Sonntag, 10. Januar 2016
Seoul – Juni-August 2015 (Lustiges)


Namsangol Hanok Village
Nicht weit der Myeongdon-Haltestelle gab es eine kleine Ansammlung traditioneller koreanischer Häuschen, die sich in einem abgeriegelten Dörfchen gruppierten. Dieses Dorf aus der Joseon Ära bot uns die Möglichkeit einen Blick auf den Lebensstil der Koreaner vor einigen Jahrhunderten zu werfen. Wenn man zur richtigen Zeit kam und sich vorher anmeldete, konnte man sogar einige traditionelle Sachen mitmachen. Darunter fielen beispielsweise Hochzeitszeremonien. Leider waren wir nicht zur richtigen Zeit da, denn wir mussten arbeiten, so dass wir unglücklicherweise auch die letzte Teak Won Do-Vorführung verpassten. Nächstes Mal holen wir es nach. Wir hatten allerdings das Vergnügen einen Einblick in die traditionelle asiatische Medizin zu erlangen. Dazu später mehr.

Zuerst besuchten wir einen Souvenirladen nahe dem Korea-Haus, wo wir endlich die ersten Postkarten sahen. Hier lernten wir auch, dass man Postkarten in Korea meist in Packen bekommt, die thematisch sortiert sind. Schade aber auch, denn diese hier bezogen sich nur auf das Hanok Dorf nebenan und rissen mich nicht vom Hocker. Ich musste weitersuchen.

Am Eingang zum Namsangol Hanok Dorf

Der Eintritt war auch hier frei, so dass wir uns begeistert auf den Erkundungsweg machten. Am Anfang stand eine Reihe von Pappfiguren mit Löchern statt Gesichtern für all jene Besucher, die sich als Prinzessin, Krieger, Bauer oder eine andere Persönlichkeit der damaligen Zeit ausgeben wollten. Ich ließ es mir nicht nehmen, als Ritter in strahlend schwarzer Rüstung zu posieren.

Es gab wesentlich weniger Häuser als in den Palästen, die wir zuvor besichtig hatten, aber dennoch war es alles sehr interessant. Die Häuser waren weiß getüncht und an manchen Stellen lugten Holzbalken hervor. Niedrige Steinmauern umgaben einzelne Bauten oder ganze Komplexe. Franziska fand ihr perfektes Studienzimmer, das nach Süden lag und einen ungehinderten Blick auf den kleinen Teich gewährte. Für meinen Geschmack war es ein bisschen zu beengt. Leider durfte sie es nicht mitnehmen. Wir bekamen Einblicke in die Lebensweise verschiedener Klassen, auch wenn der Großteil der Räumlichkeiten offensichtlich den Reichen gehört hatte.

Studienzimmer meiner Reisebegleitung

Gebäude im Namsangol Hanok Dorf

Ein besonderes Highlight war die traditionelle, asiatische ärztliche Untersuchung, zu der wir eingeladen wurden. In einem der Häuser hatte man ein ganzes Lazarett aufgebaut: Da gab es Monitore, die Filme zeigten, Monitore, die Werte wiedergaben, Maschinen, die verschiedene Körperfunktionen maßen, und viele Leute in altmodischen Ärztegewändern. Es begann damit, dass wir in Schubladen gesteckt wurden – im übertragenen Sinn. Anhand einiger kurzer Beschreibungen sollten wir herausfinden, welcher Typ Mensch wir sind, kalt oder warm. Was mich überhaupt nicht überraschte, war die Tatsache, dass Franziska und ich auf gegensätzlichen Seiten standen. Nach dieser ersten, kurzen Einschätzung bekamen wir einen kostenlosen Tee, der selbstverständlich auf unser Naturell abgestimmt war. Dann drückte man uns einen Fragebogen in die Hand, der Antworten auf unser alltägliches Verhalten inklusive Schlaf- und Essgewohnheiten verlangte. Wir beantworteten diese nach bestem Wissen und Gewissen, woraufhin wir dann die erste Untersuchung über uns ergehen lassen durften.

Diese war antiklimaktisch. Man maß unseren Blutdruck und Puls. Die Gerätschaften, die dazu verwendet wurden, wirkten in meinen Augen alles andere als traditionell, denn ich hatte sie auch schon bei Ärzten, in Krankenhäusern und in Arztserien gesehen. Aber wir wollten der Sache unvoreingenommen gegenübertreten, so dass wir einfach mal mitmachten. Nachdem dies erledigt war, gingen wir ins Sprechzimmer der führenden Ärztin. Ihre Englischkenntnisse bewegten sich in nicht allzu hohen Sphären, so dass ein junger Mann für sie übersetzen musste. Ich fand es anstrengend, beiden gleichzeitig zuzuhören, weil sie einerseits sehr bestimmt redete, ich aber kein Koreanisch verstand, und er übersetzte, sich aber nicht traute sie zu übertönen. Trotzdem hatte ich dabei meinen Spaß.

Franziska war ein viel interessanterer Studienfall als ich. Die Ärztin sagte ihr sogar in die Augen: „You are very pale. That’s beautiful, but you look dead.“ („Du bist sehr blass. Das ist sehr schön, aber du siehst tot aus.“) Dann sah sie Franziska ins Gesicht, ließ sich die Zunge entgegenstrecken und stellte eine Diagnose. Im Anschluss ratterte sie eine Liste von Lebensmitteln runter, die meine Begleitung vermehrt zu sich nehmen sollte, gefolgt von einer ebenso langen Liste an Sachen, die sie vermeiden sollte. Eine besonders wichtige Empfehlung war, dass Franziska einen Freund brauchte, der sie zum Lachen brachte, weil das ihr am meisten helfen würde. Wir waren alle sehr amüsiert über diese Einschätzung. Zum Abschluss gab es noch ein Pülverchen, das sie einige Tage nehmen sollte, damit es ihr ein bisschen besser ging. Es war auf pflanzlicher Basis.

Es folgte eine ähnlich Prozedur bei mir, nur dass ich wesentlich besser dabei abschnitt und mir weniger Einschränkungen auferlegt wurden. Meine Lebensmittelempfehlungen deckten sich mit Sachen, die ich eh mochte, also beschloss ich so weiter zu machen, wie gehabt. Auch ich bekam einige Beutel mit Pulver, was allerdings eher vorsorglicher Natur war. Ich probierte diese tatsächlich, entschied, dass es scheußlich schmeckte, und verschenkte den Rest.
Dies alles kostete uns keinen Won, machte aber einen Heidenspaß.

Saal einer mächtigen Persönlichkeit

Wir zogen weiter durch den angrenzenden Park, vorbei an einem Theater, vorbei an einigen Kleinmuseen zu lokalen Künstlern, einen Hügel hinauf, um von dort auf die Zeitkapsel hinunter zu blicken.

Die Zeitkapsel wurde 1994 eingeweiht, weil dies das Jahr war, in dem Seoul seit 600 Jahren Hauptstadt Koreas war. Diese Kapsel beinhaltete zahlreiche kulturelle Schätze und sollte die nächsten 400 Jahre überdauern, um für künftige Generationen ein kulturelles Erbe darzustellen. In einer kreisrunden Vertiefung befand sich eine ebenso runde Steinplatte aus mehreren Segmenten umgeben von einem Pfad, so dass man das Monument von allen Seiten betrachten konnte. Sie war enorm. Darauf standen einige Inschriften in verschiedenen Sprachen, die von den Vertretern der jeweiligen Länder stammten. Ein sanft gewundener Pfad führe in einem sachten Gefälle hinunter. Natürlich schlugen wir diesen Weg ein und betrachteten alles aus der Nähe. Es war seltsam leer dort unten.

