Davon noch nicht genug: Es war ein Bio-Restaurant mit qualitativ hohen Standards.

Zum Zeitpunkt unserer Zusage wussten wir von alledem noch nichts. Wir freuten uns nur auf einen lustigen Vormittag mit unserer kleinen Englischschülerin. Selbstverständlich konnten wir das Versprechen ihr gegenüber nicht halten, denn wer mich einmal ohne Frühstück erlebt hat, gibt mir freiwillig seine Portion ab. Wie dem auch sei, die Zeit zwischen Frühstück und Lunch war großzügig genug bemessen, so dass ein kleines Mahl am Morgen niemandem einen Abbruch tat. Fast pünktlich kamen wir dann auch am vereinbarten Treffpunkt aus, wo Anneena mit ihrer Mutter uns schon erwarteten.

Nur wenige Schritte vom Ausgang 3 entfernt waren wir auch schon im angepriesenen Restaurant. Ich gebe gerne zu, dass es schon von Anfang an vielversprechend aussah und meine Erwartungen im Laufe des Essens übertraf. Wir bekamen schnell einen Tisch – was ein Glücksfall war, wie wir schnell herausfanden, da der große Gästeandrang erst eine halbe Stunde nach unserem Eintrudeln begann –, ließen unsere Sachen (alles, inklusive Wertsachen, die man einfach offen auf den Tisch legen durfte) dort und folgten gehorsam Mutter und Tochter zum reichen Buffet. Sie erklärten uns, was die Speisen waren und wie wir sie zu essen hatten; wir stellten fest, dass die Teller viel zu klein waren, um sich mit einer Portion zufrieden zu geben. Es gab schlichtweg alles, was die koreanische Küche zu bieten hat, und mehr. Gemüse, Obst, Fleisch, Bingsu, Eis, Nachtisch, Beilagen, Reis, gebraten, frittiert, gekocht, gedämpft, gedünstet, geschwenkt und so viel man wollte. Getränke waren auch schon im Preis inbegriffen.

Wir wussten gar nicht, wo wir anfangen sollten, also griff ich beliebig zu und packte alles auf meinen Teller, bis dieser fast schon überquoll. Jeder einzelne Bissen war ein Hochgenuss. Wir alle schlugen uns den Bauch voll, bis wir nach Hause rollen mussten, denn es kam nicht in Frage zu gehen, bevor wir noch dieses eine letzte Stückchen probiert hatten. Es war köstlich.

Durch ein Fenster konnten wir beobachten, wie die Schlange vor dem Lokal länger wurde. Verständige Marketingfachleute hatten Bänke vor dem Restaurant aufgestellt, um ihren Gästen das Warten erträglicher zu machen. Überraschenderweise war auch Anneenas Tante unter den Wartenden. Die Damen unterhielten sich einige Zeit in ihrer Muttersprache, während ich nur lächelnd daneben saß.

Nach fast zwei Stunden machten wir uns dann wieder auf den Weg – unsere Zeit wäre eh gleich abgelaufen. An der Kasse angekommen, drängelte sich Anneenas Mutter vor und zahlte, obwohl wir darauf bestanden. Sie redete sich damit heraus, dass sie nur glücklich darüber war, dass ihre Tochter jemanden gefunden hatte, mit dem sie Englisch reden konnte. Ich finde, bei dem Deal haben wir sehr gut abgeschnitten.