Am Eingang zur Zeitkapsel

Auf dem Rückweg zur Haltstelle entdeckten wir nicht nur eine, sondern zwei auffällige Geschäfte, die sofort unsere Aufmerksamkeit erregten. Es handelte sich um Bäckereien. Das mag jetzt nun ein bisschen lapidar klingen, schließlich gab es ein Tous Les Jours oder Petit Baguette alle paar Schritte, aber es waren eben ausgefallenere Läden. Denn diese Bäckereien versprachen Brot. Richtiges Brot. Seit nunmehr fast sechs Monaten von diesem in Deutschland so alltäglichen Grundnahrungsmittel abgeschnitten, zögerten wir keinen Augenblick den erstbesten Laden zu stürmen. Dem Verkäufer entging unsere Begeisterung keineswegs, ebenso wenig wie er bei unserer Herkunft falsch lag. Er erklärte uns, dass er sehr viele deutsche Kunden hatte und sie mittlerweile sehr gut von anderen Westlern unterscheiden konnte. Vor allem sie suchten richtiges Brot und wussten, worauf es ankam. So wie wir eben. Er sprach sogar einige Standardsätze Deutsch. Wir waren begeistert. So kauften wir ein halbes richtiges (!!) Brot und zwei Scones mit Schokoladenstückchen. An diesem Abend gab es ein kleines Festmahl.

Richtiges Brot


Wenn ich schon einmal dabei bin, kann ich hier einen weiteren Abschnitt über Speisen und Essgewohnheiten einbringen. Ach, ich fasse jetzt einfach alles zusammen.

Überhaupt nahm das Essen einen sehr großen Stellenwert ein. Ich fühlte mich mehrfach wie bei meiner Großmutter, die auch glaubt, jedes Problem mit einem ordentlichen, gut bürgerlichen Mittagessen beheben zu können. Wichtig war, dass immer genug für alle auf dem Tisch stand; besser noch, wenn es zu viel war. Erst wenn jeder Gast vom Tisch wegrollte, war es ein gutes Mahl.

Praktisch jedes Lokal und Restaurant, inklusive Fastfoodketten, hatte einen Lieferservice. Man konnte so gut wie jedes Gericht zu einem Spottpreis ins Haus bestellen, es wurde in einer großen Box heißt (also, wirklich brodelnd heiß) serviert, so dass man sich an den Edelstahlreisbehältern die Finger verbrühte, und wenn man mit dem Essen fertig war, kam der Lieferant zurück, um das benutzte Geschirr abzuholen. Ein hervorragender Service.

Wenn wir das Essen nicht kommen ließen, gingen wir zu einem nahegelegenen Restaurant, das ein kostengünstiges All you can eat-Mittagsbüffet anbot. Dort bedienten wir uns nach Herzenslust an verschiedenen Speisen und kamen so in den Genuss verschiedener koreanischer Köstlichkeiten, von denen wir bis dato keine Ahnung hatten, dass sie existierten.

All you can eat-Mittagsbuffet - Beispiel

Darunter waren Kleinigkeiten, wie beispielsweise (in Deutschland) ungewöhnliche Reismischungen oder in Algenblätter gewickelte Glasnudeln, oder aber es waren ganze Gerichte, die wir zum ersten Mal sahen, wie es mit einigen Suppen oder Entenbruststreifen der Fall war. Jedenfalls war immer für jemanden etwas dabei, auch wenn nicht jeder alles mochte. Ich verzichtete selbstverständlich auf Scharfes, während Franziska Fischkuchen mied.

Eines Tages gingen wir zu Mapo Mandu, einem Restaurant in der Nähe, das sich auf die Zubereitung von Mandu, also koreanischen Maultaschen, spezialisiert hatte. Dies gab uns die einmalige Gelegenheit etwas über koreanische Ausgehgewohnheiten zu lernen, denn unsere Mitarbeiterin Amy begleitete uns. Wahrscheinlich besser so, denn ich weiß nicht, wie weit wir ohne ihre Übersetzerfähigkeiten gekommen wären. Wir kamen ins Lokal, setzten uns an einen freien Platz, bekamen sofort unaufgefordert gekühltes Wasser mit Bechern serviert und Speisekarten in die Hände gedrückt. Amy, ganz souverän in ihrem Verhalten, schob eine Schublade an der Seite des Tisches auf und holte daraus Besteck hervor. Sie schien nicht zum ersten Mal hier zu sein. Nachdem wir uns geeinigt hatten, welche Füllungen wir wollten, schrie die junge Dame unsere Bestellung durch den Raum. Franziska sah mich baff an; ich blickte nicht weniger verdutzt drein. Aber das schien hier gang und gäbe. Niemand außer dem Personal schien sich angesprochen zu fühlen; kein Gast empörte sich. Als die Maultaschen dann dampfend auf dem Tisch standen, frage Amy uns noch, ob wir bereits Kimbap kannten. Wir verneinten wahrheitsgemäß, was die junge Dame damit quittierte, dass sie gleich lauthals eine Rolle für uns bestellte. So durfte sie uns nicht nach Hause gehen lassen. Dann gab es noch eine Portion Ramyeon für alle, und wir hatten kein Recht mehr zu meckern. Es war genug. Allerdings war das Ramyeon ziemlich scharf, weil dieser Laden keine anderen Varianten anbot. Immerhin war das ein Ort für Mandu, nicht für Ramyeon. So musste ich diese schmerzhafte Prozedur des Essens über mich ergehen lassen – und überlebte sie tatsächlich.

Das Schöne dabei, dass immer Koreaner für uns bestellten, war die Tatsache, dass wir tatsächlich authentische Gerichte bekamen. Franziska musste sich keine Sorgen machen, dass ihr extra-super-scharfes Gericht XZY vielleicht weniger scharf ausfallen würde, als sie es sich wünschte, weil die Restaurantbesitzer am anderen Ende der Leitung davon ausgingen, dass sie es für Landsleute herrichteten. Das erwies sich bei einem Hähnchengericht in feurig roter Sauce als fatal. Nicht für Franziska, sie fand es herrlich. Die Koreaner um sie herum allerdings weinten vom bloßen Hinsehen. Ich befürchte, diese blasse Ausländerin hat ihren Nationalstolz gekränkt.

Vom Schärfegrad des Essens gab es noch andere Herausforderungen, denen wir uns am koreanischen Mittagstisch stellen mussten. Ja, wir beherrschten die Nahrungsaufnahme mit Stäbchen ganz gut, auch wenn die koreanische Variante dieses Bestecks durch ihre Form gewisse Tücken aufweist. Im Gegensatz zu ihren Nachbarn benutzen Koreaner abgeflachte Metallstäbchen ohne irgendwelche Rillen, so dass das Essen gerne abrutscht.

Koreanisches Besteckset

Aber sie sind Meister ihrer Klasse und nach kurzer Zeit waren wir es auch – annähernd zumindest. Wenn es um mundgerechte Happen ging, war es jedenfalls bald kein Problem. Was allerdings bis zum Ende unseres Aufenthaltes viele Schwierigkeiten bereitete, waren die zwei Königsklassen der koreanischen Cuisine: Hähnchen und Fisch.

Beides bekam man am Stück serviert, manchmal waren es nur Hähnchenschenkel oder –flügel, oft war es ein ganzer Fisch. Die Bewohner dieses Landes verstanden sich wunderbar darauf, diese Lebensmittel fachgerecht zu sezieren. Hähnchenschenkel nahm man mit den Stäbchen in den Mund, knabberte sie sorgsam ab (immer noch mit den Stäbchen haltend) und legte die blanken Knochen dann behutsam auf einen Teller. Ich guckte nur dumm aus der Wäsche, wenn ich das sah. Fisch war noch ein ganz anderes Thema. Während die anderen bereits mit ihrem Teil durch waren und sich an allem anderen zu schaffen machten, versuchte ich immer noch verzweifelt das Fleisch von den Gräten zu trennen. Dabei kam ich mir wie ein unmündiges Kind vor und ich könnte drauf schwören, dass mir amüsierte Blicke zugeworfen wurden. Niemand verriet mir den Trick dahinter. Aber nach einiger Zeit schaffte ich auch das. Es dauerte nur länger.

Im Gegensatz dazu stellten die koreanischen Pfannkuchen keine Herausforderung mehr dar. Die abgeflachten Kanten der Stäbchen fungierten hier wunderbar als Schneidwerkzeuge. Im Handumdrehen hatte man einige mundgerechte Happen.

Koreanische Pfannkuchen

Wurden wir anfangs noch gefragt, ob wir überhaupt mit asiatischem Besteck umzugehen wussten, folgte schon bald ein anerkennendes Erstaunen darüber, wie gut wir mit Stäbchen essen konnten. Tatsächlich wurden wir mehrfach gelobt, wie wir die Stäbchen hielten und benutzten. Wir fragten und fragten und fragten, was man denn dabei falsch machen konnte. Es dauerte lange, bis uns jemand erklärte, dass es mit guter oder schlechter Erziehung zu tun hatte, wie man die Stäbchen hielt. Über Kreuz oder parallel oder was auch immer man sich ausdachte. Letzten Endes lief es darauf hinaus, dass es nur eine Frage der Etikette war und von guten oder schlechten Manieren zeugte. Aber niemand schien unser Anliegen auf Anhieb zu verstehen, wodurch wir mehrere Anläufe brauchten, um unsere Frage verständlich zu stellen.

Dann gab es noch diese wunderbaren Tage, an denen Martin für uns kochte. Nur für uns, nur für die Crew. Martin konnte wirklich gut kochen. Als er eines Tages versehentlich zu wenig für uns auftischte, entschuldigte er sich noch Tage später dafür. Es kam aber auch nur einmal vor. Es waren meist simple Gerichte, die er zauberte, gutbürgerlich würde man sie hierzulande nennen. Aber das hieß nicht, dass sie dadurch an Qualität abnahmen. Selbst wenn wir uns etwas liefern ließen, wusste er immer noch einen Kniff, wie man die eh schon hervorragende Speise ein wenig aufpeppen konnte.
Diesbezüglich möchte ich ein riesiges Lob an unsere Gastgeber aussprechen: Sie kümmerten sich wirklich vorzüglich um unser leibliches Wohlergehen.

Erwähnenswert sind zudem zwei Ketten, die es wirklich überall in Korea gibt: Paris Baguette und Tous les Jours. Beides sind koreanische Unternehmen, die sich auf die Verbreitung von vermeintlich europäischen Backwaren spezialisierten. Ich wage allerdings stark zu bezweifeln, dass es viele Europäer gibt, die süßes Backwerk der Geschmacksrichtung „grüner Tee“ oder Milchbrötchen mit süßer Bohnenpaste zu ihrer täglichen Diät zählen. Man fand dort wirklich alles, was europäisch angehaucht war: Croissants, Baguettes, Kuchen, Teilchen, auch Herzhaftes, mit Käse Überbackenes. Laut stolzer Überschrift war alles authentisch französisch. Es gab schon viele leckere Speisen in beiden Ketten zu probieren, alles, was ich zum Ausdruck bringen möchte, ist mein Zweifel an der Behauptung, dass auch nur eines der Produkte oder Rezepte jemals Frankreich gesehen hatte. Daher möchte ich jeden Koreabesucher dazu auffordern einen Blick hinein zu werfen, sich ein beliebiges Teilchen zu schnappen und sein eigenes Urteil zu fällen.


Seol Hee teilte uns nach einem Besuch bei der Familie mit, dass sie von ihrem Großvater Maiskolben aus dem eigenen Garten erhalten hatte. Leider kannte sie keine Zubereitungsart. Weder Franziska noch ich waren in dieser Kunst sonderlich bewandert, aber wir hatten Brendon damals zugesehen und zeigten uns zuversichtlich, dass wir etwas Leckeres zaubern würden. Obwohl die Ausstattung der Küche nur rudimentärer Natur war, machten wir uns an die Arbeit. Wir entschieden uns dafür, die Maiskolben zu halbieren und in Salzwasser zu kochen. Nein, wir kannten kein anderes Rezept. Als Kochzeit setzte Franziska erst einmal 10 Minuten an, doch wir stellten fest, dass aufgrund der Ermangelung eines Deckels mehr Zeit vonnöten war. Die hungrige Meute hatte sich bereits vor der Theke versammelt, doch wir waren noch immer nicht fertig. Nervös schritt ich in der Küche auf und ab. Ich war mir nicht sicher, ob wir die Kollegen noch lange vom Essen, obwohl noch roh, fernhalten konnten. Endlich beschloss meine Reisebegleitung, dass es Zeit war, den Tisch zu decken.

Wir packten Salz, Butter und Maiskolben auf die Tafel, doch Seol Hee holte ihre Geheimwaffe raus: ein bestimmtes Gewürzpulver.
Ich glaube, das Geheimnis darin bestand aus Glutamat und Hefeextrakt, aber ich konnte die Zutatenliste nicht entziffern. Wie dem auch sei, dieses Wundermittel reichte unserem Jüngsten aus, seinem Leben neuen Sinn zu geben. Er schnitt ein Stückchen Butter ab, tunkte es in das Gewürzpulver und aß es vom Messer – mehrere Male.

Wir sahen den Jungen fassungslos an. Er blickte verständnislos zurück, bevor er grinste. Wir erklärten ihm, dass man in Deutschland Butter nicht pur aß. Er antworte: „It’s gwaenchanh-a in Korea.“ („Es ist okay in Korea.“) und aß weiter. Allerdings dauert es nicht lange, bis er seine Entscheidung bereute, denn Bauchschmerzen waren die Folge dieser doch eher ungesunden Kombination.
Trotzdem sahen wir alle den Abend als vollends gelungen an.


An dieser Stelle lohnt sich die Beschreibung eines einzigartigen Phänomens, das ich selbst nicht so ganz verstehe: meine Kommunikation mit Jae Won.
Wie bei so vielen Koreanern waren die Englischkenntnisse von unserem jungen Mitarbeiter nicht so weit ausgeprägt, dass er eine anspruchsvolle, zusammenhängende Konversation in dieser Sprache hätte betreiben können. Tatsächlich stellten sogar einfache Sätze eine Herausforderung für ihn dar, was zusätzlich daran lag, dass er sich nicht traute Englisch zu sprechen. Aber irgendwie mussten wir uns verständigen, um ordentlich zusammenarbeiten zu können, ohne unnötige Umwege über einen Dolmetscher zu gehen. Bei meinen praktisch nicht vorhandenen Koreanischkenntnissen und seinem Äquivalent in englischer Sprache schien dies ein unüberwindliches Hindernis zu sein. Nur zu Anfang, wie sich herausstellte. Denn obwohl wir beide keinen gemeinsamen Nenner verbaler Ausdrucksweisen fanden, verstanden wir uns ganz gut. Er sprach Koreanisch untermalt mit einigen Gesten, ich antwortete mit einfachen Worten auf Englisch mit Gesten, wir beide bekamen das, was wir wollten. Manchmal mussten wir uns wiederholen, doch das passiert nun einmal. Es waren fast schon richtige philosophische Gespräche darunter. Diese Art der Verständigung ging so weit, dass ich sogar Unterhaltungen zwischen Jae Won und anderen in groben Zügen verstand – vorausgesetzt Jae Won sprach. Die Spitze war aber erreicht, als mein ungleicher Kommunikationspartner sich eines Tages wortlos auf ein Fahrrad schwang, sich nur von uns verabschiedete, Franziska mich fragte, wohin er fuhr, ich ihr erklärte, dass er Zigaretten holen musste, und damit richtig lag. Da soll noch einmal jemand sagen, Völkerverständigung wäre nicht möglich.



Bukchon Hanok Village
Im Gegensatz zum Namsangol Hanok Dorf war das Bukchon Hanok Dorf kein in sich abgeschlossenes Gelände mit altertümlichen Häusern, sondern ein Stadtteil von Seoul, in dem alte Häuser standen und bis heute von Leuten bewohnt wurden. Dementsprechend war es offen zugänglich. Umgekehrt konnte man sich die Häuser nicht von innen ansehen, weil es die Bewohner womöglich stören könnte. Wie dem auch sei. Wir wollten uns diesen anachronistischen Teil der Millionenmetropole zu Gemüte führen und brachen eines Nachmittags dorthin auf.