Auf dem Weg nach draußen fragte Anneena uns, ob wir Stickerfotos kennen würden. Wir beide verneinten und brachten damit einen Stein ins Rollen, der uns beide umwarf. Zielsicher suchte das junge Mädchen einen Laden auf, in dem man spaßige Fotos schießen konnte. Wir bekamen Perücken, wahlweise auch Haarreife mit Öhrchen oder Schleifchen drauf, komische Brillen und durften damit in eine Kabine, in der man mehrere Motive in einer Sitzung schießen konnte. Den Hintergrund suchte man auch selbst aus. Es war ein bisher unbekanntes Erlebnis für sowohl Franziska als auch mich, weshalb wir stellenweise ein bisschen überrascht und verständnislos dreinblickten, weil wir einfach nicht wussten, was von uns erwartet wurde. Anneena hingegen, die damit groß geworden war, überging einige Erklärungen, die ihr selbstverständlich schienen, uns aber ein bisschen besser auf die Sache vorbereitet hätten. Ende vom Lied war eine Ansammlung von lustigen Bildern vor unwirklichen Hintergrundmustern mit komischen Beschriftungen. Es war perfekt. Um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, bekamen wir die Motive in verschiedenen Größen als Sticker ausgehändigt. Wir teilten sie untereinander auf, so dass jeder seinen eigenen Aufkleber als Erinnerung behalten konnte, und zogen weiter, um noch einen Kaffee zu trinken. Dieses Mal ließen wir uns nicht übers Ohr hauen und beglichen die Rechnung dank einer ordentlichen Portion Ellbogengebrauchs.

Zum ersten Mal seit sechs Monaten schlürfte ich wieder genüsslich an einem Assam-Tee. Es war ein Genuss ohne Gleichen, jeden einzelnen Won wert, perfekt, selbst bei der draußen herrschenden Hitze. Wir unterhielten uns über diverse Themen, die alle sehr bodenständig waren, mussten uns dann aber schon langsam wieder auf den Weg machen. Wie gesagt, der Tag drohte dank Termindruck in Stress auszuarten.

Zurück im Hostel hatten wir einen Moment Zeit, um Luft zu holen, bevor es in die nächste Runde ging. Für unseren Abschied hatten wir unseren Gastgebern ein Abschiedsessen mit Kartoffelgerichten versprochen. Dafür mussten wir allerdings noch einige Sachen einkaufen und das Essen selbstverständlich auch vorbereiten. Ein Ausflug in den Supermarkt war eh geplant, da wir noch einige Snacks für die anstehende Reise zu erwerben hatten, und auf diese Weise konnten wir alles in einem Rutsch erledigen.

Jeder machte ein bisschen mit, aber aus Ermangelung an ausreichendem Kochmaterial konnten viele Sachen nur der Reihe nach abgearbeitet werden. So oder so zauberten wir gemeinsam ein köstliches Mahl, das aus Ofenkartoffeln, Labskaus und Kürbispfannkuchen bestand, wobei letzteres unsere Gastgeberin Seol Hee zubereitete. Die Tische quollen praktisch über. Wer heute hungrig ins Bett ging, hatte irgendetwas falsch verstanden. Es war zwar viel zu tun, aber stressig wurde es dennoch nicht, zumal niemand sich daran störte, dass wir einige Minuten länger als geplant brauchten.

Tatsächlich schaffte auch June es noch an diesem Abend vorbei zu kommen, um sich von uns zu verabschieden. Da es letzten Sonntag ein bisschen hektisch zugegangen war und er ausnahmsweise nachmittags statt morgens gearbeitet hatte, mussten wir befürchten, dass wir uns nicht mehr gebührend von ihm verabschieden würden. Letzten Endes war alle Sorge unberechtigt. Wir beide bekamen von ihm zum Abschied ein buddhistisches Armband und erfuhren so ein bisschen mehr über den mysteriösen Kerl.

Dann aber überraschten mich unsere Gastgeber mit einer umwerfenden Geste: Sie brachten Küchelchen mit Geburtstagskerzen drauf herein. Da ich einige Tage vor meinem tatsächlichen Geburtstag abfuhr, erklärten sie kurzerhand diesen Abend zu meiner Geburtstagsfeier. Mit dieser Überraschung hatte ich nun wirklich nicht gerechnet. Ich war hingerissen.

Abeschiedsessen mit Geburtstagsküchelchen

Zum Abschluss gab es noch eine Partie Kicker, gefolgt von weiteren Spielen zwischen verschiedenen Gegnern. Das nenne ich einen perfekten Abend.

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