Bukchon Hanok Dorf

Wir stiegen an der Haltestelle Anguk aus, gingen die Treppen hoch, nahmen eine beliebige Straße in die richtige Richtung und spazierten – mehr oder weniger – zielsicher durch Alleen und Gassen. Im Gegensatz zur Umgebung waren die Häuser hier niedrig, bestanden zumeist aus nicht mehr als dem Erdgeschoss, die Dächer hatten die in Europa bekannte geschwungene Form und kleine Grundstücke umgaben die Gebilde. Es war interessant einige Schilder zu sehen, die Besucher dazu aufforderten Rücksicht auf die Einwohner zu nehmen und möglichst leise zu sein.

Franziska hatte sich einen traditionellen Handwerksladen ausgesucht, in dem sie ein Andenken käuflich erwerben wollte. Diesen suchten wir nun, doch obwohl es viele Schilder gab, die Richtungen und Entfernungen anzeigten, waren wir nicht so ganz sicher, ob wir dem rechten Weg folgten. Bis wir durch eine enge Straße schritten und praktisch direkt davor standen. Es war allerdings ein bisschen seltsam. Immerhin wussten wir, dass dies hier ganz normale Wohnhäuser waren, und das Äußere machte dies auch deutlich: parkende Autos vor den Garagen, Spielzeuge in Gärten und dergleichen. Vor ungefähr so einem Haus standen wir auch, doch die Tür zum Hof stand sperrangelweit offen und ein kleines Schild an der Wand machte auf einen Handwerksbetrieb aufmerksam. Unsicher wagten wir uns hinein. Uns begrüßte tatsächlich ein kleiner Laden, doch schien dieser geschlossen zu sein. Die mit Holz verkleideten Türen ließen nur begrenzte Einblicke ins Innere zu, so dass wir nicht sicher waren, ob jemand drinnen war. Es gab kein Schild an der Tür, das uns hätte helfen können. Wir versuchten es trotzdem und betätigten die Türklinge – woraufhin wir belohnt wurden.

Der urige Laden war geöffnet und es gab einen verdammt guten Grund für die geschlossene Eingangstür: Während sich draußen der Sommer in vollen Zügen austobte, herrschten drinnen Temperaturen um den Gefrierpunkt (übertrieben gesprochen, versteht sich). Zwei Damen begrüßten uns freundlich, um sich dann wieder an die Arbeit zu machen. Hier wurden verschiedene Schmuckstücke aus Stoff hergestellt, allem voran Accessoires der Knotenkunst. Aber es gab auch einige prachtvolle Fächer. Franziska interessierte sich für Armbänder mit diesen zierlichen Knoten, die selbstverständlich auf eine bestimmte Weise kunstvoll gebunden waren und verschiedenen Farben zur Schau trugen. Nach einiger Zeit entschied sich meine Begleitung für einige Exemplare, so dass wir unsere Wanderschaft fortsetzen konnten.

Da wir den Sinn und Zweck dieses zielsicheren Ausflugs bereits so zeitig hinter uns bringen konnten, vertrieben wir uns die nächsten Stunden (oder war es nur eine?) damit, uns in diesem überschaubaren Gewirr aus Straßen, Häusern und Gassen zu verlaufen – mit mäßigem Erfolg. Es war einfach zu klein und übersichtlich. In den zahlreichen Fußgängerzonen fanden wir den ein oder anderen interessanten Laden mit traditionell koreanischen Kleinigkeiten. Dieses Mal war es aber offensichtlich, dass es sich um Geschäfte handelte.

Die Dächer des Dorfes

Eine Straße war richtig klasse gearbeitet: Während man (von unserer Warte aus) rechts einige alte Häuser hatte, die sich an eine Hügelflanke kuschelten, war links die Straße. Ab einem gewissen Punkt wurde der Bürgersteig immer enger und stieg an. Während man also immer noch einige Stufen zu verschiedenen Läden und Wohnhäusern hochklettern musste, konnte man auf der anderen Seite auf den Verkehr hinunter blicken. Bäume säumten den Fahrbahnrand und ließen den Fußgängern noch weniger Platz. Trotzdem schien es keine Probleme zu geben.

Eine andere Seite dieses urigen Stadtteils

Als wir gerade dort unterwegs waren, fanden wir einen Bereich zu unserer Linken, der durch viele Wagen und Kameraleute abgesperrt war. Leider konnten wir auf die Schnelle nicht herausfinden, was vor sich ging.

Hier lohnt es sich noch zu erwähnen, dass Bukchon gerne als Filmset für diverse koreanische Dramen und Fernsehserien verwendet wird.


Changdeokgung Palace
Man kann wirklich nicht behaupten, dass Seoul zu wenige Paläste zu bieten hätte. Man kann ebenso wenige behaupten, dass wir bereits genug davon gesehen hatten. Daher entschieden wir uns für einen Besuch des Changdeokgung Palastes, der unweit vom Bukchon Hanok Dorf seine Pforten für begeisterte Gäste öffnet. Es war mal wieder ein großes Gelände mit angrenzendem Verborgenen Garten, doch obwohl wir an beides an verschiedenen Tagen besichtigten, fass ich es hier der Einfachheit halber zusammen.

Es fällt mir schwer, ein konkretes Merkmal zu finden, an dem ich unsere Entscheidung festmachen kann, aber sowohl Franziska als auch mir gefiel dieser Palast am meisten von all jenen, die wir während unseres gesamten Aufenthaltes gesehen hatten. Daher zeige ich hier nur einige Impressionen



Wir besuchten den Changdeokgung Palast im Juli, so dass die üblichen Kosten von 3.000 Won entfielen – nur für die Führung durch den Verborgenen Garten mussten wir zahlen, aber es war ein vertretbarer Preis. Fangen wir am Anfang an.

Kaum waren wir durch das riesige Eingangstor getreten, fanden wir uns in einem Vorhof wieder, in dem einige Bäume ein Kanalufer säumten. Wasser war dieses Jahr allerdings Mangelware, so dass nur der Boden der breiten Rinne mit dem nassen Element bedeckt war; an einigen Stellen war der Strom gänzlich versiegt. Wie immer trennten kleine Mäuerchen die einzelnen Elemente dieser Anlage voneinander. Dieser Palast strotzte geradezu vor Rot.



Thronsaal im Changdeokgung Palast

Die meisten Wände waren mit dieser speziellen Farbe bedeckt, Säulen folgten ihrem Beispiel, nur die Deckenbalken behielten ihr typisches Grün bei. Die Flächen zwischen den Gebäuden waren unterschiedlicher Natur: manche waren einfach nur mit Staub und Sand bedeckt, andere hielten kleine Grünflächen für die Besucher bereit. Stein und Holz wechselten sich als Baumaterialien ab. Es gab einen achteckigen Pavillon, den wir unbedingt sehen wollten, aber alle Wege dorthin waren versperrt, so dass wir enttäuscht und unverrichteter Dinge von dannen ziehen mussten. Vielleicht klappt es nächstes Mal.



Der Anbau zu diesem opulenten Palast war später und in einem anderen Stil erbaut worden. Statt der roten Farbe beherrschten hier dunkle Holzbalken und weißer Putz das Bild. Die niedrigen Mauern waren oftmals durch symmetrische Muster geschmückt. Alles in allem diente die gesamte Konstruktion einem ästhetischen Zweck – mal von ihrem eigentlichen, praktischen abgesehen. Die Häuser waren ineinander verschachtelt, bildeten die Umrisse kleiner Labyrinthe, so dass man sich in diesem Komplex gut und gerne verlaufen konnte. Straßen führten auf Höfe, Treppen verbanden verschiedene Ebenen miteinander, bog man um eine Ecke, fand man sich in einer Sackgasse wieder, ging man zurück, lief man Gefahr die falsche Abzweigung zu nehmen und irgendwo anders herauszukommen. Wir hielten uns gerne dort auf und machten nicht die geringsten Anstalten, uns mit unserer Besichtigung zu beeilen. Es war eine hervorragend geplante Anlage.

Dann gingen wir in den Verborgenen Garten – es war die schlechteste Führung, der wir je beigewohnt hatten. Ich gebe nicht dem Garten die Schuld, sondern nur unserer Touristenführerin.

Unsere Zusammenarbeit stand von Anfang an unter keinem guten Stern. Einige Minuten bevor die Führung begann, gab es eine Lautsprecherdurchsage in (vermutlich) englischer Sprache, doch sie war so leise und undeutlich, dass ich mir nicht einmal dessen sicher war. Mit dieser Einschätzung stand ich nicht alleine dar, denn kein Mensch um uns herum rührte sich. Darunter waren zweifelsohne englische Muttersprachler. Anscheinend fühlten die anderen Besucher sich ebenso wenig angesprochen wie wir. Einige Zeit später kam eine Dame in einem traditionell koreanischen Hanbok aus einer Hütte und baffte uns mürrisch an, warum wir denn keine Karten des Gartens hätten, sie hätte uns ja eben darauf aufmerksam gemacht, wo diese zu holen seien. Die Leute starrten die Dame kollektiv verständnislos an. Erst nachdem sie wiederholt hatte, dass es Karten vom Garten gab, machten sich einige Interessieret auf den Weg zum Infostand, der um die Ecke war, um sich ihre Exemplare zu sichern.

An dieser Stelle möchte ich betonen, dass die junge Dame, welche uns den Garten nun zeigen und erklären würde, einerseits einen starken Akzent hatte, der aus der Gegend um Texas zu kommen schien. Andererseits sprach sie aber auch sehr schnell und monoton. So folgten wir ihr durch das Tor, das für unsere Gruppe aufgeschoben wurde, und hörten uns ihre Stimme in den nächsten Stunden an.

Über den Garten an sich gab es recht wenig zu erzählen, da er weder kunstvoll gestaltet noch irgendwie aufgebauscht war. Es gab Bäume, Sträucher, Hecken, Grünzeug, Gras und so weiter, und alles wuchs irgendwie munter umher, wurde vielleicht ab und an von einem Gärtner gestutzt und diente hauptsächlich dem Zweck Schatten zu spenden.

Eindrücke vom Verborgenen  Garten

Allerdings gab es einige Wege, die durch diesen Garten führten, um verschiedene Gebäude miteinander zu verbinden. Diese eben waren die Besonderheiten des Gartens. Dort hatte die kaiserliche Familie in vergangenen Tagen Zuflucht vor der brütenden Sommerhitze gesucht. Man genoss die Aussicht auf einen angelegten Teich, spazierte im Schutz der Bäume umher, trank Tee und vertrieb sich die Zeit.

Teich

Dazu erzählte unsere Reiseführerin einige Einzelheiten, doch irgendwie konnte sie ihr Publikum nicht mitreißen. Tatsächlich gewann ich mit jedem Schritt mehr und mehr den Eindruck, dass wir eine Bürde für sie darstellten. Gelangweilt ließ sie uns mal hier, mal dort verweilen, entschied, dass wir aufbrechen wollten, weil einige (ältere) Besucher sich nicht umsahen und sie deshalb davon ausging, dass es ihnen an Interesse mangelte. Tatsächlich war es an diesem Tag drückend heiß, so dass einige Leute es körperlich einfach nicht schafften. Die Reiseleiterin vermittelte uns das Gefühl, dass wir eine Last waren. Es fehlte nur noch, dass sie die Augen verdrehte, um ihren Widerwillen offen zum Ausdruck zu bringen. Was auch immer an diesem Tag mit dieser Dame schief gelaufen war, sie ließ es an uns aus. Dies war für mich eine ganz neue Erfahrung in diesem Land, das uns zwar oft mit Verständnislosigkeit gegenübertrat, aber dabei immer äußerst höflich blieb.

Ein weiterer Teich

Als wir an einer Kreuzung der vor uns liegenden Reisegruppe begegneten, war unsere Leitung gezwungen, eine Pause einzulegen, weil wir sonst ineinander gerannt wären. Sie war alles andere als erfreut darüber. Offensichtlich wollte sie die Runde schnell über sich ergehen lassen und uns so bald wie möglich wieder am Eingang abladen. Das wurde insbesondere zum Ende hin deutlich, als die Besucherschlange sich immer weiter in die Länge zog, weil unterschiedliche Leute nun einmal ein unterschiedliches Tempo hatten. Anstatt auf die Nachzügler zu warten, begann sie mit der Erzählung über die Gebäude als sie dort ankam. Wir hatten keine Zeit uns irgendwie zu platzieren oder umzusehen, nein, wir mussten entweder sofort zur Stelle sein oder in Kauf nehmen, dass wir wichtige, interessante Informationen verpassten. Als es nur noch darum ging, eine gerade Strecke runter zu gehen, wartete sie überhaupt nicht mehr auf die letzten Leute in der Gruppe. Sie stürmte davon, über steile Treppen und unebene Pfade. Dass auch ältere Leute ihrer Verantwortung oblagen, schien sie dabei nicht im geringsten zu stören.

Fazit dieses Ausflugs: Der Tempel ist ein Muss! Man braucht keine Führung, um seine Schönheit zu genießen – wir hatten auch keine. Der Verborgene Garten ist ebenfalls interessant, aber man muss Glück mit dem Tourguide haben. (Hier muss ich erwähnen, dass man diesen ohne Führung nicht betreten durfte.) Ich würde trotzdem das Gesamtpaket empfehlen, weil man im Garten einfach noch einige Hintergrundinformationen bekommt und er vor allem im Sommer äußerst erholsam ist.


Um noch einmal indirekt auf die freundliche Kellnerin vom ersten Tag zurückzukommen. Wie bereits erwähnt konnten wir uns gut mit ihr auf Englisch verständigen, doch es gab eine Begebenheit, bei der uns deutlich wurde, dass das in Korea überhaupt nicht selbstverständlich war. Als wir eines Tages in der Bank waren, um Geld abzuheben, bekam ich eine Fehlermeldung, aber kein Bares. Da diese nur aus einer Nummer bestand, wusste ich mir nicht zu helfen. Allem voran war es mir wichtig, dass es keine Abbuchung gab, ohne dass ich Geld erhalten hatte. Die Schalter waren zu dieser Zeit geschlossen, aber es gab ein Telefon für Notfälle und die Beschriftung „Service“ auf einem der Knöpfe. Nach kurzem Zögern entschied ich mich für einen Anruf. Wie nicht anders zu erwarten, meldete sich die Dame am anderen Ende der Leitung in koreanischer Sprache. Ich gab ihr zu verstehen, dass ich kein Koreanisch konnte, und fragte sie, ob sie Englisch sprach. Daraufhin brabbelte sie mich einige Zeit in ihrer Muttersprache zu. Ich meinte trocken „I’ll take it as a no.“ („Ich interpretiere dies als nein.“), woraufhin sie (auf Koreanisch!!) bestätigte. Immerhin verstand ich das. Sie sprach weiter, um mich dann in eine Warteschleife zu packen. Ich ging davon aus, dass sie nach einem englischsprachigen Mitarbeiter suchte, werde es aber nie herausfinden können. Wie dem auch sei, einige Zeit verstrich und sie war wieder am Hörer – ohne Hilfe oder Unterstützung. Ich bedankte mich und wir legten auf. Da stand ich nun, ich armer Tor, und war so klug als wie zuvor.

Es ging aber noch weiter. Während ich Franziska das Gespräch schilderte, ging die Tür zu dem Bereich mit den Schaltern auf und ein junger Mann kam heraus. Vielleicht hatte er uns gesehen, vielleicht war das Telefonat an ihn weitergeleitet worden, es spielt keine Rolle. Jedenfalls versuchte ich auch ihm mein Problem zu schildern, zeigte ihm den Zettel, den der Automat ausgespuckt hatte, und machte meine Unsicherheit deutlich. Das Ergebnis war, dass der den Zettel an sich nahm und im abgeschlossenen Bereich verschwand. Ich sah meine Reisebegleitung an, sie blickte zurück, wir konnten nichts machen. Spaßeshalber meinte sie noch, dass gleich drei Leute rauskommen würden, um sich bei uns zu entschuldigen und herauszufinden, was das Problem sei. Sie lag richtig. Als die Tür auf ging, kam eine Dame heraus, gefolgt von einer zweiten, gefolgt von dem Herrn von vorhin. Die zweite Dame musste für die erste übersetzen, was ihr allerdings auch nicht so ganz gelang. Mit vereinten Kräften einigten wir uns drauf, dass ich den Zettel wieder an mich nehmen würde, um bei eventuellen Problemen auf die Herrschaften zurückzukommen. Nach dieser Odyssee gingen wir erst einmal wieder nach Hause.


Gangnam Station Undergound Shopping Center
Es gibt nur wenige Sachen, die der durchschnittliche Europäer über Korea weiß. Man hat vielleicht schon davon gehört, dass es ein gespaltenes Land ist, und dank einiger Aktionen des Nordens hat dieser es schon einige Male in die Nachrichten geschafft. Wenn es aber um den Süden geht, haben die meisten Westler nur einige Fragezeichen über ihren Köpfen. Vor kurzer Zeit änderte sich, als ein Lied es in die Kreise westlicher Nationen schaffte: Gangnam Style.

Für all jene, die noch nicht im Bilde sind: Gangnam ist ein Stadtteil von Seoul. Das Lied dazu ist das am meisten angeklickte Video auf youtube. In Anbetracht dieses Booms war es schon fast selbstverständlich, dass wir auch einen Ausflug in diesen Teil der Hauptstadt unternahmen.

Zuerst begaben wir uns in die Touristeninformation, die zum einen Auskunft über K-pop-Stars gab und zum anderen gerne über plastische Chirurgie sowie empfehlenswerte Kliniken informierte. Ja, das war in einem Gebäude, auf einer Etage, an einem Schalter. Durch keins von beidem angelockt, stand ich nutzlos in der Ecke, bis wir weitergingen.

Als wir dann in die Tiefen dieses Viertels vordrangen, stellten wir bald fest, dass es langweilig war. Es gab große Straßen, Nebenstraßen, nicht viel Besonderes. Vielleicht nahmen wir nur den falschen Weg, denn wir folgten nicht der vorgeschlagenen Touristenroute, sondern gingen querfeldein und verliefen uns. Ohne Straßennamen an Kreuzungen oder Straßenkarten ist das ein einfaches Unterfangen. Als wir endlich ankamen, wohin wir von Anfang an wollten, blickten wir auf zwei Reihen gläserner Hochhäuser. Banken, um genau zu sein. Dazwischen standen Autos. Sie standen, weil der Verkehr kein Vorankommen zuließ.

Der Stadtteil Gangnam

An der Haltestelle Gangnam stand eine Plattform, die besagtes Lied würdigte und interessierten Besuchern die Möglichkeit zum Nachtanzen der Choreographie gab. Wir waren nicht interessiert.

Gangnam Style Plattform

Was mich letzten Endes aus den Socken haute, war die Einkaufsmall an der Haltestelle Gangnam. Sie war unterirdisch (im wörtlichen Sinn), erstreckte sich über einen mir unbekannte Fläche, hatte zwölf Ausgänge und war überlaufen. Zunächst dachte ich, dass es der Eingang zur Metro war, aber nein, das war es bei weitem nicht. Nicht nur, jedenfalls. Geschäfte drängten sich dicht an dicht, nur übertroffen von den Menschenmassen. Wir erinnerten uns an einen Tipp, dass man hier Postkarten finden könne. Hier versuchten wir nun unser Glück – und scheiterten. Mehrere Male liefen wir durch das Gewusel, fanden aber nur Kleidung, Handyzubehör und Allerlei. Postkarten waren nicht aufzutreiben. Nach einiger Zeit gaben wir es auf und fuhren nach Hause.


Eines Nachmittags waren wir mit Beverly verabredet, um zusammen ein traditionell chinesisches Mahl einzunehmen. Es nannte sich Hot Pot, also Heißer Topf. Beverly, ein sehr geselliges Mädel, lud so ziemlich jeden ein mitzukommen, der ihr über den Weg lief. Natürlich würde jeder seinen Anteil selbst tragen, aber es ging ihr einfach darum eine große Runde zu versammeln. Bei dieser Gelegenheit lernten wir einen weiteren Koreaner kennen, der sich uns mit dem Namen Zen vorstellte. Tatsächlich wollte er es für uns „einfacher“ machen und schlug uns vor, dass wir ihn „Kim“ nennen könnten. Das Problem damit ist weiter oben bereits aufgeschlüsselt. Wir bleiben bei Zen.

Auf dem Weg zu dem Restaurant, das Beverly ausgesucht hatte, sprachen wir Zen auf ein Phänomen an, das uns seit einiger Zeit beschäftigte: Lotte. Lotte ist ein Unternehmen, das uns immer wieder über den Weg lief, während wir in Seoul durch die Straßen zogen. Tatsächlich sahen wir den ersten Lotte Duty Free Shop am Flughafen von Jakarta. In Seoul schien Lotte allerdings omnipräsent.

Auf unserer Karte prangerte groß der Lotte Freizeitpark; es gab zwei Lotte Hotels allein in Seoul; Lotte produzierte sogar Süßigkeiten.

Lotte ist nicht omnipräsent

Zen erklärte uns, dass es uns nur so vorkäme, dass Lotte überall wäre. Seiner Ansicht nach befanden wir uns in einem Stadtteil, in dem sich eben dieses Unternehmen konzentrierte. Damit war die Sache für ihn abgehakt und uns blieb nichts anders übrig, als mit seiner Aussage vorlieb zu nehmen. Es war auch nicht ganz so wichtig, denn schließlich wollten wir nur ein bisschen Konversation mit einer neuen Bekanntschaft betreiben. Doch die Worte setzten sich in unseren Ohren fest und stichelten uns bei zahlreichen folgenden Gelegenheiten. Ja, ich werde wieder darauf zurückkommen.

In dem Restaurant angekommen, durften wir das Ambiente eines typischen Chinesen in uns aufnehmen. Da fühlten wir uns wieder nach Deutschland versetzt, denn die Inneneinrichtung war wie man sie eben in solch einer Lokalität erwartet. Chinesische Muster, chinesische Schriftzeichen, Drachen, Holzvertäfelung, etc. All das war vorhanden.

Man geleitete uns an unseren Tisch, an dem ich etwas fand, das ich aus Deutschland noch nicht kannte: ein großes Loch in der Mitte. Darunter fand sich ein Heizsystem. Nun erklärte Beverly uns, wie das ganze Mahl ablaufen würde. Zuerst brachte man uns ein Edelstahlbecken, das in der Mitte geteilt war, so dass die zwei verschiedenen Saucen sich nicht mischen konnten. Dieses Becken wurde in das Loch in der Mitte gehievt, man stellte die Heizspiralen an und dazu bestellten wir die eigentlichen Zutaten, denn was da bisher auf dem Tisch stand, war Suppe. Wir entschieden uns für eine Variation an Gemüse, Pilzen und ein bisschen Fleisch. Wie die Chinesen nun einmal so sind, befürchtete Beverly die ganze Zeit, dass wir zu wenig geholt hatten, doch diese Sorge erwies sich als unberechtigt. Letzten Endes rollten wir alle kugelrund vom Tisch – und es gab keine Reste, was ich persönlich als Erfolg werte, auch wenn unsere Chinesisch da dachte.

Hot Pot

Man aß wie folgt: Alle Zutaten wurden in die Suppe geworfen. Da die zwei Becken sich vor allem im Schärfegrad unterschieden, verteilten wir Gemüse und Fleisch recht gleichmäßig auf beide Behälter, da einige Leute am Tisch saßen, die nicht so erpicht darauf waren, sich die Geschmacksnerven wegätzen zu lassen. Weicheier. Tatsächlich war die scharfe Suppe einfach nur überpfeffert, was mich effizient davon abhielt, sie zu essen.

Da die Fleischstückchen hauchdünn geschnitten worden waren, garten sie entsprechend schnell. Während dieser Zeit konnten wir uns nach Herzenslust an dem kalten Buffet bedienen, an dem es verschiedene Beilagen, Gewürzmöglichkeiten sowie Nachtische gab. Wir mussten auch nicht befürchten, dass die Suppe irgendwann nicht reichen würde, weil diese nachgeschenkt wurde, wenn der Kellner den Eindruck hatte, dass wir schon zu viel daraus geschöpft hatten – ohne Zuschlag, versteht sich. Nach diesem mehr als üppigen Mahl kugelten wir nach Hause. Erstaunlicherweise war es günstiger, als wir vorher ausgerechnet hatten, was natürlich zur guten Laune beitrug. Der Geschmack tat sein Übriges.


Ein schöner Zeitvertreib, besonders zwischen Essensbestellung und -lieferung, war das Kickerspiel, das in der Lounge nur darauf wartete von eifrigen Gästen benutzt zu werden. Nachdem wir es einmal gewagt hatten unsere koreanischen Mitarbeiter herauszufordern, wurde es ihr innerstes Bestreben uns in diesem Spiel zu schlagen. Also spielten wir jeden Tag mehrere Partien gegen den einen oder anderen Gegner, manchmal zwei gegen zwei. Es war äußerst amüsant, zumal besonders Jae Won schnell lernte und zu einer tatsächlichen Herausforderung wurde. Nicht dass irgendjemand von uns es in irgendeine Liga geschafft hätte, aber es war genug Können dabei, um uns zu unterhalten – und das alleine zählt.

Ein normaler Tag am Kicker

Seol Hee, die ein natürliches Talent für die Verteidigung bewies, gab immer wieder komische Geräusche von sich, wenn der Ball sich in ihrem Bereich bewegte.

Hulk freute sich diebisch über jedes Tor, das er – mit welchem Spielpartner auch immer – gegen das Team Deutschland – bestehend aus Franziska und mir – schoss. Danach kassierte er für gewöhnlich auch einige, weil seine Konzentration der Euphorie wich.

Jae Won probierte bei jedem Spiel sein neu erlangtes englisches Vokabular gegen uns aus. Darunter fielen Sätze wie „You’ve got the ball.“ („Ihr habt den Ball.“) oder aber „I kill you.“ („Ich bringe euch um.“) Damit erschöpfte sich auch schon der englische Wortschatz unseres Jüngsten. Selbstverständlich übertreibe ich hier.

Ich kam sogar in den zweifelhaften Genuss gegen Kenneth, also den „Boss“, zu spielen, der gar nicht mal schlecht war.

Martin war der Einzige, der sich kein einziges Mal an das Spiel wagte.

Unsere Partien zogen abends sogar eine Schaulustige an und überzeugten Gäste davon, es selbst mal auszuprobieren. So oder so entstanden immer wieder Situationen, bei denen ich Tränen lachte. Es war zu herrlich.


Sam hatte uns bereits vorgewarnt, dass einige Koreaner Ausländer ansprechen, nur um an ihnen ihre Englischkenntnisse zu testen. Womit wir allerdings nicht rechneten, war so einfach neue Bekanntschaften zu schließen. Als wir in unserer ersten Woche in Seoul an einer Fußgängerampel standen, sprach uns eine Koreanerin an, stellte uns die üblichen Fragen und nach Beantwortung dieser gingen wir wieder getrennter Wege, nur um einige Minuten später wieder aneinander vorbei zu laufen. Diese Gelegenheit nutzend tauschten wir Kontaktdaten aus, um uns zu einem Treffen in baldiger Zukunft zu verabreden.

Als dieser Tag dann endlich gekommen war, lud MJ, die Mutter der Familie, uns zu sich in die Wohnung ein. Sie hielt losen E-mailkontakt mit meiner Reisebegleitung, so dass es einige Zeit dauerte, bis wir endlich einen passenden Termin gefunden hatten. Schließlich klappte es dann doch.

Die Wegbeschreibung war hervorragend, so dass wir uns relativ sicher waren, die richtige Wohnung zu finden. Allerdings mache ich noch einmal darauf aufmerksam, dass es keine Straßennamen gab. Auch die Hausnummern funktionierten anders als in Deutschland. Trotzdem fanden wir die Wohnung problemlos und schneller als erwartet. Tatsächlich wohnte MJ mit Familie in demselben Viertel wie wir gerade, was das ganze Unterfangen umso einfacher machte.

Es war eine sehr schöne Wohnung, sehr geräumig, dezent eingerichtet, schöne Steinfußböden, Klimaanlagen in der Decke und sehr praktisch geschnitten. Sie lag im 34. Stockwerk.

Wir wurden von MJs Sohn, Chi U, empfangen, der dank seines jahrelangen Aufenthaltes in den USA hervorragend Englisch sprach, wahrscheinlich sogar besser als wir beide zusammen. MJ erwartete uns im Wohnzimmer. Beide unsere Gastgeber waren erstaunt, dass wir vor der Wohnungstür standen, weil sie davon ausgingen, dass wir unten klingeln würden, aber das war wegen der guten Beschreibung gar nicht nötig. Außerdem hatten wir keine Ahnung, wie diese hochmodernen Gegensprechanlagen funktionierten und wie man bei einer bestimmten Wohnung klingeln sollte. Es war ja nicht so, dass irgendwo Klingeln mit Schildern angebracht gewesen wären. Ein Pförtner öffnete uns allerdings die Tür, als wir erklärten zu welcher Wohnung wir wollten.

MJ entschuldigte sich vielmals, dass sie nicht selbst gekocht hatte, da ihr etwas dazwischen gekommen war. So mussten wir uns mit dem Essen „begnügen“, das ihr Sohn ausgesucht, bestellt und schön angerichtet hatte. Es war vorzüglich. Eine Mischung aus verschiedenen europäischen Gerichten präsentierte sich uns bunt auf verschiedenen Schüsseln. Salat mit leckerem Dressing und panierten Hähnchenstreifen; Pommes; ein anderer Salat auf Blätterteigtaschen; ein geschichtetes Toastgericht, dessen Namen ich vergaß, mit Blaubeersauce. Chi U hatte definitiv die richtige Wahl getroffen.

Während des Essens unterhielten wir uns über verschiedene Themen: Gesellschaft, Politik, Geschichte, Small Talk, etc. Es war richtig angenehm mit dieser Familie, in der alle eine ruhige Art an den Tag legten, die Zeit zu verbringen. Einige Zeit bevor wir gingen, kam der Vater Chi Us nach Hause und unterhielt sich ebenfalls mit uns. Obwohl wesentlich distanzierter als sein Sohn, zeigte auch er ein offenes Wesen und eine kommunikative Ader. Es war ein äußerst angenehmes Lunch in phantastischer Gesellschaft.


Eines Tages herrschte betriebsame Spannung im Hostel als angekündigt wurde, dass eine Lieferung mit unschätzbarem Wert eintreffen sollte. Jae Wons Eltern schickten eine große Packung Sashimi, also rohen Fisch, der der Belegschaft zum Verzehr vorgesetzt wurde. Es war eine wirklich große Kiste und der Inhalt hatte sehr gute Qualität, was unsere koreanischen Kenner mit einem zufriedenen Nicken zur Kenntnis nahmen.

Eine kostbare Lieferung - deliziös

Zum feierlichen Anlass wurden alle eingeladen: Mitarbeiter, Chefs, Gäste, eigentlich jeder, der am Tisch vorbei kam. So verbrachten wir einen lustigen Abend. Es gab uns zudem die Möglichkeit ein bisschen mehr über unsere koreanische Gastfamilie zu erfahren. Daher erfuhren wir nun, dass Jae Won sehr wohl Englisch sprach, zumindest wenn er betrunken war– was bei dem Jungen sehr schnell ging–, sich aber nicht traute. Hulk hingegen vergaß mit jedem Glas ein bisschen mehr seiner Sprachkünste, was die Verständigung auf Dauer schwierig machte. In dieser Atmosphäre reger Kommunikation in verschiedenen, oft nicht zusammenpassenden Sprachen, stellten die Koreaner fest, dass Franziskas Name einfach zu schwierig für ihre schwer gewordenen Zungen war, weshalb sie ihr einen neuen, koreanischen verpassten. Ab sofort durfte man sie mit gongju (zu Deutsch: Prinzessin) anreden, was vor allem Martin dankend annahm und vorbehaltlos ausnutzte. Wenigstens hielt man sie so nicht mehr für einen Vampir.

In diesem Zuge erhielt auch ich einen neuen Namen, dessen europäische Rechtschreibung ich allerdings nicht kenne, mir nichts aus den Fingern saugen will und es daher dabei belasse. Zumal er nur äußerst selten zum Einsatz kam, weil mein Name, im Gegensatz zu Franziska, äußerst einfach für alle war.

Jae Won hingegen bekam bei der ganzen Feier nur einen auf den Deckel. Wie bereits erwähnt war er ein großer Anhänger des weiblichen Geschlechts und verstand sich darauf (auch in nüchternem Zustand) eine Unterhaltung mit vorbeilaufenden Damen zu initiieren. Da sich nun einige Damen sogar bereitwillig an denselben Tisch setzten, nutzte er diese Gelegenheit schamlos aus. Ich möchte unseren kleinen Charmeur hier keineswegs schlechtreden, denn es gab keinen Moment, in dem er sich nicht wie ein Gentleman benommen hätte. Worauf ich hinaus will, ist folgendes: Hulk fiel das Verhalten seines Schützlings selbstverständlich auf, und als guter, verantwortungsbewusster Chef sah er sich in der Pflicht, den Jüngsten wieder in seine Schranken zu weisen. Just in diesem Augenblick fiel ihm genau die richtige Strategie ein. Während Jae Won also auf der Couch saß und sich gerade mit einem Mädel unterhielt, schrie Hulk quer durch die Lounge: „Stop hitting on her!“ („Hör auf, sie anzumachen.“) Jae Won fuhr erschrocken herum. Mit stolzgeschwellter Brust verkündete unser Gastgeber, dass er diesen Spruch bei der Serie „Friends“ aufgeschnappt hatte. Vorerst war der Junge still – und sollte es für den Abend auch bleiben. Denn obwohl er den ein oder anderen Versuch unternahm, mit einer Maid ins Gespräch zu kommen, wurde er jedes Mal von seinem Vorgesetzten mit eben diesem Spruch auf seinen Platz verwiesen. Es ging so weit, dass Jae Won nicht einmal mehr eine Begrüßung aussprechen durfte, ohne Rüge zu bekommen. So saß er den Rest des Abends, den Kopf auf Hulks Schulter ruhend, mit einem Hundeblick am Tisch und warf mehr als einer Dame einen schmachten Blick hinterher.

Nach reiflicher Überlegung, kamen wir zu dem Schluss, dass dieser Abend so etwas wie ein Aufnahmeritual war und wir nun offiziell dieser Mafia angehörten. Welche Folgen das für uns haben würde, konnten wir zu dem Zeitpunkt noch nicht absehen. Vielleicht würden wir es nie erfahren, immerhin hatten sie sich uns nicht offiziell zu erkennen gegeben, aber wir rückten definitiv näher in den Kreis der Eingeweihten vor.

Später am Abend sorgte diese Szene für allgemeine Belustigung. Ein Freund von Martin, der ebenfalls zugegen war und Chefkoch von Beruf war, hatte etwas Leckeres gezaubert. Selbstverständlich wollte Franziska es probieren. Als sie den Happen auf ihrer Gabel hatte, schrien verschieden Koreaner wild durch die Gegend. Martin meinte aufgebracht: „Das ist scharf!“ Hulk hingegen japste: „Das ist Fisch!“ Noch bevor einer der beiden die Gelegenheit hatte, ihr ihr Essen streitig zu machen, verspeiste sie den Bissen. Es musste kein Notarzt gerufen werden, ich hörte keinerlei Beschwerden von ihr, alles ging glimpflich aus. Nur unseren Gastgebern stand der Schweiß auf der Stirn.


Mittlerweile war einige Zeit ins Land geflossen, wir verstanden uns hervorragend mit unserem Arbeitgeber sowie weiterem Personal, woraufhin ich einen Vorstoß wagte, den ich mich sonst nicht getraut hätte. Aber ich wollte meinem Vater Ehre machen und zeigen, dass ich seine Lebenslektionen ernst genommen hatte. Obwohl der koreanischen Sprache nicht mächtig, kam ich nicht umhin, einige Begriffe aufzuschnappen, wodurch ich mittlerweile ein beachtliches Repertoire aufweisen konnte – in Anbetracht der Tatsache, dass ich nicht lernte. Also entschied ich mich, einen entscheidenden Schritt weiter zu gehen.

So kletterte ich eines Nachmittags von unserer Dachwohnung hinunter und fand sowohl Hulk als auch Seol Hee an der Rezeption. Ein bisschen verschüchtert, weil ich nicht wusste, wie meine Gastgeber auf meine Anfrage reagieren würden, sprach ich sie an. Ich entschied mich für eine deutsche Herangehensweise, was bedeutet, dass ich offen aussprach, weshalb ich gekommen war. So bat ich Hulk, mir einige koreanische Schimpfwörter und Flüche beizubringen. Er sah mich groß an. Noch bevor er den Gedanken verarbeitet hatte, sprudelte es nur so aus Seol Hee heraus. Sie sagte etwas und fing zu kichern an. Nach einigem Hin und Her, gaben sie mir einige Begriffe, mit denen ich arbeiten könnte. Es dauerte einige Zeit, bis ich das alles richtig aussprechen konnte, aber ich war auf dem richtigen Weg. Zufrieden zog ich von dannen, während meine Gastgeber teils lachend, teils grübelnd zurückblieben.


Kurz bevor wir unsere Abreise antraten, kamen unsere Nachfolgerinnen an. Ihre Namen waren Edyta und Dominka und die beiden recht jungen Mädels stammten aus Polen. Sie verbrachten ihren Urlaub in Seoul, weil sie sich sehr für K-Pop interessierten und gerne ihre Lieblingsband SHINee live sehen wollten. Das ist gar nicht mal so abwegig, denn selbst wenn es keine direkten Konzerte einer bestimmten Band gibt, besteht immer noch die Möglichkeit sie bei einem Festival, einer Vorstellung oder einer Aufzeichnung anzutreffen.

Wir arbeiteten die Damen schnell ein, so dass wir einige Tage noch weniger zu tun hatten als sonst. Wie dem auch sei, wir versuchten auch die Mädels ins Geschehen zu integrieren, was wesentlich einfacher wurde, nachdem die beiden erfuhren, dass ich ihre Sprache sprach. Bis dahin hatte ich den Eindruck gewonnen, dass sie sich ihrer Englischkenntnisse nicht ganz so sicher waren. Ehrlich gesagt waren sie dafür am richtigen Platz, da Koreaner auch nicht gerne Englisch reden. Außer Hulk und Seol Hee.

Die Mädels waren allerdings immer freundlich, unkompliziert und recht offen, so dass wir schnell und gut miteinander auskamen. Leider teilten wir aber auch wenige Interessen, weshalb ich nicht immer wusste, worüber ich mit ihnen sprechen sollte. Aber uns waren eh nur wenige Tage zusammen gegönnt.

tbc...

... link (0 Kommentare)   ... comment